Daniela Chana liest Knochenblüten von Monika Vasik
Selten kommt es vor, dass Lyrik informativ wie ein Lexikon ist und gleichzeitig beschwingt und leichtfüßig klingt. Die Wiener Schriftstellerin Monika Vasik hat für ihren neuen Gedichtband „Knochenblüten“, der soeben im Elif Verlag erschienen ist, außergewöhnliche Frauenbiografien aus sieben Jahrhunderten recherchiert und ihnen ein lyrisches Denkmal gesetzt.
Insgesamt achtzig Gedichte in Balladenlänge vereint die Autorin in dem Band, jedes davon ist jeweils einer bemerkenswerten Frau aus der Geschichte gewidmet. Immer handelt es sich um starke Persönlichkeiten, denen es gelungen ist, sich den vorgebebenen Lebensentwürfen zu entziehen und stattdessen ihren Drang zur Schaffenskraft auszuleben: Schriftstellerinnen, Künstlerinnen, Universalgelehrte, Philosophinnen, Komponistinnen, Naturwissenschafterinnen, politische Aktivistinnen. Die Bandbreite reicht dabei vom 14. bis ins 20. Jahrhundert, von Christine de Pizan über Artemisa Gentileschi zu Georgia O‘Keefe oder Margarethe Schütte-Lihotzky. Ganz selbstverständlich bezieht Vasik nicht nur diverse Fach- und Wissensgebiete, sondern auch unterschiedliche Sprachräume und Kulturen mit ein. Nicht zuletzt diese Vielfalt macht „Knochenblüten“ so spannend und reich an Inspiration.
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Beeindruckend und nicht selbstverständlich für einen Lyrikband ist die lange Recherchearbeit, die seiner Entstehung vorangegangen sein muss. Editorisch war es daher eine gute Entscheidung, direkt unter den einzelnen Gedichten jeweils Kurzbiografien mit den Lebensdaten und wesentlichen Errungenschaften der besprochenen Frauen anzuführen, um dem Lesepublikum die Einordnung zu erleichtern. Mehrfach taucht dabei der Hinweis auf einen Tod durch Exekution auf, der verdeutlicht, welch hohes Risiko die Frauen eingingen, um ihrer Berufung oder ihrer Leidenschaft nachgehen zu können.
Vasik hält sich nicht mit Nebensächlichkeiten auf, sondern komprimiert die Jahrzehnte einer Lebensgeschichte so gekonnt, dass in zwanzig bis dreißig Versen alles gesagt ist. Atemlos ist der Rhythmus dieser Suadas, fast durchgehend ohne Punktation, mit Ausnahme einiger taktisch gesetzter Rufzeichen, als spreche hier jemand ganz eindringlich und mit Nachdruck auf das Publikum ein. Oft zieht sich ein einzelner Gedanke über mehrere Verse und geht dann nahtlos in den nächsten über, sodass beim Lesen keine Pause, kein Moment des Innehaltens entsteht. Noch weiter beschleunigt wird das hohe Tempo durch Verkürzungen und Aussparungen, etwa in dem Gedicht „Resilienz“, welches die Lebensgeschichte von Artemisa Gentileschi aufgreift:
dies hätte schon das Ende doch Ambition sie malte weiter heilte zäh ohne Kitsch sich durch Pinsel und Farben liebte das teure Ultramarin vermochte selten es zu bezahlen
Vasik schreibt anschaulich über die schwierigen Arbeits- und Lebensbedingungen für kreative, wissensdurstige und ambitionierte Frauen. Lakonisch und manchmal mit schwarzem Humor geht sie auf die Hindernisse und Widerstände ein, die ihnen begegnen:
dass Töchter might deserve higher goals war undenkbar ihre Bildung abträglich dem Erfolg der Verheiratung [...]
Charmante Momente entstehen immer wieder, wenn Vasik in kursiver Schrift die besprochenen Frauen selbst zu Wort kommen lässt, wie etwa in diesem Beispiel aus dem Gedicht „Forschungen“ über die amerikanische Mathematikerin Katherine Johnson:
stellte wissbegierig Fragen wusste bald I had to mit dicker Haut meinte sie in jenen Zeiten be assertive and aggressive wollte Zusammenhänge erforschen the hows and whys and why-nots war bereit to be a research mathematician [...]
Das Konzept des Bandes ist stimmig und wird bis zum Schluss konsequent durchgehalten, es hätte aber vielleicht noch etwas ausgedehnt werden können. Stellenweise mag das Gefühl aufkommen, dass die Schicksale der Heldinnen einander etwas zu sehr ähneln: Vasiks Interesse gilt immer einem ganz bestimmten Persönlichkeitstypus, der nach Anerkennung, maximaler Schaffensfreiheit und beruflichem Erfolg strebt. Zweifellos ist es lobenswert und wichtig, diesen oft übersehenen Frauen ein Denkmal zu setzen, jedoch birgt diese Fokussierung die Gefahr in sich, dass nicht alle Leserinnen sich darin wiederfinden werden. Nicht jeder Mensch, egal ob Frau oder Mann, hat das Bedürfnis, als herausragende Persönlichkeit in die Geschichte einzugehen, viel bewirken und entscheiden zu müssen. Die Vorbilder, die in „Knochenblüten“ präsentiert werden, könnten für viele Leserinnen zu unerreichbar wirken. Um das Bild runder und das Identifikationspotential größer zu machen, wäre es daher interessant gewesen, noch mehr andere Perspektiven in den Band aufzunehmen: Frauen, die ihr Leben im Kleineren aktiv gestalten, ohne überfliegende Ambitionen zu haben, ebenso wie liebevolle, solidarische Männer, die in den Gedichten ebenfalls etwas zu selten vorkommen. Vielleicht läge darin ja Potential für eine Fortsetzung?
Monika Vasik: Knochenblüten. Gedichte. ELIF Verlag, Nettetal 2022. 94 Seiten. Euro 20,-