Hier nun die Fortsetzung unserer Umfrage über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Schreiben und Leben der Autor*innen, die schon einmal bei der POESIEGALERIE zu Gast waren. Wir wiederholen hier nochmals die drei Fragen aus Unter der Sonne von Corona I:
1. Wie hat sich der Lockdown auf das Leben und das Schreiben ausgewirkt?
2. Hat die Coronakrise den Blick auf die Welt, die Gesellschaft und die eigene Tätigkeit verändert?
3. Haben sich andere Themen und Formen des Schreibens oder Produzierens ergeben?
Das Leben hat sich verändert. Der Blick hat sich verändert. Die Welt hat sich verändert, das Zusammenleben, das Schreiben, das Selbst, alles verändert. Alles verändert sich auch sonst, aber die Veränderung überwuchs und überwächst die übliche Veränderung, dringt in sie ein, verändert die Art der Veränderung. Die veränderte Veränderung ist doppelt schwer zu fassen, da sie teils unbewusst ein/greift. Ein Beispiel: Beim Ansehen eines Films mit Roberto Benigni das Entsetzen des Zusehers über die körperliche Nähe der Menschen zueinander, die Berührungen. Der Blick ist verrückt geworden, sich also selbst ertappen beim Verändertwordensein, dem man doch ein Verändern entgegensetzen möchte.
Und eine dritte Stufe der Veränderung der veränderten Veränderung in die Wege leiten möchte. Mit welchen Mitteln des Schreibens ließe sich aber ein solches Verändern verfertigen – lassen. Mein Schreiben verändert sich und mich auch unabhängig von der Krise, wenn es denn gelingt. Die Corona-Krise hat noch wenige Texte von mir erzeugt, aber sie sitzt tief in meinem Schreiben, bäumt sich in Gewohnheiten, ätzt an Sicherheiten, besetzt meinen Körper und Geist, rüttelt und schleicht, verschwimmt, und zeigt sich schamlos, mich schamlos, erschreckt. Ein erster Abdruck der Krise zeigt sich in einem Kindergedicht mit dem Titel E-Learning:
selbst ziehst du dich an und fängst schon an mit rechnen am schreibtisch alleine sieben uhr in der früh und es macht dir keine mühe und es baumeln deine beine
Es ist keine Idylle, die hier dargestellt wird. Ein Kind fängt schon an mit Lernen in der Früh, es ist wohl Corona-Zeit, könnte aber auch keine sein. Lassen wir diesem Kind die Freude, wir lassen sie ihm wohl auch gerne, auch wenn es, etwa für einen Dichter wie mich, sehr früh ist (7 Uhr!), dem Kind macht’s keine Mühe. Vor dem Hintergrund der Corona-Krise lädt sich das Gedicht auf, mit der Mühelosigkeit des Kindes in der Krise, die man sich vielleicht selbst wünscht, mit der Autonomie, etwas anzugehen. Vielleicht kann sie so ins Bild und in den Blick, die Krise, in solchen Details? Es wird jedenfalls ein langer Weg werden, Corona und die Folgen einigermaßen zu erkennen und gestalten, während es schon mitspricht und da ist. Da und da. Und da.
Ich habe mich in den ersten 10 Tagen des Lockdowns tatsächlich eingesperrt gefühlt, es war für mich eine klaustrophobische Situation, in der ich zwei-/dreimal auch physisch Beklemmungen empfunden habe und mich anstrengen musste, das zu kontrollieren. Es ist mir aber gelungen, und ich habe mich nach und nach auf diese Situation eingestellt.
Was die literarische Produktivität betrifft, fiel es mir anfangs schwer, mich darauf zu konzentrieren, es ging schon, aber langsamer und mit viel mehr Energieaufwand. Das wurde dann mit der Zeit besser und ich habe, da einige andere Arbeiten, Projekte und Veranstaltungen durch den Lockdown wegfielen oder verschoben wurden, alles in allem doch sehr effizient arbeiten können.
Ich denke, es hat sich etwas in meinem Blick auf die Welt verändert, eine Selbstverständlichkeit des gewohnten Lebens ist plötzlich verpufft. Vielleicht kommt sie wieder zurück, vielleicht auch nicht, vielleicht nur eben anders. Aber es ist zu früh für mich, um einzuschätzen, wie weit diese Erfahrung in Zukunft mein persönliches Leben und meine literarische Arbeit beeinflussen wird. Die Pandemie ist vorerst ja nicht vorbei. Es fehlt noch der Abstand, um das für mich zu bewerten.
Der Lockdown traf mich, wie die meisten anderen auch, überraschend. Als Doppelberufler hatte ich auf zwei „Fronten“ zu kämpfen: Als Lehrer war ich in den folgenden Monaten gezwungen, den Unterricht online zu gestalten (was mit wesentlich mehr Aufwand verbunden war als beim herkömmlichen Unterricht); als Schriftsteller entfielen mir sämtliche Lesungen und damit Einnahmen, mein jüngstes Buch kam dadurch kaum unter die Leute.
Was die Produktivität angeht, kann ich sagen, dass ich mehr als sonst schrieb (fast täglich ein oder mehrere Gedichte, dazu eine längere Erzählung, einen Essay und etliche Rezensionen), und das hält seit der Lockerung weiterhin an. Die Krise hat mir einmal mehr die Fragilität und Bedrohtheit unseres Daseins bewusst gemacht. Die Folge ist eine größere Vorsicht (bei mir) und zugleich ein bewussteres Handeln („Gewahrnehmen“ der Dinge).
Ob dies anhalten wird, kann ich noch nicht sagen, aber ich glaube schon, dass ich weiterhin vorsichtiger und bewusster leben werde. Überdies bin ich der Überzeugung, dass uns die Krise noch länger begleiten wird und wir ihr nicht so schnell entkommen werden.
Nein. Ich schreibe weiterhin meine Art von Texten und folge meinen Themen. Ausnahme bildet die Erzählung „Seidelbast“, die sich explizit auf die Pandemie bezieht und mein erster Text überhaupt ist, der sich auf ein aktuelles Ereignis bezieht.
Ich saß zum Lockdown im Bus Richtung Buchmesse Leipzig. Also die war schon abgesagt, aber es gab noch Alternativlesungen. Im Bus wurden die per Facebook abgesagt. Hinter uns haben Masken die Grenze zu CZ zugemacht. Aber sonst waren das interessante Tage (in denen ich entgegen der Regelungen voll viel outside war, aber psst). Ich habe definitiv viel mehr geschrieben als sonst. Über Themen, die überhaupt nichts mit den aktuellen Vorgängen zu tun haben. BTW ist mir dieses ganze Ich bin Künstler und ich leide an den Folgen trara irgendwann auf den Keks gegangen (zu lang/zu viel).
Also ich habe zu dem Zeitpunkt noch in ner Fabrik gejobbt. Und da gabs einfach Leute, die mussten sich um ihre Schichten, Kinder und Gehälter kümmern. Nicht darum, wie sie äh, ihr nextes Projekt gestemmt kriegen. Oder streamen.
Ja, ich tue jetzt noch viel mehr ausschließlich Sachen, auf die ich Bock habe. Außerdem gehe ich sehr lang spazieren, treffe Menschen, die mich brauchen oder umgekehrt. Man weiß ja nie, wie lang und so weiter. Ach so, ich trinke. Wie alle big C gerade die Schuld an allem geben. Here it is. C ist schuld, dass ich zu viel trinke. C ist Schuld am Korn. Versteht man die Ironie hier? Ich weiß nicht.
Ich mache wieder mehr Musik. Das kann ich allen Depressiven empfehlen. Musik macht tatsächlich glücklich(er). Und ich schau mir Hunde an. Oder borge sie mir für Spaziergänge aus. Hunde machen auch glücklich (mehr Hunde!). Katzen finde ich auch so naja, geht schon. Lieber ein Schwein, statt ner Katze. Und Auto fahren. Das ist grad nicht angesagt, weil so ein Auto ja den Planeten wegpupst. Aber ein Lieblingsalbum auf Laut im Auto hören und schnell (sehr schnell) irgendwohin fahren (Ort, UnOrt, Landdomizil, See, ein Ort, an dem noch mehr Tiere sind (Hunde!) oder zu einem Konzert, einer Sauferei oder in den, mmh Wald (!), fantastisch. Leider sitze ich hier vorm Laptop. Draußen vor meinem Fenster streiten sich gerade ein paar Hustende, Trinkende über die richtige Art zu leben, einer schreit „nun gebt doch mal Frieden“.
Nachgefragt hat Udo Kawasser
Hier geht es zum ersten Teil der Umfrage: Unter der Sonne von Corona I