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deine starken arme

deine starken arme

Reinhard Lechner

deine starken arme

in der nacht tobte das meer,
ein paar ruderte im boot nach draußen,
fand neu zueinander im sturm.
morgens hing da wieder ein glatter spiegel.
einmal noch spazierte ich, las barfuß im sand,
hielt inne vor biografischen funden
wie gestrandet am heathrow im lost&found,
möglich, sie kommunizierten miteinander,
aber ich mochte den einen plot nicht entziffern: 
uhren   die ray ban   eine babytrage
(längst zur krabbe verwandelt das kind…)
schilder von wägen aus übersee   pässe
(vom salz gelöscht name, akademischer grad);
alles lag unbekannt da wie muscheln
und auch etwas für mich, mich allein: der kalmar,

dieser bleichrosa riese, entgangen
seinem reich aus dunkel und druck, 

ich schritt vor sein kegelkugelauge,
lugend gen himmel, mein puls hüpfte wild 

vom ursprung allen schwarzes
(was sonst hat sein blick je erblickt?),

sah die möwen auf seiner iris,
kreischend kreisend überm jahrhundertfang,

zählte zehn tentakel (oder?)
mit kraterminiaturen vom mond, 

unendlich verschlungen (keinem einzigen
konnte ich ans ende folgen),

sah die armlangen narben, von schiffsschraube
oder pottwal beigebracht (im giganten-duell),
    
sah sie plötzlich von ihrem platz wandern 
wie striche auf einem abstrakten bild,

sich krümmen   teilen   fügen 
zu dem, was sie trafen in mir,

schrieben sie ihn: deinen NAMEN,
so lang nicht gesagt   geflüstert   gehört   

von wellen und winden dieser insel,
hatte er mich nun erreicht in meinem exil,

wie er auf seiner lila haut glühte,    
schließlich sank, zum riesenherz.

ich stieg hinter einen arm, schloss die augen,
konnte kein rühren spüren, doch insgeheim
wünschte ich, dieser marine sattelschlepper
würde, ein zweites mal getroffen vom schlag,
erwachen und mit mir in die tiefe fahren
(mir, seinem max aus stoff, so friedlich gestickt
ein lächeln). nur mehr vier stunden,
dann ging mein flug. ich lief zum chalet zurück,
fischte meine leica aus meinem koffer,
als ich wiederkam, ganz außer atem,
war er fort.

Reinhard Lechner: portraits mit riesenkalmar. Gedichte.
Erscheint voraussichtlich im April 2022 bei edition melos

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