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Der Dichter zwischen Archiv und Sinnlichkeit

Der Dichter zwischen Archiv und Sinnlichkeit

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Daniela Chana liest Christoph W. Bauers an den hunden erkennst du die zeiten


cover bauer christoph w. an den hunden erkennst du die zeiten

Den neuen Gedichtband „an den hunden erkennst du die zeiten“ von Christoph W. Bauer zu lesen bedeutet, einzutauchen in eine reiche Gedankenwelt voll literarischer und historischer Bezüge. Dennoch – und das ist die große Kunst – gehen das Persönliche und das Erleben der Gegenwart dabei nie verloren. Immer wieder spielt Bauer mit intertextuellen Verweisen auf griechische, lateinische, aber auch moderne Klassiker, oft in der Originalsprache zitiert, manchmal leicht variiert. Bauer zeigt seine Souveränität als Lyriker in der wilden Collage, die am Ende zu einem stimmigen Ganzen führt: Es gelingt ihm, innerhalb eines Gedichts ein lateinisches Ovid-Zitat abzuwandeln und wenige Zeilen weiter Fabelwesen der nordischen Mythologie erscheinen zu lassen, ohne dass es beliebig wirkt. Vielmehr ist es ein völlig logischer Gedankensprung, von der Naturbetrachtung des klassischen Dichters im Exil zur Personifikation der Naturphänomene in den nordischen Mythen zu wandern – hier wie dort geht es um die erzählerische Bewältigung des scheinbar Unbeherrschbaren, Ehrfurchtgebietenden.

© Haymon Verlag

Ebenso stimmig führt daher der nächste Gedankensprung im selben Gedicht zur Erfindung der Stacheldrahtzäune, angestoßen durch die geradezu poetische Bezeichnung, welche die amerikanischen Ureinwohner ihr verliehen: „devil’s rope“, die wiederum rückverweist zu den Fabelwesen und dem verbannten Dichter. Spürbar wird dadurch das Gemeinsame, geradezu Umarmende der verschiedenen Denk- und Erzähltraditionen. Der Vorgang des Dichtens, so scheint es, löst Grenzen auf, zeitliche ebenso wie räumliche.

Selbstreflexion des Poeten

Ein wiederkehrendes Thema ist die Selbstreflexion des Poeten. Was bedeutet Ruhm? Ist es erstrebenswert, wenn die eigenen Schriften archiviert werden? Was bringt es, „in tabellen und referate“ einzugehen? Indem Bauer konstant in einen Dialog mit den Klassikern tritt, scheint er selbst bereits die Antwort darauf zu geben: Das Bewahren und (Immer-wieder-)Lesen alter Schriften bildet die Grundlage für neues Schreiben, regt zu Assoziationen an, die Gedankenräume öffnen. Möchte man sich die Geschichte der Lyrik als einen Dialog vorstellen, der bereits seit Jahrhunderten andauert und von unterschiedlichen Seiten geführt wird, so erweist sich Bauer als ironisch-humorvoller, aber auch höchst einfühlsamer Gesprächsteilnehmer, der sich auf Augenhöhe mit den Größten befindet.

Trotz der zahlreichen literarischen Anspielungen gelingt Bauer das Kunststück, nicht in einer bloßen Poetologie zu verharren, sondern ebenso das sinnliche Erleben der Gegenwart in seine Gedichte einfließen zu lassen. Die Schauplätze der Kindheit und Jugend werden lebendig, indem man „das ächzen der dielen“ hört oder „das innstraßenland / mit seinen sauflokalen pizzarien kebabbuden“ vor sich sieht. Gleichermaßen greifbar und treffend komprimiert erscheint das Selbstbildnis des rauchenden Dichters vor dem geistigen Auge:

während ich

bei einer zigarette
meinen gedanken nachhänge
zug um zug lasse ich mich treiben

das knistern des papiers 
öffnet ungeahnte räume schon

In seiner klaren und schnörkellosen Sprache verleiht Bauer Gedanken Ausdruck, die auch weit über die Lektüre hinaus im Gedächtnis bleiben. Zum Beispiel denkt das lyrische Ich in einem Gedicht über Mnemosyne, die Göttin der Erinnerung und der Sprache, nach, gelangt dadurch assoziativ zu dem argentinischen Schriftsteller Borges und landet am Ende im eigenen Erleben, das zu einer überraschenden Schlussfolgerung führt:

und sehe mich plötzlich auf einer fahrt
nach wien in meinen händen ein buch des
argentiniers was ich auf der rückreise
gelesen habe kann ich noch nicht erinnern

Er kann „noch nicht erinnern“ – statt des in der Alltagssprache häufiger gebrauchten „nicht mehr“ – und macht somit deutlich, dass Erinnerung Abstand braucht. Durch die Reise wird angedeutet, dass diese Distanz vielleicht nicht nur eine zeitliche, sondern manchmal auch eine räumliche sein muss.

Mehrdeutigkeit durch Form

Durchgehend erzeugt Bauer Sinn und Mehrdeutigkeit durch Enjambements und den Verzicht auf Satzzeichen. So lässt er sich etwa in einem Gedicht von Kindheitserinnerungen davontragen wie ein Ball. Plötzlich spaltet sich das lyrische Ich ab von diesem Ball und wird zum Betrachter, der ihm nachschaut, wie er davonrollt, bis es schließlich heißt:

See Also

 noch sehe ich ihn kleiner

werdend verschwindet er in der zeit

Die Trennung zwischen „kleiner“ und „werdend“ fügt dem Bild eine neue Bedeutungsebene hinzu: Wird der letzte Vers für sich alleine gelesen, fällt das „kleiner“ weg und übrig bleibt: „werdend verschwindet er in der zeit“. Im Werden geht die Vergangenheit verloren – ein melancholisches Fazit für einen Lyrikband, der das Thema Zeit auf so vielfältige und gewinnende Weise aufgreift.


Christoph W. Bauer: an den hunden erkennst du die zeiten. Haymon, Innsbruck, 2022. 104 Seiten. 19,90 Euro.

Lesen Sie hier das Gedicht irgendwann fing ich an zu laufen aus diesem Band.

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