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Bande Knüpfen, Banden Bilden

Bande Knüpfen, Banden Bilden

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Eva Schörkhuber liest Gleithang Seilschaften/ Slip-Off-Slope-Rope-Parties von Eleonore Weber


Die Bande, die Eleonore Weber in ihrem zweisprachigen Gedichtband knüpft, haben nichts mit jenen Seilschaften gemein, die dem Machterhalt innerhalb einer kapitalistisch-patriarchalen Ordnung dienen. Im Gegenteil. „Vom Gleiten und Fallen, Abhängen, Abhängigkeiten und Schrägen handeln die Gedichte“, wie es im Klappentext heißt. Dabei wird auch über die Bande gespielt: Sprachebenen gleiten ineinander; musikalische Referenzen werden herangezogen; Elemente aus der bildenden Kunst fließen ein; Erinnerungen suchen Halt in der Gegenwart.

Ein Graffito, von dem ein Ausschnitt am Cover zu sehen ist, rahmt den in drei Teile gegliederten Band. Eine bunte Figur mit Hut, einem Zylinder, der sich zu einer Baumkrone verzweigt, in der zwei Äffchen hängen, schreitet, ein Akkordeon in Händen, eine Polizeibarrikade ab. Finstere Gestalten mit Tiergesichtern stehen in Anti-Riots-Montur Habacht und beobachten mit Argusaugen den Ausfallschritt, den der Akkordeon-Spieler, ein Barde des Aufstandes, ganz alleine unternimmt.

© Copyright fabrik.transit

Ausfallschritte

Den drei Abschnitten – „Nur einen Schuss weit weg/ just a shot away“, „Es bleibt derselbe Fluss/ remains the same river“, „Halbe Nachricht/ half message“ –, die jeweils mit Zeichnungen von Tieren beziehungsweise Menschen eingeleitet werden, sind zwei Gedichte vorangestellt. Eines davon verleiht dem Band seinen Titel, „gleithang seilschaften“. Das andere ist in Form einer Widmung „an meine verstreuten“ adressiert:

oh
[…]  
ihr versprengten halbkreise
ihr versprachlichten ein-
flüsterer ihr verweichlichten
weltraunen ihr lichtnerze ihr
himmelskuppler ihr abseitigen
ihr hellhörigen
ihr schnellsputer
ihr überalltrompeter…

Die Aufzählung endet mit drei Punkten, mit einem Schritt ins Leere – oder vielmehr ins Weitere, ins Offene hinein.

Die Ausfallschritte, die in den beiden Gedichten gesetzt werden, bilden auf unterschiedliche Weise Banden, die unter keinen Umständen fit/ passend gemacht werden können. Die Auswege liegen im Schrägen, nicht in einer sang- und klanglosen Übereinstimmung. Die Bardin des Aufstandes ist kein General, der unter seinem Befehl, seinem Duktus und seinen Sprachgesten, eine Armee versammelt. Verhandelt werden unangepasste Haltungen der Welt gegenüber, die sich behaupten, ohne dabei die Oberhand gewinnen zu wollen.

Die Ambivalenz zwischen der Möglichkeit, „gleithang seilschaften“ einzugehen, und der Bardin als Individuum, das sich den gängigen Auffassungen von Auf- und Abstiegen verweigert, zeigt sich unter anderen in dem Gedicht „bluten ins hai-meer“:

schwäche zeigen ist bluten ins haimeer
unterm hai-emblem bemalter untiere
filtern raubfische sie aus dem duft
der richtigen brise schon kilometerweit
und schwimmen heran
wer schwäche zeigt outet sich und
wird schwach ganz objektiv ist was es sagt
was es ist ohne möglichkeit einer wendung
bleeding love von leona lewis wird im
klassenverband als beispiel für toxische
beziehungen analysiert

angst dass eine wahrheit im alleinsein
(ohne kompliz*innen) im verrückt
werden endet

Das Bild, wie Schwäche in der bestehenden Gesellschaftsordnung behandelt wird, ist eindrücklich. Ebenso explizit findet das Bedürfnis nach Kompliz*innenschaft seinen Ausdruck. Das Scharnier zwischen den widerstreitenden Beweggründen, menschliche Gesellschaft zu meiden oder zu suchen, bildet der Hinweis auf einen 2007 veröffentlichten, kommerziell erfolgreichen Pop-Song und seine komplexe Rezeptionsgeschichte.

In Bleeding Love geht es um den Liebesschmerz einer als weiblich markierten Person. Die lyrics legen eine Gewaltbeziehung nahe, breit rezipiert wurde das Musikstück allerdings als eine Liebesballade mit glücklichem Ausgang: Ausdrücke wie „bleeding/ bluten“, „pain/ Schmerz“ wurden vorwiegend in einem übertragenen, von jeglichen körperlichen Bezügen entkleideten Sinn verstanden. Die Schwäche der schmerzerfüllten weiblichen Person kehrt sich, sobald sie überwunden wurde, um in ein Liebesglück, das trotz allen psychischen und physischen Leids überwiegend als normal, sogar als geglückt aufgefasst wird.

Die Textanalyse, die im Gedicht in einem „klassenverband“ vorgenommen wird, betont hingegen die Gewaltebene in dieser Beziehungsform. Es braucht einen Verband, ein Bündnis, um sich den scheinbar harmlosen Übertragungen ins Gängige zu widersetzen, um individuelles Leid verstehen und artikulieren zu können.

Der Mensch, so ließe sich die in „bluten ins hai-meer“ verhandelte Ambivalenz auffächern, ist nicht zwangsläufig des Menschen Hai, er ist es aber unter Umständen, die es im Hinblick auf „eine wahrheit“, an der es sich zusammen leichter trägt, zu begreifen gilt.

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Übertragungsebenen  

Übertragungen ins Gängige entzieht sich Eleonore Webers Gedichtband auch auf den Sprachebenen: Alle Gedichte – mit Ausnahme von „eins“ – liegen jeweils in einer englisch- und einer deutschsprachigen Version vor, wobei, so der Klappentext, „sich die englische Fassung nicht immer an den deutschen Text hält. Der Wortklang hat Vorrang vor der genauen Übertragung“. Beim lustvollen Mäandern von der einen Sprache in die andere verdichtet sich die Zweisprachigkeit zur Mehrsprachigkeit, indem sich die Bedeutungsebenen auf beiden Seiten öffnen.

So wird in dem Gedicht „kiss my hiney“, in dem Frank Zappas Bobby Brown den Resonanzraum für die Erinnerung an eine verstorbene Freundin und Kollegin bildet, die im Grunde wörtliche Übersetzung von „Trumpf“ in „trump“ zur Anspielung auf Donald Trump und seinen Machismus.

[…]
I always thought
that hiney means cock
I say to Linda
but it really means ass
in the eighties I danced to it
I can tell all the girls they kiss my hiney
the provocation was more important to me
than sexism trump cards
homemade aces in the sleeve
resistance trumps politcial correctness
oh god I am the american dream
so what the f*ck
[…]

Die Übertragung findet hier auf mehreren Ebenen statt: Auf einer sprachlichen, die, obwohl sie buchstäblich ist, den Songtext von Bobby Brown in der englischen Fassung einer konkreten historischen Person annähert; auf einer lebensgeschichtlichen, auf der das frühere Einverständnis mit sexistischen Provokationen als einer Form des Widerstands nachverhandelt wird; sowie auf einer erinnerungspolitischen, auf der Persönliches wie der Tod einer Freundin und Kollegin mit politischen Haltungen verschränkt wird.

Die Bardin des Aufstandes, die durch den Gedichtband zieht, bespielt all diese Ebenen, ohne sich auf eine zu beschränken. Am Ende des schön aufgemachten Buches findet sich eine Auflistung all der Referenzen, die in den Gedichten anklingen. Auch das Graffito mit dem Akkordeon-Spieler und seinem verzweigten Zylinder befindet sich darunter: Das Foto davon wurde von Eleonore Weber, die in Wien als freie Autorin und Grafikerin lebt, in Rom aufgenommen.

Eleonore Weber: Gleithang Seilschaften/ Slip-Off-Slope-Rope-Parties. Gedichte. fabrik.transit, Wien 2020. 150 Seiten. Euro 13,-

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