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Sprachsäume

Sprachsäume

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Eva Schörkhuber liest Investitionsruinen von Jana Volkmann


Du bist in jedem Gedicht“ steht als Motto zu Beginn des schön aufgemachten Bandes. In den Gedichten von Jana Volkmann findet sich „Du“ dann auch in vielerlei Gestalt: „Du“ ist Adressat*in, Verbündete*r im „Wir“, Trapezkünstler*in zwischen den Zeilen, große*r Abwesende*r, kleiner blinder Fleck und Rückzugsort. „Du“ wird, ebenso wie „die Wahrheit“, die, wie es im Klappentext heißt, „nicht zu haben ist“, umgarnt und versäumt – im doppelten Sinne des Wortes. Die Sprachsäume, die sich um die Orte, die Begegnungen und Alltagsbeobachtungen, die immer wieder ins Surreale abgleiten, legen, verdichten ihre Gegenstände nicht, sie schütteln sie auf, machen sie durchlässiger und weiter.

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Einer dieser Auswege ins Surreale gestaltet sich im Gedicht „incredible octupus escape“ etwa so:

Du sitzt neben mir
so dicht dass mein bein
Deines nur berühren kann
es ist der kleinste tisch
dem ein wiener kaffeehaus
je stattgegeben hat
[...]
Du merkst nicht
wie Deine zigarette
ein schlupfloch
in den wandteppich schwelt
und ich all meine arme
nach hinten falte
und langsam tänzelnd
die nase zuerst
darin verschwinde

Übergänge

Begleitet werden die Gedichte von Zeichnungen: Jörn P. Budesheim stellt seinen Figuren Wörter, Namen, Sentenzen und mitunter auch kurze Textpassagen zur Seite. Sprachbilder und Bildsprachen Begleitet werden die Gedichte von Zeichnungen: Jörn P. Budesheim stellt seinen Figuren Wörter, Namen, Sentenzen und mitunter auch kurze Textpassagen zur Seite. Sprachbilder und Bildsprachen bilden auf diese Weise ihrerseits ein Gewebe, in dem sich die Bedeutungen überlagern. Selbst die Zwischentitel, insgesamt fünf an der Zahl, bilden Übergänge. Sie versäumen das jeweils letzte Gedicht eines Abschnittes: Dem Titel „wovon träumt ein wal. kosmonautika“ etwa folgt nicht das Gedicht „waltraum“, es geht ihm als letztes dem mit „kismet supermarkt. liebesgeschichten“ betitelten Abschnitt voran. Auf diese Weise haben die Zwischentitel den ihnen vorangehenden Gedichten Folge zu leisten. Nicht der Titel gibt den Ton an, in ihm klingt ein Gedicht nach, die Titel der einzelnen Zyklen sind nicht Überschrift sondern markieren ein Fortschreiben, eine Fortsetzung.

Der Übergang vom Gedicht „berg“ aus Der Übergang vom Gedicht „berg“ aus dem Zyklus „wovon träumt ein wal. Kosmonautika“ in den Abschnitt „kumpel mit kalten händen. arbeiterinnenlieder“ sieht folgendermaßen aus:

wir nennen einander kumpel
kämmen uns gegenseitig
sedimente aus dem haar
eh wir zu bett gehen
und wenn Du von einer
kontrollierten sprengung träumst
rieselt putz von der decke
ich kehr ihn auf eh Du wach wirst
leise setz ich den kessel auf den herd
wir brauchen etwas warmes
als rüstzeug gegen den berg
halten dampfende becher vor die brust
wenn wir durch den frühen nebel
zur arbeit gehen

Nahtstellen zwischen Sprache und Wirklichkeit

Die Arten und Weisen, mit denen Jana Volkmann, so der Klappentext, „mit einer Handvoll Wörter zur Vermessung von Orten, ja ganzen Universen [schreitet]“, legen „ein Netz aus Beziehungen und Tätigkeiten“ über urbane und rurale Geografien. Soziale Bezüge schimmern durch das Bedeutungsgewebe hindurch, wie etwa im Gedicht „bratislava“ aus dem Zyklus „die wahrheit ist nicht zu haben. reportagen“:

See Also

in der wartehalle 
der hlavná stanica
steht ein mann mittleren alters 
in eine nische geklemmt
und schaut dunkel livriert 
den ankommenden zu 
und den abfahrenden 

er könnte ein angestellter 
der bahn sein oder jemand 
der sich im jahrhundert geirrt hat 
und seit 1919 wartet 
dass jemand zurückkehrt
aus einer der jungen republiken
oder von einem erst kürzlich
für beendet erklärten krieg 

Dein blick bleibt hängen 
an seinem namensschild
dodo sagst Du 
und wir lächeln ihn an
trösten ihn ein wenig 
über sein aussterben hinweg 

und als ich Dich am abend zurück 
zum bahnhof begleite 
ist die nische leer
und am stand mit den 
gebrannten nüssen 
wird ein gitter 
vor die auslage gerollt 

Bei den livrierten Männern am Hauptbahnhof in Bratislava handelt es sich um Gepäcksträger, die durch ihre ausgesprochen schlecht bezahlte Arbeitskraft technische Hilfsmittel wie Aufzüge und Rolltreppen ersetzen. Sie schleppen schwere Koffer und Rollstühle, denn am gesamten Bahnhof ist exakt eine Rolltreppe in Betrieb. Diese führt aber nicht zu den Bahnsteigen, sondern von der Straßenbahnstation hinauf in die Bahnhofshalle.

Die Nahtstellen zwischen Sprache und Wirklichkeit werden in Jana Volkmanns Gedichtzyklen auf feinsinnige Art und Weise ausstaffiert: Sie laden ein, weitere Blicke auf die geografischen und sozialen Verhältnisse zu werfen, die Ränder, an denen die Gedichte ihre Gegenstände berühren, auch unter anderen Lichtverhältnissen zu betrachten.

Jana VolkmannInvestitionsruinen. Gedichte. Limbus Lyrik, Innsbruck / Wien 2021. 96 Seiten. Euro 15,- 

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