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Text als Prozess

Text als Prozess

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Christoph Szalay liest Cody-Rose Clevidence’s Listen To My Friend, This Is The Dream I Dreamed Last Night

Ich habe eine Liste angelegt, einen Liebesbrief all jener Ausstellungen, Performances, Bücher, deren Titel bereits ein ganzes Buch sind, eine Welt, die wächst, beim Lesen. that low hanging kind of Sun, the one that lingers two feet above your head, (never dying) house plants in exchange for your love, who are you kissing, when you kiss a mask? – Ruby Anyinyechi Amanze. And when everything is over nothing will be left and you will hear it – Joar Nago. You get light enough and you levitate – Agnes Martin. How to Disappear Completely – Doug Richmond. And if I devoted my life to one of it’s feathers? – Cecilia Vicuña. u.a. Manchmal wünsche ich mir Bücher, die nur aus ihren Titeln bestehen und manchmal, dass das, was danach folgt, nie aufhören, sondern Zeile um Zeile einfach weiterreichen würde. Immer und immer weiter. Selten, aber hin und wieder finde ich Dinge, die beides mit sich tragen – einen Titel, der selbst bereits eine ganze Welt ist und die Zeilen danach, die sie ein ums andere Mal neu und anders bauen. Einer der letzten Bände von Cody-Rose Clevidence etwa.

Es ist nicht der erste, den ich lese, im Gegenteil, es ist einer von mehreren, aber es ist der letzte, der einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, wie auch alle anderen zuvor. Beast Feast etwa, erschienen 2014. Eine radikale Auseinandersetzung mit Sprache als Material bzw. eine bewusste Implosion dessen, was Mensch als Sprache begreift und sich zur Grundlage gemacht hat, nicht zuletzt ein Versuch, neue agencies (ab) zu bilden und artikulieren, solche, die spezienübergreifend agieren. For Kin Makers of all the Oddkin, heißt es zwei Jahre später bei Haraway in der Widmung zu Staying with the Trouble. Die Verweise und Bezüge bleiben bestehen bei Cody-Rose Clevidence, ziehen sich wie ein Faden durch die poetischen und diskursiven Suchbewegungen. Der Ton ist anders. Die Welt vor allem, aus der heraus der Text entsteht, ist eine andere – 2019, 2020. Speaking of, damit beginnt der Band auch, am Cover, mit der Entstehung von allem, einem Blick ins Universum, einer ins Schwarz-Weiß gerenderten Photographie des Hubble Teleskops, zumindest ist das die Vermutung, ohne jedoch eine Quellenangabe dazu zu finden. Darüber der Titel, groß genug, um ihn sich an die Haut tätowieren wollen zu lassen.

Listen My Friend, This Is the Dream I Dreamed Last Night

Erschienen 2021 in der Edition The Song Cave, Brooklyn, NY, ist der Band kein klassischer Gedichtband, oder das, was darunter zum größten Teil verstanden wird, sprachlich, wie formal. Es ist ein Lauftext, der sich über rund 120 Seiten zieht, am Ende ergänzt um sechs Seiten (Fuß)Noten. Listen My Friend, This Is the Dream I Dreamed Last Night agiert in jenen (Zwischen)Räumen, in denen das Potential von Text generell und der Lyrik bzw. dem lyrischen Sprechen und Schreiben ganz speziell liegt – dort, wo Gattungs- und Genregrenzen ausgehoben werden, um sie wo- und anders (wieder) zusammenzufügen.

Es ist ein Schreiben in Inter- und Transtextualitäten. Ebenso wie es ein Zelebrieren des Prozesses ist, eine Negation der Abgeschlossenheit, der Behauptung einer solchen Abgeschlossenheit, die Büchern immer wieder bzw. zu einem großen Teil eingeschrieben ist.

Listen My Friend, This Is the Dream I Dreamed Last Night zu lesen, heißt stattdessen den Suchbewegungen von Cody-Rose Clevidence zu folgen, den Abweichungen und Umwegen, dem Versuch, wieder zurück-, oder woandershin zu gelangen – in und mit der Sprache und der Welt, die diese umgibt. Natascha Gangl oder Shaka McGlotten, die und deren Arbeiten mir währenddessen ein- und zufallen, über die ich wieder falle, stolpere, tremble, tiptoing, während dem Nachdenken über Abgeschlossenheit und Vorläufigkeit, Behauptung und Prozess. Sie sind, wie Clevidence, stets nur Anordnung, Schritte, die gesetzt und jederzeit wieder zurückgegangen werden können und auch werden. Revidieren der eigenen Aussagen, Formulierungen und Bilder, um andere, neue zu finden. Daraus ergibt sich eine Struktur der Prozessualität, im fortlaufenden Wachsen und Wundern begriffen und als Leser:in wird man mitgenommen, miteinbezogen. Helwig Brunner schrieb in einem Artikel auf der Seite hier davon, dass eine gute Lektüre immer auch gleichzeitiges Notieren und Schreiben bedeutet. Auch das trifft auf den Band zu, zumindest für mich, bei mir. Es ist ein beständiges Schweifen, nahe am Abschweifen, in eigene Überlegungen und Formulierungen.

Zuletzt zur Sprache. Listen My Friend, This Is the Dream I Dreamed Last Night ist auch dort und dabei Hybrid. Eine Komposition im kontinuierlichen Wechsel zwischen persönlicher und poetischer, intimer Notiz und diskursiver Auseinandersetzung und Anteilnahme. Cody-Rose Clevidence greift dabei durch Raum und Zeit, durch Disziplinen, legt Strukturen der Gewalt offen, und landet immer wieder in der Natur, als eigentlichen ally des Menschen, wäre er nicht damit beschäftigt, sich darüber hinwegzusetzen, die letzten Endes dennoch sämtliches Post- und Anthropozän, Kapitolozän, Pyrozän, etc. überwintern wird. Oder

See Also

Without the process of accumulation, wealth would at once fall back into the opposite
process of disintegration through use and consumption.“ - Arendt. fair land of liberty, 
of thee I sing the electrons pressed through a thin wall of our mitochondria, the DNA 
of which is distinct from the DNA of the rest of us, inside us, the surplus energy required
to grow our big bodies and move around. the chlorophyll in the grass covering the 
artificial trash-heap hills. the bacteria in our water. petrofertilizers doubling, tripling 
agriculturalyields. the machine that cuts down the forests, in time-lapse, to clear the 
way for the new airport, in Danxing, Bejing. what about the „permanence inherent in 
the commonly shared world,“ Arendt. (…) I'm sorry. I don't really know how anyone 
bears anything. (…)

Das ist eine Frage, die ich mir selbst beim Lesen von Listen My Friend, This Is the Dream I Dreamed Last Night immer wieder stelle. Immer und immer wieder. Die Sätze sind zu groß, zu schön, zu schwer, um sie auszuhalten. Im Guten as in: I would tattoo them on my skin even though it’s hurtful (im mehrfachen Sinne). Manchmal reichen der Titel und die Welten zwischen Anfang und Ende nicht, um genug zu bekommen von den Bildern. Für Listen My Friend, This Is the Dream I Dreamed Last Night gilt genau dies. Und mehr. Muchmuch more, oder each thing implies a whole history of other things: (…)

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