Michael Hammerschmid über Hans Eichhorns Gedicht „Umlauert die weiße Kugellampe am Plafond“
UMLAUERT DIE WEISSE KUGELLAMPE AM PLAFOND befeuert mit der Morgenstille des Hauses, du bist hier allein, du beißt die Zähne zusammen, du quetscht den Kugelschreiber in die Finger, du zitierst die Triple-A-Kreditwürdigkeit als den Eiertanz. Wir leben Trash, wir sterben Trash, wir füllen den Kachelofen mit Buchenscheitern, wir pflanzen Kornelkirschen als Sichtschutz, wir stopfen unsere kleingeredeten Schlafzimmerdinge in die Luftlöcher: Kugellampe, Waschbecken, Kleiderschrank, Schnaps- plutzer, alles Schausteller, und sie zeigen uns den nackten Hintern, der so lange furzt und fehlzündet, bis eindeutig der Nebeltag das Kommando übernimmt.
Sie ist ein Fixstern in diesen Gedichten, die „weisse Kugellampe“, einer von noch einigen, dem Kleiderkasten zum Beispiel, dem Waschbecken, den Mostbirnen, aber auch der Müdigkeit, der Stille, der Schlaflosigkeit u.a., die Gedichte umlauern sie, und das kleine Präfix um- statt be- zeigt, wie Hans Eichhorn an Wort und Wahrnehmung dreht, sie verschiebt. Wer etwas umlauert, wartet auf etwas, auf was? Wer etwas umlauert, nimmt eine Sache, ein Ding, nicht nur von einer Seite wahr, er spitzt vielmehr die ganz Aufmerksamkeit, und so beginnt denn auch dieses Gedicht, man könnte sagen, mit gespitzten Sinnen. Und mit dem Blick nach oben, nämlich Richtung Plafond, was über die Lage des Ichs, des Dichters, etwas aussagt: Er liegt, vielleicht nicht nur im Bett, wie in so vielen dieser nachtwachen Gedichte, sondern auch am Boden im übertragenen Sinn? Hans Eichhorn war 2017 schon sterbenskrank, als er diese Gedichte veröffentlichte. Doch die Aufmerksamkeit des Ichs ist auch in dieser Lage befeuert „mit der Morgenstille des Hauses“. Sie ist es also, die die Wahrnehmung zum Brennen bringt. Des Dichters Feuer. Und sie ist auch in den übrigen Gedichten von „Im Ausgehorchten“ (Edition Bibliothek der Provinz, mit 5 Bildern des Autors) die Begleiterin, die nicht nur im Licht der Aufmerksamkeit steht, sondern selbst auch Aufmerksamkeit macht.
© Gemälde von Hans Eichhorn aus dem Buch „Die Ausgehorchten“, S.61
Nachdem also der Titel schon ins Gedicht überführt, von diesem nicht zu trennen ist, wir sind sofort in medias res, tritt dann am Ende der ersten Zeile das „du“ auf, die Selbst/Anrede, die den Grundgestus des Gedichtbandes bestimmt: Hier spricht einer mit sich als einem Anderen, aber auch mit den Dingen, den Wesen, den Begebenheiten, den Banalitäten von Alltag und Existenz, und lässt sich auf diese ein, nämlich nicht zuletzt auf ihren Wahnsinn, Bosheit, Schönheit miteingeschlossen. Und es ist wohl auch deshalb nötig, angesichts dieses Wahn-Sinns, die „Zähne zusammenzubeißen“, wie man es bei Schmerzen tut. Denn es gibt in diesem Gedicht und in diesen Gedichten einen Schmerz zu verarbeiten: „du / quetscht den Kugelschreiber in die Finger“, eine Art Selbstvergewisserung, eine Art Ablenkung von Schmerz durch Schmerz? Und darauf folgt „du zitierst / die Triple-A-Kreditwürdigkeit als den Eiertanz.“ So schlägt er durch, kommt er herein, der so entwaffnende Humor, die so ironische Ironie bei Hans Eichhorn, von einem Moment zum nächsten. Auch das charakteristisch für seine Dichtung, solches Cut-up, Verschneiden, dass uns wohl auch die Schulung seines Dichtens an der amerikanischen Dichtungstradition der sogenannten beat-generation vor Augen führt. Eines steht dichtest neben dem Anderen, der Schmerz durch Fingerquetschung neben der „zitierten Triple-A-Kreditwürdigkeit“. Die Körperwahrnehmung neben dem Zeitungsjargon-Wort. Und so spricht sie mit, die Alltagszeitungswirklichkeit, die sich ins Unbewusste der Gedichte mischt und in denen gewissermaßen die Geister des Un- und Halbbewussten angestoßen werden, sich zu zeigen. Und so steckt auch die Zeit in diesen Gedichten, hier die der Finanzkrise und ihrer Terminologie, was die Gedichte zu so etwas wie halluzinogenen Aufzeichnungsapparaten verschiedener Jetztzeiten macht.
Doch weiter im Gedicht: Fast wie eine Art Ouvertüre nehmen sich die ersten 4 bzw. mit Titel 5 Zeilen des Gedichts aus. Danach tritt das „Wir“ auf, wie eine andere Instrumentengruppe, auch der Rhythmus ist hier noch schneller, schließt aber an die mehrfache (vierfache) Wiederholung des „du“ in den ersten Zeilen des Gedichtes an und hebt sie im „wir“ auf eine allgemeinere und dennoch um nichts weniger expressive Stufe: „Wir leben Trash, wir sterben Trash, wir füllen den / Kachelofen mit Buchenscheitern, wir…“ Hier kommt das Gedicht zu seinem Thema, dem Leben und Sterben, aber eben angesichts oder eben im Trash, der hier artikellos unmittelbar auftritt. Es ist mehr ein Aufschrei, eine Ausrufung, Empörung (?), und das Gedicht zeigt seinen Gegenstand auch, zeigt wie trashig der Triple-A-Kreditwürdigkeit-Eiertanz ist, wie trashig das Befüllen des Kachelofens „mit Buchscheitern“. Es ist eine Art Verzweiflungsrede über den Trash, gleichzeitig wird die trashige Conditio der Welt auf diese Weise festgehalten, sichtbar und nicht zuletzt die poetische Gestaltung der Banalität und des Durcheinanders der Welt in Angriff genommen. Etwas wie Vanitas, Vergeblichkeit grundiert diese jazzig kurzgeschnittenen Zeilen und gerade dadurch schwingen metaphysische Fragen nach den Gründen und Abgründen der Existenz wie ein Subbaß mit.
Und weiter geht es im Gedicht und zwar aufs Ganze, wenn mit allem wie in einem großen Potlatsch aufgeräumt wird: „wir stopfen unsere kleingeredeten Schlafzimmerdinge in die Luftlöcher: // Kugellampe, Waschbecken, Kleiderschrank, Schnaps-/plutzer, alles Schausteller, und sie zeigen uns den // nackten Hintern, der so lange furzt und fehlzündet, bis / eindeutig der Nebeltag das Kommando übernimmt.“ Gewissermaßen mit Pauken und Trompeten wird hier das wir als ich und umgekehrt gegen die Dinge – und ihre Dauer – geführt, die abserviert werden sollen. So kleingeredet diese „Schlafzimmerdinge“ aber auch werden, sie sind an Festigkeit, Dauer, Lästigkeit nicht so leicht zu übertreffen. Sie sind von Einfluss, Interesse, sie bestimmen Teile des Alltags, so banal sie auch erscheinen mögen. Und tatsächlich scheinen sie auch etwas zu zeigen, geradezu im Sich-Zeigen zu tun, doch gerade das entpuppt sich letztlich als wenig schmeichelhaft: Die Dinge machen sich über uns schrecklich lustig mit ihrem „nackten Hintern, der (…) furzt und fehlzündet“, und sie tun dies vielleicht umso mehr, als sie viel weniger preisgeben als es der Umlauernde am Anfang des Gedichts noch gehofft haben mag. Sie sind für Auskunft nicht zu haben, nicht zu gebrauchen. Trash. „bis / eindeutig der Nebeltag das Kommando übernimmt“.
Nach diesem Dingwort-Theater, das auf der Suche nach Selbst/Erkenntnis inszeniert worden zu sein scheint, bleibt immerhin etwas Eindeutiges über, indem der Nebeltag seinen Nebel ausbreitet, man könnte wohl sagen, wie einen Vorhang sich über die Dinge legt, alles benebelt und bedeckt. Ruhe kehrt ein. Doch auch dieser scheinbar versöhnliche Schluss ist mit der Macht eines Kommandos ausgestattet, was letztlich alles andere als ein harmloses Ende darstellt, da auch in ihm, im Nebel eine Gewalt wirkt. Und dennoch bleibt aufs Ganze gesehen etwas übrig, nämlich das GEDICHT selbst. Als eine existenzielle Recherche, ein Aufrufen aller Mittel, ein den Schrecknissen des Banalen in die Augen Schauen, ein Sich-selbst-Prüfen-und-Befragen, ein Horchen im Ausgehorchten, ein das Unbewusste Halluzinieren (als techné), als ein Fragen, Rufen, Suchen.
In memoriam Hans Eichhorn, der am 29. Februar 2020 im 64. Lebensjahr verstorben ist.
Hans Eichhorn: „Umlauert die weiße Kugellampe am Plafond“, in: derselbe: Im Ausgehorchten. Gedichte. Mit 5 Bildern des Autors. Weitra: Verlag Bibliothek der Provinz hg. v. Richard Pils, 2017, S. 56.