Daniela Chana liest Am besten lebe ich ausgedacht von Sabine Gruber
Es ist eine überaus anziehende und romantische Fantasie: die nachdenkliche, melancholische Dichterin, die sich rastlos auf Reisen bewegt und dabei in ihr Notizbuch schreibt. Mit ihrem soeben bei Haymon erschienen Gedichtband „Am besten lebe ich ausgedacht“ hat Sabine Gruber ein lyrisches Tagebuch geschaffen, das zu verschiedenen Schauplätzen in Italien, Österreich und Deutschland führt und dabei von Trauer, Einsamkeit und Hoffnung auf neues Glück erzählt.
Authentizität und Vertraulichkeit werden bereits durch die Aufmachung des Bandes vermittelt: Grubers „Journalgedichte“ – so der Untertitel – kommen in einem matten, blauen Kartoneinband, der an ein nostalgisch anmutendes Notizheft erinnert, die Seiten in altmodischer Manier mit schwarzem Faden zusammengebunden. Betont wird dadurch das Handgemachte, Handwerkliche. Es entsteht der Eindruck, heimlich in den Aufzeichnungen der Autorin zu blättern, ihr in die Werkstatt hineinschauen zu dürfen.
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Wie es der Tagebuchform entspricht, sind auch die einzelnen Gedichte nicht mit überbordenden, elaborierten Titeln versehen, sondern schlicht mit Angabe des Entstehungsmonats, manchmal auch des genauen Tages – jedoch ohne Jahreszahl – überschrieben. Immer ist ihnen als Untertitel ein geografischer Ort hinzugefügt, bei dem es sich mutmaßlich um den Schauplatz der Entstehung oder der Inspiration handeln mag: Zwischen „Duino, Triest“, „Leopoldstadt, Wien“, „Venedig“, „Paliano, Latium“, „Millstättersee, Kärnten“ und anderswo bewegt sich die Autorin in ihren Texten. In der Popmusik würde diese Schlichtheit wohl der Tendenz entsprechen, die Aufnahmen aus den Demo-Tapes nicht durch zu viel Studiotechnik und Produktion zu entstellen, sondern den authentischen Sound der Komposition beizubehalten. Auf diese Art entsteht eine besondere Intimität mit dem Publikum, die sich auch in Grubers Journalgedichten einstellt.
Trotz der räumlichen und zeitlichen Einbettung der Texte durch Datums- und Ortsangaben ergibt sich keine stringente, chronologische Reisebewegung, die beim Lesen wie ein „Plot“ nachempfunden werden könnte. Die Sprünge zwischen den Monaten und den Schauplätzen sind manchmal groß, das lyrische Ich ist mal an diesem und mal an jenem Ort, betrachtet seine Umgebung aufmerksam und reflektiert, jedoch ohne den Fokus dabei übermäßig auf eine innere Entwicklung zu legen. Das Beobachten von Menschen und Tieren – vor allem Möwen –, der Besuch historischer Schauplätze, diverse Lektüren und hier und da Schnipsel des tagesaktuellen Geschehens verbinden das Ich mit der Welt.
Die Frau, die in diesen Gedichten zu uns spricht, ist leidenschaftlich und rastlos, sehnt sich nach Nähe, wird aber immer wieder auch von Trauer heimgesucht, erinnert sich schmerzvoll an Vergangenes und Verlorenes. Auf der Suche nach Liebe erlebt sie manchmal Schönes, geht zumeist aber ernüchtert aus ihren Erfahrungen hervor oder begegnet diesen bereits mit prophylaktischer Ironie. Sie lässt uns teilhaben an ihrer Schlaflosigkeit, den quälenden Träumen, den Erinnerungen an schönere Zeiten. Durch leichtfüßige Binnenreime, die mitunter an Kinderlieder erinnern, scheint die Protagonistin sich an manchen Stellen selbst Trost zuzusprechen, als würde sie sich in Gedanken etwas vorsingen, um sich im Moment der inneren Anspannung zu beruhigen:
Risse in den Wänden – wer hier schon Ein- und ausgegangen ist –, Männer, gut Erzogen, und solche, die nichts als logen.
Mit dieser Verspieltheit gelingt es Gruber, den Ernst und die Schwere der Einsamkeit aufzufangen. Besonders wenn sie etwa die Suche nach Liebe anhand moderner Kommunikationsmittel thematisiert, ist es passend, dass die Form des Gedichts an einen Auszählreim erinnert:
Im Mai spiel ich Tinderadei, wische die Liebe Herbei. Ich hause im Staub, leb im Display
Die Wortspiele dienen als Instrument der Analyse, etwa wenn Gruber den gnadenlosen Konkurrenzdruck des gezielten Datings betont:
Doch wir sind, wo nichts gilt. Nach dem Match Geht das Spiel erst los, Sätze fangen, Worte Verstecken. Die schon lange spielen, brechen ab Tinderadei – Ich bleib dabei: bin unter den Linden Nicht zu finden. [...]
Grubers Sprache ist durchgehend schnörkellos und elegant und zeichnet sich durch eine Nähe zur sinnlich erlebten Alltagswelt aus: die Nudelsuppe, verschiedene Blumen- und Vogelarten, Bücher, Fernsehgeräte, das Wetter und das Meer werden mit liebevoller Aufmerksamkeit bedacht. Das auffälligste Stilmerkmal, das sich durch fast sämtliche Gedichte zieht, sind die überraschenden Enjambements, in denen mehrsilbige Worte bedeutungsschwer zerrissen werden, wie etwa: „das blinde Ver / Trauen“, „Die Sehn / Sucht“, „nicht einmal Aufwärm / Gefühle“, „allein / Stehend“.
Als einziger Kritikpunkt wäre anzumerken, dass der Band recht schmal ausgefallen ist: Nur knapp über vierzig Seiten mit Gedichten werden uns hier geboten, es hätte gerne etwas mehr sein dürfen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Inhalt auf ganzer Linie zu überzeugen vermag.
Sabine Gruber: Am besten lebe ich ausgedacht. Journalgedichte. Haymon, Wien 2022. 48 Seiten. Euro 18,-