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Sehnsucht, Macht, Schuld

Sehnsucht, Macht, Schuld

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Peter Clar liest „Queen of the Biomacht, ehrlich“ von Sophie Reyer


Eine Rezension zu schreiben ist niemals einfach. Spricht man in der meist begrenzten Zeichenzahl eher über Inhalt, Form, Stil (und wie sollte man diese Bereiche trennen)? Wählt man einen theoretisch fundierten Zugang, fällt man ein Geschmacksurteil oder sucht man einen Mittelweg? Und wie verhindert man, dass man den oft komplexen, vielschichtigen literarischen Texten eine zu vereinfachende Besprechung gegenüberstellt? Eine Rezension zu einem Lyrikband zu schreiben ist, zumindest für mich, noch schwieriger. Und eine Rezension zu Sophie Reyers Lyrikband Queen of the Biomacht, ehrlich zu schreiben setzt, zumindest für mich, noch einen Schwierigkeitsgrad drauf.

Denn die Texte in diesem (wie so oft bei Limbus) äußerst ansprechend gestalteten Büchlein, folgen keinem Muster, reichen von titellosen Zweizweilern zu mehrstrophigen Gedichten, von (scheinbar) völlig freien bis hin zu formal streng geordneten Texten, wie frei nach Hans Sachs (S. 17), mit dem in jeder Zeile zum Teil variiert wiederholten, zumeist als Anapher eingesetzten „es schimmert“ oder das sich selbst spiegelnde Immer noch 1 (S. 56). Ähnlich ist es mit den Sprachregistern, die gezogen werden, relativ reduzierte Stellen („und immer hat jemand gesagt es gibt keine Liebe / und immer hat jemand gesungen“ (S. 34)) findet man ebenso, wie die Verwendung gegenwärtiger Begriffe („Proteinshakes“ (S. 42), „iPhones“ (S. 52), „Selfie“ (S. 72) etc.) und auch etwas altmodisch wirkendem, pathetischem (und ich liebe Pathos!) Sprechen: „Schale Rand deiner Augen / verhangener Morgen tagt / eine Sonne die die Wolken rot färbt“ (S. 57).

© Copyright Limbus Verlag

Und auch das Vorwort hilft da wenig (wann helfen Vorworte schon, im besten Fall sind sie nichtssagend, meistens führen sie einen auf völlig falsche Fährten), wenn es einen roten Faden mehr konstruiert als ihn findet, eine Klammer benennt, die sehr, sehr weit gefasst werden kann: „Sehnsucht, Macht, Schuld“. Doch das alles schadet, so viel sei vorausgeschickt, dem Lyrikband in keinster Weise.

Lassen Sie mich also versuchen, die Schwierigkeiten zu umgehen, indem ich mit dem Titel beginne, der dem Lyrikband, durch den Foucault’schen Begriff der Biomacht, von Anfang an eine theoretische, reflektierte Verfasstheit einschreibt, sie ihm zuschreibt, eine Zuschreibung, die die Texte selbst, zumindest in jener offensiven Form, nur selten einlösen. Fungiert der Titel also weniger als eine Art Vorschau, als ein pars-pro-toto als vielmehr als eine Art Interpretationsvorgabe (seht her, lest diese Gedichte mit/entlang Foucault!), der man folgen kann aber nicht zwangsläufig muss? Oder wurde er einfach ob seiner Schönheit, seiner Signalwirkung gewählt? (Und schön ist er, hängen bleibt er). Oder vielleicht sogar einfach nur aus Verlegenheit? Was auch immer die Gründe waren, wirft der Titel mehr Fragen auf, als er beantwortet, und das nicht nur im Bezug auf das Verhältnis zwischen Titel und Gedichten. Denn wer ist diese Queen, von der hier gesprochen wird, deren Machtanspruch durch das Wörtchen „ehrlich“ aber gleich wieder ironisiert / hinterfragt wird. Ist es das lyrische Ich? Die, durch den Namen markierte (und gleichermaßen wieder aufgehobene) Dichterin selbst? Ist es jemand dritter und wenn ja, wer oder was (eine Person, ein Tier, eine Göttin)? Das Gedicht, dem der Titel zum Teil entstammt, lässt den Schluss zu, dass es die Natur ist, die sich selbst ermächtigt und so zu ihrer eigenen Herrscherin wird – ein Verständnis der Biomacht, die dann allerdings mit jenem Foucaults nur sehr wenig gemein hat (S.21):

die Bäume reißen sich
neuerdings selbst aus
der Regen indes
geht in die Schräge
wo Licht die Augen sprengt
nichts ist mehr:
Queen of the Biomacht!

Doch indem der Titel Fragen aufwirft, indem er zum Nachdenken anregt, macht er genau das, was gute Literatur eben macht, Raum zu lassen für eigene Gedanken, eigene Ideen, Interpretationen kurz, für den/die Leser_innen und möglichst, mit Hilfe schöner, überraschender, neuartig kombinierter Sätze und Bilder. Und beides gelingt Sophie Reyer in ihrem Lyrikband – zumindest fast immer. Es gelingt dort, wo ihre Texte in einer wunderbaren Mischung aus Zurücknahme (der Position des lyrischen Ichs) und Kunstfertigkeit (des sprachlichen Ausdrucks, des Einsatzes rhetorischer Mittel, des Findens überzeugender Sprachbilder) bestehen, ganz egal, ob die Gedichte über zwei Seiten gehen oder sehr verdichtet sind (S.79):

See Also

Todesübergänge
wie Hänge
Hängebrücken
Rückgrat sagt ach
geht in die Grätsche
Schlafgrätsche
Schlafbrücke
so Krückstock
Todesübergänge

Weniger gut gelingt es dort, wo ein_e (nicht immer benannte, aber dann trotzdem mitschwingende) Instanz Erklärungen liefert, sei es in den manchmal etwas platt wirkenden ‚aphoristischen‘ Zweizeilern, sei es bei Gedichten wie Schuld 1 (S. 43-45). Diesem Text über das kindliche Nebeneinander von Zärtlichkeit und Grausamkeit, von Schuld und Machtausübung – der ebenso einfach wie poetisch beginnt: „von allen Verwandten / war mir mein Pony aus Plastik / am nächsten / es stank / nach Made in China / ich badete es […]“ – wird eine letzte Strophe angefügt, die dem ebenso eigentümlichen, wie faszinierenden Oszillieren des Textes eine unpassende, weil viel zu vereinfachende ‚Moral von der Geschichte‘ anfügt: „so blieb ich / immer / ein schuldiges Kind […] und beneidete die Krankenpfleger / um ihr neu gewonnenes / gutes Herz“.

Doch trotz dieser kleineren Schwächen, trotz des vielleicht einen oder anderen nicht so gelungenen Bildes, das dann, so ehrlich muss man dann auf jeden Fall sein, vielfach auch dem Mut Sophie Reyers zuzuschreiben ist, ausgetretene Sprachpfade zu verlassen, vorgefundene Bilder und Metaphern neu und experimentell zu kombinieren und sie damit ihrer vermeintlichen Naturgegebenheit zu berauben (womit man dann letztlich doch wieder bei Foucault wäre) und einen eigenen Ton zu finden, überwiegen bei weitem jene Stellen, die einen als Rezipienten ebenso nachdenklich wie beglückt zurück lassen (S.82):

Wellen Silber
Schmelz
 
Träume: treiben im
Meer gegen Steine
 
als planktonfressende
Seepferdchen nicht
größer als drei
Millimeter
 
wie Haar in der
Milch
 
so leicht
geht leben

Sophie Reyer: Queen of the Biomacht, ehrlich. Gedichte. Limbus Verlag, Innsbruck/Wien, 2019. 96 Seiten.

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