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Lieder an den Fluss, den Stein, den Nebel

Lieder an den Fluss, den Stein, den Nebel

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Natascha Gruver liest im Zweistromland von Christoph Janacs


Im Zweistromland, zwischen Donau und Moldau, liegt das Grenzgebiet Mühlviertel und Böhmen, eine rau-herbe Landschaft mit nebelverhangenen Bergen, dunkelgrünen Wäldern und weiten, dampfenden Feldern. Es ist die Landschaft des Schriftstellers Christoph Janacs, welche der in Oberösterreich Geborene seit seiner Kindheit durchstreift und der er im Lyrikband im Zweistromland ein dichterisches Denkmal gesetzt hat. 

Janacs‘ Gedichte, die von Liebe und Verbundenheit zu dieser Region an der Grenze zu Tschechien zeugen, handeln von Flüssen und Steinen, von Ruinen, Felsen, verlassenen Grenzposten und verfallende Scheunen. Einfühlsam und nachdenklich porträtieren sie Menschen, Ereignisse und Geschehnisse aus Vergangenheit und Gegenwart. Janacs‘ Lyrikband versammelt an die hundert Gedichte und Balladen, darunter einige Lang- und Prosagedichte, die wie Geschichten von einer vergangenen Zeit berichten: von brotbackenden Müttern, vor sich hin raunzenden Mühlrädern, von Häusern ohne Strom und Wasserleitung.

© Copyright Edition Tandem

Die atmosphärischen Skizzen aus Kindestagen, in Gedichte verwandelte Erinnerungen, nehmen die Leser*innen mit in eine Welt des einst Gewesenen. Dank des lyrischen Bogens von Landschaft und Mensch wird im Zweistromland zum Gesamterlebnis, das uns in eine stille, unspektakuläre Welt entführt, die doch so viel gesehen, erlebt, und wohl auch erlitten hat.  

Gedichte wie Zen-Meditationen
Mrtvy luh, in der Toten Au

Schnee fällt. seit Tagen 
löscht er, hebt er hervor

verwandelt das Land

bis übrig bleibt am Ende 
eine Radierung des Nichts 

Kurzgedichte wie diese erinnern an Haiku, eine Lyrikform des japanischen Zen, welche mittels weniger Zeilen und dem sparsamsten Einsatz an Worten zur meditativen Ruhe und Reflexion einladen wollen. Auch Janacs Lyrik vermitteln meditative Ruhe und die Atmosphärik von Weite und Stille. Wir stapfen mit ihm durch eine Landschaft, die uns entschleunigt und reduziert, die uns die leisen Töne der Ewigkeit zuflüstert, wenn wir nur innehalten und hinhören wollen.

Die Art von Zen-buddhistischer Be-ruhigung in Janacs‘ Gedichten findet in den minimalistischen Landschaftszeichnungen in Feder von Christian Thanhäuser eine kongeniale visuelle Ergänzung. Reduziert auf die nötigsten Striche, die nur das Wesentliche skizzieren, laden die Bilder zum Verweilen ein: man möchte in diese stillen, kargen Landschaften hineinsteigen und endlos dahinwandern, bis hin zu den fließenden Rändern von Himmel und Erde am Ende des Horizonts.

Federzeichnung: Christian Thanhäuser © Edition Tandem
Eisener Vorhang und Wunden der Vergangenheit

Janacs‘ Gedichte porträtieren aber auch die soziale und politische Geschichte dieser Region: das ehemalige Konzentrationslager Mauthausen, flüchtende Menschen, entvölkerte Dörfer, verlassene Gehöfte. Und dann die Zeit des Eisernen Vorhangs, der Tschechien und Österreich jahrzehntelang wie zwei unüberbrückbare Welten trennt. Janacs gehört zu jener Generation, die diese beklemmenden Dekaden der Nachkriegszeit, an die heute nur noch verfallende Wachtürme und vor sich hin morschende Sperrbäume erinnern, miterlebt hat. – Eine Zeit, die seit der Aufhebung dieser Demarkationslinie von Ost und West mehr und mehr dem kollektiven Bewusstsein entschwindet und den heutigen Millenials bestenfalls aus dem Geschichtsunterricht bekannt ist. 

abseits

früher war das hier
eine Landschaft, die ohne
Umkehr und Rückweg

auskommen mußte.
Jetzt kommen dir ständig Rad-
fahrer entgegen,

und dich befremdet,
wie versessen geschichtslos
ihre Blicke sind.

dabei müßten sie
bloß einmal absteigen und
beiseite treten

Ja, man müsste nur einmal absteigen und beiseitetreten, um den graffitiverzierten Wachturm, diesen stummen Zeugen einer vergangenen Welt, aus dem Dickicht des ihn umwachsenden Gestrüpps und Gestauders zu erspähen. Die politischen Gegensätze von Ost und West sind seit der Europäischen Union aufgehoben und die einstig beklemmende Gegenwart von Stacheldrähten, Grenzsoldaten und Passkontrollen ist dem Tourismus gewichen, der diese magische Region längst für sich entdeckt hat: Der Böhmerwald als touristischer Geheimtipp: ob Mountainbiken, Weitwandern, Therme, Wellness und Spa – von Wein und Kulinarik ganz zu schweigen – hat dieses Juwel an Landschaft nicht für jeden etwas zu bieten?

See Also

Dass diese magische Region an der nun offenen Grenze nicht nur für Janacs prägend war, teilen uns etliche Gedichte mit, in denen der Autor sich in Dialog setzt mit anderen Künstlern und Dichtern wie Adalbert Stifter, Edward Samhaber, Josef Holub oder Malern wie Alfred Kubin und Ernst Balluf – Künstler für die das Zweistromland eine Station ihres Lebens und Arbeitens war.

Federzeichnung: Christian Thanhäuser © Edition Tandem
Ein Tropfen Zeit zu Ewigkeit

Ein Hund läuft übers Feld, 
„bellt
sucht den Ast den ein Mann 
geworfen hat 
am Rand dort 
eine Frau 
schaut 
zu“

Momentaufnahmen eines Nachmittags, einer Begegnung, so beiläufig wie banal, in wenigen Zeilen fixiert, als Gedicht unter dem Titel „an der Steinernen Brücke“ in lyrischen Bernstein gegossen. Dasitzen, warten, beobachten: den Fluss der träge vorbeifliest; die Boote, die leise im See schaukeln; den Hund, der schwanzwedelnd über die Wiese fegt. Die Lektüre von Janacs‘ im Zweistromland bewirkt Entschleunigung und kontemplative Ruhe. Seine Gedichte und Berichte von der Stille nehmen uns mit in ruhige Gewässer inmitten nebeldichter Wälder und wolkenverhangener Felder. Wir atmen den Geruch von Schnee und Erde, und schauen zu wie das Farn sich entrollt.

Christoph Janacs: im Zweistromland. Gedichte. Federzeichnungen von Christian Thanhäuser. EDITION TANDEM, Salzburg/Wien 2019. 157 Seiten. Euro 18,-

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