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Vom Feld-sein in den Fluten

Vom Feld-sein in den Fluten

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Jelena Dabic liest den Gedichtband Das Gegenteil von Showdown von Timo Brandt


Was ist das Gegenteil von Showdown? Ruhe und Stille? Friedliche Schauplätze? Ein zarter Anfang statt eines schrecklichen Endes? Timo Brandts Gedichtband von 2020 ist so ruhig wie bewegt, handelt von Alleinsein genauso wie von Gemeinschaft und Zweisamkeit, bietet sinnliche Eindrücke ebenso wie Reflexion, hält sich an Tradition genauso wie er an neue und neueste lyrische Verfahren anschließt. Mit einem Wort: diese Texte sind äußerst vielfältig und vielseitig.

Brandt ist einer der wenigen Lyriker der jüngeren (aber auch älteren!) Generation, der relativ oft reimt und mit Assonanzen arbeitet. Dabei weiß er den Einsatz von Reimen aller Art wohl zu dosieren, übertreibt nicht damit, sondern streut den Gleichklang immer wieder in seine Texte hinein. Genauso gut kann er aber auch ungereimte, dem zeitgenössischen Usus entsprechende Gedichte verfassen, und der wohlüberlegte Umgang mit gebundener Sprache ist es, was seine Texte auszeichnet.

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Da gibt es etwa Gedichte wie „An“ (S.8), die im Ganzen recht klassisch daherkommen:

Ich werde dich nie zu Gesicht bekommen. 
Was ich verstaute in meinen Gedichten 
wurde unter meiner Maske entnommen
und wird sich unter deiner neu errichten.  

Etwas anders klingt da schon ein metrisch regelmäßiges, aber ungereimter Text wie in „Hamburger Hafen, für Lena“ (S. 9)

Bis zum Abend kann ich dich gut leiden, 
wie du die Stadt teilst, die nicht litt darunter, 
sondern gewachsen ist an dieser Wunde, 
unruhig vom Verkehr, vom Anklopfen der Welt, 
breit aufgestellt und niemals wirklich müde 
wie ich 

Nicht minder überzeugend sind jene Gedichte wie „Empfindungen“ (S.72), in denen Brandt, Jahrgang 1992, nur ganz wenig von seiner Reimkunst ahnen lässt:

Schon eine kaum geregelte Fläche Leben, seien es Wiesengrün 
oder entblößte Streifen Haut, 
die Meere mit ihrer ansteckenden, einstöpselnden & kühnen
Gunst. Eine unvereinbare Liebe 
hebt und senkt mir die Brust; mir gehört jede Form von Anlass.

In seinen Gedichten nimmt der junge Lyriker gerne Bezüge auf andere Texte, direkt und indirekt. Etwas lang erscheint da die Liste an Hinweisen hinten im Buch, die es auf ganze sieben intertextuelle Bezüge bringt; dabei erkennt der erfahrene Leser, die erfahrene Leserin noch ein paar weitere dazu, von Hofmannsthal über Rilke bis Jandl. Manchmal geht der Poeta doctus so weit mit seinen Kenntnissen und Fertigkeiten, dass er gleich eine klassische Gedichtform nachahmt: „Thermopylen“ (S. 11) gerät ihm gleich zu einer Ode oder einem Panegyrikus, ganz in antikem Duktus, wenn auch mit modernem Vokabular:

Ehre denen, die Liebe und Hoffnung verbreiten, 
auch wenn es ihnen oftmals Spott beschert. 
Die jene Unsicherheit nie erreichen, 
in der nur noch falsch und richtig existiert.

So kann es aber auch geschehen, besonders in der ersten Hälfte des Bandes, dass Brandt gelegentlich gar zu viele altertümliche Begriffe und lyrische Verfahrensweisen übernimmt, wie in „Vorübergehender, wie solltest du erahnen …“ (S. 32):

See Also

Der Traum vom Brückenschlagen, 
vom Feld-sein in den Fluten … 
wie kann sich schämen, wer derlei erfahren 
und immerfort empfinden muss.

Eine solche Häufung an unüblichen Wörtern wirkt doch etwas befremdend. In den meisten Fällen gelingen Brandt aber solche formstrengen Gedichte immer wieder aufs Neue, wie in „Geschritten“ (S. 37): 

Dankbar zu leisem sich verhaltend schweigend 
Gedrungen licht verschenkt beizeiten räume 
In deinem schreiten wie ein schwingen steigend 
Am zeigen klingend wie der satz der träume. 
klingend wie der satz der träume“. 

Der Autor scheut auch nicht vor gewissen Formexperimenten zurück, etwa vor der originellen Vermischung von deutschen und englischen Verszeilen wie in „Shipness“ (S. 42):

Wind kommt vom Land, gleich zusammengerollten 
sounds and melodies, not opened yet. 
Und das, obwohl wir Musik hören wollten.

Aber auch hier steht und fällt alles mit dem Reim. Beim Versuch, die Themen und Motive dieser Gedichte auszumachen, stößt man zuallererst auf verschiedene Orte und Szenerien: mehrmals sind es Küsten und Häfen, einmal südliche Gefilde, dann wieder eine nördliche Küste („Shipness“); dazu kommen Straßenszenen, etwa mit Schaufensterpuppen („Passage“, S. 30) oder mit Schwimmbad, Hochhäusern und Kirchturm („Neben Slogans und Plakaten“, S. 52). An Begriffen und Inhalten, die reflektiert und analysiert werden, dominiert die Liebe. Ein Gedicht ist dem Küssen gewidmet, eines, durchaus mutig formuliert und ästhetisch äußerst ansprechend, direkt dem Geschlechtsverkehr, ein weiteres der jugendlichen Sehnsucht nach Liebe, auf die das Ich nun zurückblickt. Eines der zahlreichen witzigen Gedichte zeigt ein Paar in einer Krise, ein anderes beschreibt die Müdigkeit nach der Liebe. Abgesehen vom Liebesmotiv – oder eher dieses einschließend – liebt es Brand, Begriffsdefinitionen zu liefern. Dies gelingt ihm sehr gut in „Empfindungen“ (S. 72): ob Körper, Übermut und Demut, das Schöne, das Scheitern, die Versuchung oder der Widerspruch: für alles findet der Autor eine elegante und poetisch ausgeklügelte Lösung. In anderen Gedichten werden Freiheit, Ferne und Nähe, der Traum, das Unsichtbare, aber auch banalere Begriffe wie das Wochenende oder der Sommerurlaub diskutiert oder kommentiert.  Brandt schafft es, moderne Frage- und Problemstellungen sowie die Gefühlslagen eines (jüngeren) zeitgenössischen Ichs zum Teil in traditionelle lyrische Formen, zum Teil in weniger sprachbewusste, eher an Bildern und Begriffen orientierte lyrische Gebilde zu gießen. Seine Gedichte haben eine Leichtigkeit und Frische, ihr Witz ist sehr befreiend, ihr intellektueller Anspruch mehr als nur beachtlich. Der erfahrene Lyriker hat mit Das Gegenteil von Showdown ein weiteres Mal sein außergewöhnliches Talent bewiesen. 

Timo Brandt: Das Gegenteil von Showdown. Gedichte. Limbus, Innsbruck 2020. 96 Seiten. Euro 15,-

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