Monika Vasik liest Flüchtiges Fest von Georg Bydlinski
Die Edition Thurnhof ist bekannt für aufwändig und sorgsam gestaltete Bücher, die nicht nur Bibliophile erfreuen. Es bereitet haptischen Genuss, sie aufzuschlagen, über das hochwertige Papier zu streichen Seite für Seite darin zu blättern, erst dann zu lesen. Insbesondere die Publikationsreihe Oxohyph sei erwähnt, in der literarische Erstausgaben erscheinen, die in Zusammenarbeit von Autor*innen und grafischen Künstler*innen entstehen. Das Kunstwort „Oxohyph“ wurde 1995 vom Röschitzer Autor Johannes W. Paul erfunden. Es steht seit nunmehr 26 Jahren für Handwerk und die Liebe von Verleger Toni Kurz für besondere Buchkultur. Aufgelegt werden in dieser Reihe schmale Bücher in maximal 400 Exemplaren je Titel, nummeriert und von beiden Künstler*innen handsigniert. Als jüngste Publikation dieser Reihe liegt der Band Flüchtiges Fest vor, der zum 65. Geburtstag von Georg Bydlinski erschienen ist. Er enthält 24 Gedichte des Autors und Farboffsetlithografien von Michael Roher.
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Georg Bydlinski muss man einem Bücher schätzenden Publikum nicht vorstellen. Wem als Kind vorgelesen wurde, wer als Kind selbst gern gelesen hat, wird das eine oder andere Buch des Autors kennengelernt, vielleicht geliebt haben. Und wer je eine seiner Lesungen erlebte, erinnert möglicherweise noch heute seinen Auftritt: da stand oder saß ein Mann, der keine langweilige Lesung abspulte, auch keiner, der hyperaktiv Kasperliaden aufführte, sondern einer, der wahrhaftig und ganz bei sich war, einem Zauberer gleich, mit der Gitarre in der Hand seine Gedichte und Geschichten vortrug oder vorsang und die Kinder zum Mitmachen animierte, sie mit gleichsam tanzenden Texten mitriss.
Doch Georg Bydlinski hat immer auch für Erwachsene geschrieben und das eine Publikum war ihm so wertvoll wie das andere. Wollte man den Autor beschreiben, dann kommen einer sogleich drei Adjektive in den Sinn: still, stur, sorgfältig. Da ist kein Marktschreier oder umtriebiger PR-Agent seiner selbst zugange, sondern einer, der ganz bei sich an seinem Werk schreibt. Voraussetzung dafür ist eine eigensinnige Konsequenz, die sich nicht nach Moden und Verkaufbarkeit ausrichtet, sondern stets authentisch und ganz bei sich bleibt. Und da ist die Sorgfalt im Umgang mit Sprache, die sein Werk, vor allem seine Gedichte auszeichnet. Im Vorwort zu seinem Podium-Porträtband1, der anlässlich seines 60. Geburtstags erschien, gab Bydlinski Einblicke in seine Poetik. Zu den Gedichten für Erwachsene notierte er: „Lyrik ist eine Sprech- und Schweige-Sprache.“
Das Nichtgesagte, das Ausgesparte ist für ihn „oft genauso wichtig wie das Ausgesprochene, Angedeutete“. Es geht immer um das Zwischen, jenen erst zu schaffenden, im Schreibprozess allmählich entstehenden Raum zwischen den Buchstaben, Worten und Versen. Bydlinski bezeichnet dieses Zwischen als „Leer-Räume im Gedicht“ oder noch treffender „das Schweige-Element in einem Gedicht“. Im aktuellen Band heißt es über Gedichte:
Sie umschreiben den unbeschreibbaren Kern
Es ist ein Kern, der nicht erschrieben, sondern nur umschrieben werden kann. Und das bewusst gesetzte Schweigen ist integraler Teil der Texte. Statt eines „flüchtigen“ Lesens bedarf es Leser*innen, die sich auf die scheinbar leicht zu erfassenden Gedichte einlassen und dem „Schweige-Element“ nachspüren, dem Raum zwischen den Wörtern und Versen, in dem sie eigene Erfahrungen einbringen. Und programmatisch heißt es weiter:
Gedichte: Messpunkte innerer Kartographie
Die gilt für Autor und Leser*innen gleichsam. Und so ist es zwar naheliegend, den Titel Flüchtiges Fest als Anspielung auf den halbrunden Geburtstag des Autors zu lesen, für den ein Fest ausgerichtet wird, dem er am liebsten entfliehen möchte, ein Fest auch, das schnell vorbei sein wird. Genauso naheliegend ist es, das flüchtige Fest des Lesens darin zu sehen, jene beglückende Lektüre, die sich mit eigenen Erfahrungen verbündet und für ein paar Augenblicke den Leer-Raum zwischen den Worten füllt. Bydlinski selbst ist solch ein aufmerkender Leser,
unterwegs in den Schattenwürfen der Wörter in den Zwischenräumen zwischen den Sätzen in den Nachklängen der Verse die immer mehr verraten als das Beschriebene
Das titelgebende Gedicht dieses Bands zeigt noch eine weitere Lesart auf. Im ersten Teil werden die vier Jahreszeiten aufgerufen, ein Blick nach außen, die knapp gefasste Erinnerung an beglückende Naturmomente als Feier des Kleinen, in dem das Große sich zeigt. Im zweiten Teil geht der Blick nach innen, ist das Ich bei sich und seinem Schreiben:
Mein älter gewordener Blick mein stumpfer gewordener Bleistift hält Flüchtiges fest feiert flüchtiges Fest
Bydlinski greift neben Natur und Altern/Vergänglichkeit noch weitere Themen auf, etwa Reisen, Sehnsucht nach dem Licht, Liebe, Freundschaft und die Wichtigkeit der Musik:
Die Gitarre: sechs Rettungsseile übers Griffbrett gespannt
Gleichberechtigt neben den Texten stehen die Bilder des Autors und Illustrators Michael Roher, der für sein bisheriges Werk im Mai 2021 mit dem erstmals vergebenen Christine-Nöstlinger-Preis für Kinder- und Jugendliteratur ausgezeichnet wurde. Für das Buch steuert er Lithografien in Blau- und Grüntönen bei, die die Texte mal illustrieren, etwa das Bild zum Gedicht „Alpensee“, in dem sich ein stilisiertes Gebirge in einem See spiegelt, mal eigenständige Positionen einnehmen. Wollte man sein Arbeiten näher beschreiben, kämen einer die Adjektive „still“ und „sorgfältig“ in den Sinn, womit zwei Gemeinsamkeiten mit Bydlinski umrissen sind. Genial etwa Rohers Coverzeichnung eines Pfaus, der mit dem Faden eines schwebenden Luftballons im Schnabel aus dem Bild zu rennen scheint.
Als Gesamtkunstwerk imponiert die Text-Bild-Einheit zum Thema Freundschaft. Auf der dunkelblau-flockigen linken Buchseite sehen wir wie durch ein Okular zwei Männer, die sich umarmen. Auch ohne den Text zu kennen, ist augenblicklich klar, es ist keine Liebesumarmung, sondern eine Umarmung, in der einer in einem schweren Moment den anderen hält, ihm Halt gibt, eine zutiefst menschliche Erfahrung. Erst bei näherer Betrachtung erkennt man den ebenfalls dunkelblauen Sockel. Das vermeintliche Okular könnte also dreidimensional und eine Schneekugel sein, was die Möglichkeit des Trosts andeutet bzw. den Ausblick auf eine irgendwann vielleicht wieder mögliche Leichtigkeit zulässt, aufgehoben und gestützt von einem Freund. Das zugehörige Gedicht ist exemplarisch für das Sprechen der Leer-Räume in Bydlinskis Texten:
Heimmüssen heimwollen nach einem plötzlichen Todesfall Ein Uhr nachts Vor dem Fenster Schneegestöber Kein Bus kein Zug fährt nachts von hier Ja sagt die verschlafene Stimme des Freundes im Hörer ich komme
Georg Bydlinski: Flüchtiges Fest. Gedichte. Mit Farboffsetlithografien von Michael Roher. Edition Thurnhof, Horn 2021. 40 Seiten. Euro 24,-
1Podium Porträt 88, Georg Bydlinski: Neue Gedichte und ausgewählte Kinderlyrik. Verlag Podium, Wien 2016