Stefan Schmitzer über Helmut Eisendle
Wenn wir im Jahr 2022 auf amazon.de den Namen von Helmut Eisendle eingeben, erhalten wir Suchergebnisse im Umfang von immerhin elf Seiten. Das sind allerdings v. a. Zeitschriften, antiquarische Bücher und gelegentlich algorithmische Irrtümer („Kuckuck! – Welches Tier versteckt sich hier?“). Die einzigen zwei Titel, die es neu – im Sinn von nicht gebraucht – zu finden gibt, sind der Roman „Jenseits der Vernunft oder Gespräche über den menschlichen Verstand“ (Gemini Verlag, 2001) und Eisendles Hörspiel „Wie man verschiedene Geräusche erzeugen kann“ mit Helmut Qualtinger („als Audible-Hörbuch zum Gratisdownload“). Selbst jenes „Glossar über die Verwendung von Giftpflanzen für den ästhetischen Täter“ namens „Tod & Flora“ – eine Materialsammlung Eisendles aus allerhand botanischen Quellen, die Thomas Eder 2009 für Jung und Jung herausgegeben hat – müssen wir gesondert suchen (der Autor ist zwar vermerkt, scheint aber vom System nicht als derselbe Eisendle erkannt zu werden, der auch jene anderen Bücher … ach). Was weit und breit nicht aufscheint, sind Neuauflagen eines der zahlreichen Romane und Theater- oder Rundfunktexte des Autors – von einer Werkausgabe ganz zu schweigen.
So rächt sich, neunzehn Jahre nach Eisendles Tod, sein zu Lebzeiten so besonders verstreutes, besonders projektbezogenes Publizieren. Es macht den Anschein, die schiere Menge seiner vielfältigen Produktion habe dem Autor zeitlebens strategischeres, gezielter portioniertes Publizieren schwer gemacht. So umfasst sein Werk ganz unterschiedlich situierte Produkte: von der ISBN-losen Kleinauflage im Selbstverlag (oder auch z. B.: „Reproduktion, Druck und Endfertigung: Grafische Abteilung der Landesberufsschule 7 Graz“) bis zum Buch bei Fischer, rororo und Residenz ist alles dabei. Dementsprechend stünde heute der Personalaufwand, den es mit sich brächte, selbst nur mal die verstreuten Rechte an diesem umfangreichen Werk einzusammeln, in einem klaren Missverhältnis zur damit verbundenen Gewinnerwartung.
Das literarische Schaffen des zeitweilig praktizierenden Psychologen behavioristischer Schule, (in jungen Jahren) Pharma-Handelsvertreters, des Bewohners zahlreicher Städte und überaus produktiven Impulsgebers der österreichischen Literatur – es überwintert somit fürs Erste in den Rundfunkarchiven und Universitätsbibliotheken. Das ist so nachvollziehbar wie lächerlich.
Nachvollziehbar ist das als Funktion des tendenziellen Verschwindens einer eigenständigen österreichischen Literatur. Will sagen: die Tradition von sprachskeptischem Experimentieren als Unterhaltungsprogramm, der Eisendle angehörte, droht bei der Leseöffentlichkeit ja derzeit eher in Vergessenheit zu geraten, von ein paar Charakterköpfen abgesehen, die sich aber auch bloß als Karikaturen im Bewusstsein halten – Artmann und Jandl sowie, wenn’s hochkommt, noch Jonke.
Zugleich dagegen lächerlich ist es, weil hier ein Lebenswerk auf dem Abstellgleis vor sich hin rostet, das instruktiv Anteil an jeder einzelnen entscheidenden Entwicklung österreichischer Literatur als Ästhetik und Betrieb von 1970 bis 2000 hatte. Meist an jenen Stellen, wo heute österreichische Gegenwartsliteratur in ihren Hervorbringungen kurz jenen Vorhang lüftet, der sonst die eigene soziale Eingebettettheit außer Sicht hält – sagen wir: die Existenzen und Lesegeschmäcker zwischen Ö1, Universitätsmilieu-Jargon, tendenziell räudiger Salonparty und unernst weinerlicher Theatralität – da hören wir formale Impulse fortwirken, die wir zuerst, oder am klarsten, bei Eisendle finden.
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Zu diesen Impulsen, die Eisendle natürlich nicht erfunden hat, gehört das gleichzeitige Erfüllen mehrerer einander scheinbar ausschließender Vorgaben, etwa das Spiel mit außerliterarischen Sprachregistern und Textsorten als Belletristik.
Sein erster Roman, „Walder oder Die stilisierte Entwicklung einer Neurose“ aus 1972, funktioniert beispielsweise als unterhaltsam inszeniertes Exemplar der Textsorte „Lehrbuch“ auf dem methodologischen Stand seiner Zeit, mit didaktischer Wiederholung von Schlüsselwörtern, auszufüllenden Leerstellen im Text (was zu jenem Zeitpunkt, unter Berücksichtigung der je umseitig abgedruckten „richtigen Antworten“, keine ganz triviale Herausforderung für den Schriftsetzer gewesen sein kann) und völlig transparenten „Lerninhalten“. Zugleich ist das Buch aber lesbar als Roman vom Leben und tragischen Sterben eines autoritär-sadistisch geprägten Dorfgendarmen, einer archetypischen und dabei individuell doch plausiblen Gestalt. Der mehrfach scharfe Kontrast zwischen den drei konstitutiven Elementen – einer objektiv lächerlichen Figur, einer didaktisch-klinischen Sprache und einer nachempfindbar tragischen Erzählhandlung – erlaubt uns Leser*innen zwar olympisches Gelächter über das Leiden des Arschloch-Protagonisten, doch die wahre Pointe ist, dass der Text eben zugleich allen intrinsischen Kriterien jener didaktischen Präsentation psychologischer Begriffe genügt. Wir zitieren aus dem ersten Kapitel:
LS 1/10 1 Da dem Säugling DENKEN NOCH NICHT MÖGLICH IST, weil ihm 2 DIE SPRACHE FEHLT, können Lernprozesse nur in Form von 3 Konditionierungen (Strafen schwächen unerwünschte 4 Verhaltensweisen - Belohnungen verstärken erwünschte 5 Verhaltensweisen) durchgeführt werden. 6 STRAFE oder NICHTBELOHNUNG = SCHWÄCHUNG von bestimmten 7 Reaktionen 8 BELOHNUNG = …………… von bestimmten Reaktionen LS 1/11 9 Mutter …………… wußte um diese Tatsache NICHT Bescheid. Wenn 10 sie glaubte, es sei Zeit, daß Josef seine Notdurft verrichte, 11 fragte sie denselben: "MUAST WISCHALN, JOSEF?" 12 Josef, des Sprechens unkundig, reagierte nicht, worauf die 13 …………… annahm, er müsse nicht. Die Folge war: Josef näßte 14 und kotete, zwar seinen biologischen Funktionen gemäß, aber 15 gegen den Willen seiner …………… .
Die Inszenierung der tatsächlichen (also nicht bloß um der Oberflächenkomik halber behaupteten) Binnenlogik eines Tonfalls oder eines Soziolekts als Objekt der Belustigung hat Eisendle wie gesagt nicht erfunden – wir denken an Artmanns Pastichen, oder an die Rolle, die der Wechsel zwischen Mundart und Hochsprache in Merz‘ Der Herr Karl spielt – doch die Anwendung des Prinzips auf wissenschaftliche Fachsprachen und Textsorten scheint (zumindest für den deutschsprachigen Raum, zumindest für jene Generation) auf sein Konto zu gehen.
Im Nachwort zur Sammlung „Die Gaunersprache der Intellektuellen“ aus 1986, die einige seiner Hörspiele aus den zehn vorangegangenen Jahren umfasst, schreibt Eisendle:
Die formalen und stilistischen Ansprüche und Bemühungen derer, die die Sprache benützen (…), um ein Bild der Welt zu erzeugen, haben oftmals bewiesen, daß alles, was unsereiner mit der Ordnung und der Verwendung des Alphabetes erreichen kann, unabdingbar einem Solipsismus angehört. Selbst die Wissenschaft hat zwar das Private und Individuelle dieser solipsistischen Betrachtungsweise einer Welt relativiert, doch aber nur eine metasprachliche zweite Welt erzeugt, welche die betrachtete Natur zum Teil simuliert, nicht aber abbildbar macht. Daß, von der Literatur her betrachtet, der von mir vertretene Solipsismus nur über den Verlust der Individualität und über eine verflachte Verallgemeinerung zum Verstehen führt, heißt Öffentlichkeit mit der Etikette des Oberflächlichen versehen. Der Inhalt, das Mitteilenswerte verliert sich durch die Dekadenz der Sprache zum allgemeinen Gebrauch.
In jenem Band finden wir unter anderem auch das Hörspiel „Obduktion“ aus 1974 (dessen Ursendung übrigens zehn Jahre auf sich warten ließ und erst 1985 in einer Produktion aus dem Landesstudio Steiermark ausgestrahlt wurde). Hier ist es die Fachsprache der Pathologie, die literarisch vernutzt wird, und zwar zur Illustration und grotesken Übersteigerung eines Gestus von, sagen wir, „wackerem Nihilismus“: Die zwei Figuren „Kaiser“ und „Schubert“ parlieren im Suff über die Obduktion, der einer der beiden beigewohnt hat, und mit den dort freigelegten Details menschlicher Anatomie samt den Feinheiten diverser Erkrankungssymptome an den Organen breiten sie einander ihre Weltsicht aus. Die Weltsicht in question: sich das allerräudigste, jedenfalls ungesunde und „mit Ansage“ sinnlose Saufen und Kettenrauchen im Wirtshaus zum Triumph der feineren Empfindung schöntrinken, als wär’s der Sieg wahrhaft menschlicher Selbst-Behauptung wider die „bloße Natur“ und den Überlebenstrieb. Besoffene Romantiker als Selbstmordattentäter gegen so überkommene Konzepte wie Gesundheit und Wohlbefinden, mit der Beschreibung des zerlegten Körpers (der Summe seiner Organe, Schichten und Knorpel) als einer diesseitigen Litanei.
Das Dreigestirn der einander in komischer Weise gegenseitig ausschließenden Momente im Text ist hier: erstens ein lächerlich übersteigertes Selbstgefühl der zwei Säufer, als wären sie todesverachtende Helden, zweitens das faktische Korrelat solchen Heldentums – ihre wahrhaft banale Wirtshaushockerei –, und drittens die kühl beschreibende Fachsprache der Pathologie als, ganz wörtlich, das wissenschaftliche Bild vom Menschen…
Silvia Stecher und Tanja Peball haben im Zuge einer mehrtägigen Veranstaltungsreihe zu Eisendles achtzigsten Geburtstag 2019 in Graz dieses Hörspiel als szenische Lesung inszeniert, – der Verfasser dieser Zeilen durfte bei dieser Gelegenheit die aus dem Dialog geschnittenen Obduktionsschilderungen vortragen, mit dem Rücken zum Publikum zwischen den zwei Trinker(inne)n sitzend. Die Übertragung des Hörspiels in den Raum physischer Präsenz lenkte mitnichten vom programmatisch strengen Charakter des Gebildes ab; der Unterhaltungswert war trotzdem enorm. (Von mir) nicht mehr festzustellen ist, ob im Zuge des anschließenden Filmabends im Forum Stadtpark auch Peter Zachs legendärer Dokumentarfilm über den Autor gezeigt wurde, „Der Abendländer“ aus 2001, der Material aus 16 vorangegangenen Jahren zu einem „Roadmovie nach Europa“ organisiert. Dass mit Heinz Trenczak einer der Kameramänner jenes Films die posthumen Geburtstagsfeierlichkeiten 2019 mitorganisierte, legt es allerdings nahe … Auffällig war bei jener Gelegenheit die Anwesenheit und das gedeihliche Nebeneinander von Vertreter*innen sehr unterschiedlicher Herangehensweisen an das Ding Kunst (nicht nur Sprachkunst) – Eisendle hatte, wie greifbar wurde, Spuren in weit voneinander entfernten Denkwelten hinterlassen.
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Sein Programm entfaltet wie angedeutet seinen vollen Unterhaltungswert erst in der Reibung zwischen den Registern, mithin nicht direkt im Ausgesprochenen. Das wirkt auf den ersten Blick auch dann „anspruchsvoll“, wenn es das tatsächlich nicht ist, ja sogar, wenn die Absage an „Anspruch“ und Bildungsballast inhaltlich gerade das Thema darstellt. Eisendle war eine doppelte Offenheit zu eigen: einerseits zur technisch gewendeten Aufklärung, zur klaren, scharfen und unsentimentalen Moderne hin, und andererseits zum Erbe der Kabarett- und Pawlatschenbühnen als Orten ästhetischer Selbstvergewisserung.
Das erfordert genaue Lektüren. Erst ihnen erschließt sich, wenn in der Fachsprache die Kasperlefiguren zu sich kommen, oder erst im wienerischen Raunzen die Wissenschaften verständlich werden. Das Zauberkunststück besteht, wie wir oben gesehen haben, im Erfüllen der Satzungen der einen Textsorte, indem den Regeln einer anderen gefolgt wird. Das ist nicht nur Jonglage, sondern schon auch Hermeneutik.
Dass Eisendles Literatur trotz allem diesem als Beispiel einer mehrheitsfähigen Position österreichischer Literatur – überhaupt: österreichischen Unterhaltungsprogramms – dienen kann, verdankt sich einer Reihe von Kontingenzen der Mediengeschichte der Nachkriegszeit bei uns. Unter ihnen: die Funktion der Theater und Kabaretts als Personalreserve für den ORF, der wiederum das Medium der Selbstvergewisserung der jungen Republik war, zwanzig Jahre, bevor Eisendle anfing zu schreiben. Auch unter ihnen: das Hintergrundrauschen des kalten Krieges in den siebziger und achtziger Jahren (und eigentlich wäre an dieser Stelle ein Exkurs in der ungefähren Länge einer Dissertation fällig).
In diesem Zusammenhang ebenfalls zu betonen: die Rolle des produktiven Missverständnisses zwischen Verfasser*in und Rezeption. Es vollzieht im Wesentlichen den weiter oben beschriebenen Kippeffekt zwischen den gleichzeitig präsenten Textsorten nach, wird aber nicht planvoll vom Autor ins Werk getragen, sondern „urwüchsig“ von den Rezipient*innen ins Werk projiziert. Es führt etwa dazu, dass der theoretische Gehalt eines Werks – bei Eisendle stets auf der Höhe akademischer und quasi-politischer Diskurse, die das Wesen von Sprache und Wirklichkeit betreffen, Fragen von freiem Willen und Determiniertheit – sich auch als bloß schrullige Spielvorlage nehmen lässt, die keinen Zweck hat als das Vorbereiten der besonders „treffenden“, lustigen Pointe. Der Theoretiker des linguistic turn wird seinen Lesern zum Gaukler, die Intellektuelle (siehe jenen Buchtitel) zur Sprecherin einer Gaunersprache.
(Jandl plagte sich zeitlebens mit einem ähnlichen Missverständnis – als wäre die Reduktion der Sprache auf ihre Materialität bloß heiter, und nicht zunächst bedrohlich …)
Einlassungen über Schönheit und Machart eines bestimmten Bildes oder über die statischen Eigenschaften einer Brücke nehmen meist nicht selbst die Gestalt von Bildern oder Brücken an. Über sprachliche Äußerungen dagegen, ach, äußert man sich am trefflichsten in wieder anderen sprachlichen Äußerung. Dieses Doppelcharakters der Sprache – als Medium und zugleich als Objekt der Äußerung – bediente sich Eisendle häufig, und bewegte sich damit, wie schon skizziert, auf dem Boden von Sprachkritik und Sprachskepsis.
Aus dem Gefängnis der Sprache gibt es kein Entkommen, zumindest nicht durch noch mehr oder noch genauere Sprache: jedes Zeichen meint, siehe weiter oben, stets nur andere Zeichen. Zugleich werden und müssen wir uns doch irgendwie in einer nicht-nur-sprachlichen Welt orientieren und verhalten, müssen uns unserer selbst vergewissern und miteinander verständigen. Konsequenterweise läuft das – wenn wir das Gefängnis erst einmal als ein solches erkannt haben – entweder auf individuell vorsätzliches Dummstellen hinaus, oder zweitens auf unbekümmert hohlen Pathos, oder drittens auf sprach- und handlungsloses Mystifizieren, oder zuletzt viertens auf die Schreckensvision einer „Uhrwerkwelt“, in der sich menschlich-gesellschaftliches Leben, ja der Ablauf der Historie selbst als bloße Folge sprachlicher Eigengesetzlichkeiten sozusagen automatisch vollzieht, ohne Bewusstsein oder Einspruchsmöglichkeit der humanen Scheinsubjekte, die so determiniert von den Launen ihrer Sprache sind wie Tamagotchis von denen ihrer Spieler*innen.
In einem weiteren Sinn unterhaltende Literatur, die mit diesen Ansätzen (anschließend an Mauthner, Hofmannsthal, Marianne Fritz und, eben, Eisendle) bewusst umgeht, scheint zumindest mir selten geworden zu sein. Freilich gibt es zeitgenössischere Ansätze, um an die die Grenzen des sprachlich Möglichen zu gehen – jene Textplaneten, die sich in den letzten zehn, fünfzehn Jahren in Schwerkraftschächten um die Schlagworte Anthropozän, Cyborg, und nature writing gebildet haben. Sie stimmen zwar mit jenen älteren Impulsen der Sprachskepsis in der Wahrnehmung der unüberschreitbaren Schwelle zwischen Rede und Welt überein … dies dann aber eher, scheint’s, als Fachproblem für die genaue Weltbeschreibungen an der Grenze dessen, was der Mensch (zwischen Tier, Maschine, unbelebtem Staub) wäre oder nicht mehr wäre. Die Alltagsrede dieses Menschen – seine „Menschlichkeit“ – bliebe dabei von den aufgeworfenen Schwierigkeiten unberührt, und er wird mitsamt seiner urwüchsigeren Sprache (zugleich auf gut österreichisch und der Sache angemessen) im Kraut gelassen.
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Zusammenfassend: Die Wurzeln zeitgenössischer österreichischer Literatur, inklusive ihres Mainstreams, reichen auch zurück in diese eine Schreib- und Denkweise, mit der eine Alltagswelt „realistisch“ abgebildet und unterhaltsam inszeniert werden konnte, die vor sich selbst begrifflich und existenziell unhaltbar geworden war.
Dass das greifbare Gedächtnis dieser Schreibweise, das aufgefaltete Elaborat jener Unhaltbarkeit (die ja seitdem nicht etwa verschwunden wäre) in Form literaturwissenschaftlich weiterhin rezipierter Bücher wie Das nachtländische Reich des Doktor Lipsky oder Der Narr auf dem Hügel bloß noch antiquarisch vorliegt, ist tatsächlich ein Witz; einer, aus dessen Pointe Eisendle ein Hörspiel gemacht haben könnte.Um zu allem diesem Doktor Ganser zu zitieren, in einem fast wahllos herausgegriffenen Auszug aus Eisendles Dramolett „Abendwien oder Die schönste Landschaft ist das Hirn“ (entnommen der Sammlung „Antropophagen im Abendwind“ aus 1988, die den Text von Nestroys Operette „Häuptling Abendwind oder Das Greuliche Festmahl“ sowie zeitgenössische „Antworten“ darauf von Eisendle, Jelinek, Moníková und Pastior umfasste):
DR. GANSER stützt seinen Kopf in die Hände: Langsam wie es einem Verstorbenen gebührt, trete ich meinem Ich nahe, diesem Mörder-Ich. Ich fühle mich dabei wie ein edles Gespenst, ein Einhorn vor diesem ehrlos verblichenen Ding, das man Ich oder Seele nennt … DR. HIRSCHFELD: Aber Herr Kollege, wer wird denn? Was denn? Was ist denn? Es ist doch alles in Ordnung? ANITA: Doktorchen, bist du traurig? NOTZING: Er denkt zu viel. SCHRENCK: Er trinkt zu viel. ANITA: Er liebt zu wenig. DR. HIRSCHFELD: Herr Kollege, ich bitte Sie, Beherrschung. Nehmen Sie Haltung an. Ich bitte Sie. DR. GANSER: Die Wirklichkeit hat sich gegen mich verschworen. DR. HIRSCHFELD: Welche Wirklichkeit? DR. GANSER schreit: Mein Ich, mein Ich, mein Ich ist ein fressendes, gefordertes Opfer. Opfer und Täter zugleich. NOTZING: Ich trinke auf die Dummheit der Intellektuellen, Prosit. DICK: Bravissimo.