Johannes Tröndle liest Holz und Haut von Sepp Mall
Hier bist du hingestellt / hinein- geborn in die schmale Ritze zwischen den Jahren
So beginnt eines der Gedichte im neuen Band von Sepp Mall. Und weiter:
Den Übergang eingeschrieben als Ahnung von Anfang an
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Ohne in diese Ahnung von Anfang an allzu viel hineinzuinterpretieren: Das lyrische Werk des Südtiroler Dichters – der übrigens tatsächlich und wortwörtlich zwischen den Jahren, nämlich an einem 31. Dezember geboren wurde – ist jedenfalls von großer Beständigkeit. Die Themen und Formen, der Ton, die eigenwillige Komposition seiner Gedichtbände – schon mit Malls Debüt Läufer im Park vor mehr als drei Jahrzehnten war eigentlich alles von Anfang an da: So die Gliederung in eine Handvoll Kapitel, die von einer Verszeile überschrieben und von weiteren, römisch durchnummerierten und über den ganzen Band verstreuten Binnenzyklen unterlaufen werden. So die Interpunktion, die konsequent auf Punkt und Beistrich verzichtet; Verszeilen mittels Schrägstrichen durch-, Sinneinheiten mittels Zeilensprüngen aufbricht; Doppelpunkte an den Versanfang setzt; Klammern einschiebt – ein oft sperrig anmutendes Textäußeres, das irritiert, herausfordert, sich dem schnellen Lesen widersetzt, wobei die Gedichte dann interessanterweise – liest man sie laut – viel harmonischer klingen als gedacht, stimmig, weich. Und so natürlich auch die Motive – wie etwa Holz und Haut: die beiden Schlüsselbegriffe des neuen und fünften Bands, die von Natur bzw. Zwischenmenschlichkeit sprechen.
In vielen Gedichten Sepp Malls hat das Holz eine Stimme: Es ist beseelt, es spricht, es stöhnt auf, wimmert; erleidet Schmerzen, wenn die Säge ihren Sang beginnt. Im Vorgängerband Schläft ein Lied heißt es einmal:
Die Widerrede auch (geflüstert ge- fleht) / der zu fällenden Birken
Und wir hören das Hecheln / mit dem die Wälder / aus uns fliehn. Im Umgang mit Holz werden dabei allerdings starke Kontraste sichtbar. Im Eröffnungsgedicht des neuen Bandes ist von Holzfällern die Rede, und es scheint, als ob sie – ungewöhnlich zart besaitet – für die Widerrede der Bäume sensibilisiert sind:
Vorsichtig bewegen sie sich unter den hängenden Ästen die erste Fichte / wird angesprochen behutsam gestreichelt : man redet ihr gut zu
Demgegenüber nimmt sich die im Gedicht Lignum Crucis beschriebene Holz- (oder gar Schreib-?) arbeit recht unchristlich, ja beinahe brutal aus:
Das Pochen der Hammerschläge bestimmt den Rhythmus der Sätze behänd / treibst du die Nägel voran Ins warme Gewebe : denn was aus deiner Werkstatt kommt / muss haltn Über die Jahre
In einem anderen Gedicht scheint ebenfalls der Wunsch nach Dauer auf, die Verbindung von Holz und Haut aber wiederum etwas glücklicher gefasst:
So einfach: Such mir / einen Menschen unter den ich mich lege Sommertags und alle Zweige von mir Dann / kann es Abend werden
Der dörflich-ländliche Raum bildet das Biotop für Malls Gedichte, die das Naturschöne besingen, dabei aber nicht geschichtsvergessen sind. Polnische Dörfer war ein früher Zyklus des Autors über den Holocaust betitelt und dieser Erinnerungsspur wird in jedem Band aufs Neue nachgegangen. Hier im Kapitel Über die Städte zog Rauch, dessen Eingangsgedicht statt eines Titels mit geographischen Koordinanten überschrieben ist, die jenen des KZ Ausschwitz entsprechen. Die Ästhetisierung des Schreckens geschieht dabei ohne falsches Pathos: So werden die Birken von Oświęcim in einem namenlosen, nur mit drei Punkten betitelten Gedicht zwar zunächst von einem Zittern ergriffen, über alle Verästlungen bis ins letzte Blatt. Doch schon in der nächsten Strophe wird das an dieser Stelle problematische Naturbild sozusagen humanistisch gewendet und aufgeklärt:
Es ist dieser verdammte Wind / sagen die Museumswärter die deinen Eintritt kontrollieren Deine Berechtigung / unter jungem Grün zu wandeln
Dem Märchenwald gegenüber – ein weiteres Motiv in diesem Band – bleibt das lyrische Ich skeptisch. Auch hier scheint über den mehrfach genannten (hebräischen) Namen Hannah, über Begriffe wie Asche, Suchtrupp oder Wendungen wie wo die Züge bereitstehen der Konzentrationslager-Konnex greifbar. Das Gedicht Wie im Märchen jedenfalls endet ambivalent, in der Schwebe:
Das nimmt ein gutes Ende / sagen wir Man lernt doch aus der Geschichte (nicht) Wie im Märchen
Tod und Erinnerung begegnen uns auch in anderen, persönlicher gefärbten Gedichten. Vom Verlust eines geliebten Menschen oder von einer offenbar demenzkranken Mutter ist die Rede. Oder es wird in einem Binnenzyklus ein längst leer gewordenes Haus Nr. 51 durchstreift, Kindheit und Alter miteinander kurzgeschlossen:
Im Dunkelglas spiegelt sich der kleine Bub / sein überraschter Blick über das schütter gewordne Haar
In Sepp Malls erstem Gedichtband hieß es einmal:
So still / ist die Kindheit daß ich heute noch jeden Atemzug höre
Einen Vergleich anderer Art schafft das Gedicht Krüppelholz grauweiß, das mit seinem Untertitel (spät für Klaus Menapace) an einen frühverstorbenen Südtiroler Dichterkollegen Malls erinnert und auch ganz direkt auf ein Gedicht Menapaces (Landschaft im Winter) Bezug nimmt. Auf dessen Gedichtbeginn stillsteht die Kälte / auf dem Krüppelholz antwortet Mall:
: die Kälte wird bleiben / weit über diesen Jänner hinaus
Dem Wunsch nach Dauer stellt er Präsenz entgegen; dem Stillstand Neugierde und Aufmerksamkeit:
Jetzt lernen / das kleine zu sehn die Vogeltritte die Risse im Stirnholz seine Farbe / die sich abhebt im Schnee
Auch hier lässt sich wieder ein Bogen zum Anfang spannen: Kleine Dinge ist ein Gedicht im ersten Buch des Autors betitelt. Und gleich die erste Verszeile spricht – apropos – von Ahnungen / die man manchmal hat, Ahnungen, die nur vorbeihuschen, und das Gedicht hält sie fest:
Wo sie überall / Zuflucht suchen / die kleinen Dinge (vor dem Vergessen)
Sepp Mall: Holz und Haut. Haymon Verlag, Innsbruck / Wien 2020. 83 Seiten. Euro 16,90