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Haken schlagend durch brüchiges Gelände

Haken schlagend durch brüchiges Gelände

Logo Besprechung I

Peter Clar liest den neuen Gedichtband Das Pfeifen der Gräser von Christian Futscher


Wunsch
 
Mögen die Leserin
und der Leser
den Blödsinn
mit gütigen Augen
überhuschen
und sich an den Perlen
festsaugen         

Lyrik hat, vielleicht mehr noch als andere Gattungen, ein wenig den Ruf, dass sie ernst sein müsse um ‚bedeutsam‘, um ‚gut‘ (intelligent, innovativ, interessant…) zu sein. Warum das so ist, wie sie zu diesem Ruf kommt – ich habe da, zumindest teilweise, meinesgleichen, sprich akademische Literaturwissenschaftler*innen, schwer in Verdacht – lasse ich dabei ebenso undisktutiert wie die Frage, inwieweit Humor in der Literatur generell und in der Lyrik besonders ganz einfach auch übersehen wird. So nehmen wenige, um nur ein Beispiel zu nehmen, den unglaublichen Humor, den viele Texte Jelineks (auch) auszeichnen wahr. An dem grundsätzlichen Befund ändert auch nicht, dass schon einige bewiesen haben, das (gute) Lyrik durchaus humorvoll sein kann. Morgenstern, Ringelnatz oder Jandl sind da nur drei der bekanntesten Namen. Doch bevor ich mich in Namedropping verliere (wie es meinesgleichen gerne macht) lassen Sie mich in medias res gehen, lassen Sie mich direkt zu Christian Futschers Das Pfeifen der Gräser, 2020 bei Czernin erschienen, kommen, in dem, so viel sei vorausgeschickt, der Humor, der Witz auch für die spaßbefreitesten Kritiker*innen nicht zu übersehen ist.

© Copyright Czernin Verlag

Rebellisches Pfeifen

Den Gedichten vorangestellt ist ein Zitat von Jeanette Baroness Lips von Lipstrill – „Ich pfeife mich durchs Leben, bis ich tot umfalle.“ (S. 5) –, ein Zitat, dass vieles von dem enthält, was in Futschers Gedichtband zu finden ist. Schon die, den – im wahrsten Sinne – Ton des Gedichtbandes vorgebende, legendäre Wiener Kunstpfeiferin steht nicht nur für Lebensfreude, für Lust an ihrer (Pfeif-)Kunst, für Kabarett und Varieté, sondern eben auch für das Überschreiten von Konventionen, für das Aufbrechen von starren (in ihrem Fall Geschlechter-)Rollen / Bildern und den damit verbundenen Schwierigkeiten. Doch bleiben wir beim Zitat selbst: Da ist zuvorderst, symbolisiert im Pfeifen, die Freude, der Spaß, das Fröhliche, doch auch ein gewisser rebellischer Unterton – im Sinne des ‚ich-pfeif-Draufs‘ – und doch ist der Ernst, das Nachdenkliche (hier, der Tod) nicht weit. Und so brechen auch in Futschers zumeist sehr kurzen Texten bei allem (Sprach-)Witz, bei allem Humor auch immer wieder die dunklen Seiten des Lebens ein, Gewalt in der Familie etwa („Arme Familie“, S. 63), das Altwerden (Schalter onkologische Ambulanz, S. 116; Der Lauf der Dinge, S. 98) oder der Tod, wenn auch oft, wie hier (S.72), mit Augenzwinkern:

Muttertasgedicht
 
Mutter, du darfst
nicht sterben,
ich will nichts
erben.
 
Ich habe Freunde,
die mir was borgen.
Mach dir keine
Sorgen. 

An anderen Stellen wird die Natur zur Bedrohung („In der Nacht spielt es Granada: / die Gipfelkreuze brennen, / die Wolken sind / Himmelfahrtskommandos / die Bäume Bodentruppen, / kurz vor der Nasenspitze / beginnt die Front.“, S. 73), oder rückt die Angst selbst in den Fokus: Denn gerade indem sie vehement verleugnet wird, wird sie erst zum Thema, ist sie präsent, wenn auch nur – Futschers Texte schlagen meist mehr als nur einen Haken – „manchmal“ (S.139):

Angst
 
Ich habe keine Angst
vor gestern,
vor vorgestern auch nicht.
 
Auch vor morgen nicht.
Vor übermorgen schon.
Manchmal. 

Im Bett mit sieben Büchern

Doch bevor mir der Vorwurf gemacht werden kann, ich schriebe (oder, um in des Autors Worten zu bleiben: „schrob[e]“ (S. 126)) Christian Futscher die klischeehafte Rolle des ‚traurigen Clowns‘ zu oder, noch schlimmer, ich suchte ‚ernste‘ Themen in der ‚lustigen‘ Verpackung, um den Gedichten eine Berechtigung zuzuschreiben (wie es meinesgleichen oftmals macht): Futschers Minitaturen sind in erster Linie witzig. Witzig sind sie dabei in allen Definitionen des Begriffs, sind amüsant, sind seltsam/merkwürdig (weil anders, weil würdig, sie sich zu merken), sind vor allem geistreich. Thematisch werden sie dabei kaum eingegrenzt, Traumsequenzen kommen ebenso vor wie Naturbeschreibungen, Begegnungen des lyrischen Ichs mit anderen Menschen ebenso wie metasprachliche Selbstreflexionen, (nicht immer ernstzunehmende) ‚Aphorismen‘ („Nur nicht hudeln / vor dem Sterbeln“, S. 43) ebenso wie die ‚großen‘ Themen, die Liebe, der Tod, das Altern… Ebenso vielfältig ist auch die Form, wiewohl die meisten Gedichte sehr kurz sind, gibt es neben den ‚Einsatzgedichten‘ wie diesem auf Seite 59

Harte Kritik
 
Na ja.      

auch längere, mehrstrophige („Gorki und Liebe“, S. 92-93). Allen Texten ist dabei eine schier unbändige Lust an der Sprache, am Schreiben, an der Literatur gemein, nicht umsonst definiert das lyrische Ich eine Orgie als ein ins-Bett-Gehen mit sieben Büchern (S. 83) und eröffnet der Band mit dem Gedicht Glück: „Ich liege in der Wiese / und lese.“ (S. 6) Und so zitiert und paraphrasiert sich Futscher quer durch die Literaturgeschichte, neben Gorki kommen u. a. Richard Brautigan (S. 144), Joachim Ringelnatz (S. 126), Friederike Kempner (S. 146, 149) und Thomas Mann (S. 149) ebenso vor, wie Kurt Tucholsky (S. 136) oder Bertold Brecht, dessen Gedichte nach- und umgedichtet werden (S. 66). Anderen Autor*innen wiederum werden Texte gewidmet, u.a. Lorenz Langenegger (S. 149) und Tanja Raich (S. 108), um nur einige der zahlreichen Beispiele zu nennen. Auch das eigene Schreiben selbst wird thematisiert, sei es quasi-poetologisch (wobei man das ‚quasi‘ bei Kategorisierungsversuchen der Lyrik Futschers an sich immer mitdenken muss, zu viele Volten schlagen die Texte) wie in Ganz schön schief (S. 126), sei es tatsächlicher oder möglicher Kritik begegnend (S.33):

See Also

Ganz schön banal
 
Ganz schön banal
tat wer bekritteln.
Ich erwiderte holprig:
Betonung auf den
ersten zwei Dritteln! 

Brüchige Vordergründigkeit

Den Banalitätsvorwurf vorwegnehmend, der bei Themen wie Tippfehlern (S. 108), Fernsehabenden (S. 114) oder einen Kaugummi im Urinal (S. 40) so manchen Kritiker*innen wohl nicht allzu schwer über die Lippen kommen dürfte, zumal manche Gedichte von (vordergründig) ausgesuchter Einfachheit sind, zeigt sich das lyrische Ich seiner lyrischen Mängel durchaus bewusst, wenn es rhythmisch tatsächlich stolpernd das Holprige seines Widerspruchs thematisiert. Indem aber die eigene Unzulänglichkeit – verstärkt durch die Betonung des „ganz schön“, welches das „schön“ gleich wieder brüchig werden lässt – in den Fokus der Überlegungen rückt zeigt sich, dass die vermeintlichen Fehler keine sind, dass die Brüche, die Fissuren – zu denen im Übrigen auch die selten, aber doch vorkommenden platten Reime oder die öfters zu findenden allzu offensichtlichen Wortwitze gezählt werden können – Stilmittel sind, die eingesetzt scheinen, um die Brüchigkeit, die Unzulänglichkeit, die Fehlerhaftigkeit der Sprache an sich zu hinterfragen. Bei aller Genauigkeit der Beobachtung selbst der ‚banalsten‘, ‚alltäglichsten‘ Dinge, schlägt uns die Sprache immer wider ein Schnippchen, diese Lektion scheinen uns die Gedichte Futschers lehren zu wollen – vielleicht aber auch ganz was anderes. So oder so: Spaß macht Das Pfeifen der Gräser auf jeden Fall und das auf hohem Niveau. So viel Gewissheit, behaupte ich ganz frech, darf sein.

Christian Futscher: Das Pfeifen der Gräser. Czernin, Wien, 2020. 168 Seiten, Euro 20,-

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