Klaus Ebner liest Jörg Piringers günstige intelligenz
Der Titel ein Wortspiel: von der „künstlichen Intelligenz“ zur „günstigen Intelligenz“. Jörg Piringer, geb. 1974 in Wien, seines Zeichens nicht nur Schriftsteller und Aktionskünstler, sondern auch Informatiker, befasst sich mit den Möglichkeiten, Lyrik über Künstliche Intelligenz (KI, oder englisch AI/Artificial Intelligence) zu erzeugen. Dabei handelt es sich um Software, die inzwischen menschliche Sprache verstehen und erzeugen kann. KI-Systeme greifen auf Unmengen von Daten zu und werden für den Einsatz „trainiert“, damit sie möglichst zielsicher auf Eingaben reagieren können.
Piringer verwendete ein öffentlich zugängliches KI-System, das bereits vortrainiert ist und daher „out of the box“, wie IT-Affine sagen, verwendet werden kann. Dabei behielt er als Autor die Fäden in der Hand. Er definierte die Aufgabenstellung und setzte die Maschinenintelligenz darauf an, Antworten bzw. Ergebnisse zu produzieren. Diese hat Piringer geprüft und eine Menge davon verworfen; doch was ihm zusagte, übernahm er, wie er schreibt, unverändert.
Cover © Ritter Literatur
Herausgekommen sind dabei Texte, die wie Gedichte aussehen und es in gewisser Weise auch sind. Dabei handelt es sich zumeist um ungewöhnliche, um nicht zu sagen: schräge Texte, die in der Regel zwar syntaktisch völlig korrekt sind, aber ob ihrer Semantik immer wieder zumindest überraschen. So etwa lautet eine der Strophen, die das Computerprogramm ausspuckte:
du hast mir die hörengrün-erweiterten augen, asynchron geschlossene augenlider, zurückgebracht. unsere behandschuhten körper streicheln einander. mit der seidenen roten zungenspitze leckst du die lippen in der stillsten nacht.
Als ich das Buch nach dem Lesen des Klappentextes zum ersten Mal öffnete, dachte ich, es bestünde in seiner Gesamtheit aus maschinell gefertigten Texten. Das ist jedoch nicht der Fall. Jörg Piringer schrieb in diesem Band auch eine ganze Menge selbst, es sind wohl an die zwei Drittel. Folglich tauchen wir mehr in die kritische Gedankenwelt des Autors Piringer ein als in die Gedanken der Computersoftware, sofern Letztere überhaupt solche sind.
Künstliche Intelligenz einordnen
Alle Texte Piringers verwenden durchgehend Kleinschreibung, bei jenen der KI-Software gibt es auch Standard-Großschreibung. Manche enthalten eine vollstände Zeichensetzung, andere verzichten darauf. Was die beiden unterscheiden, ist, dass Jörg Piringer über seine Arbeit mit der KI reflektiert und den Leser*innen darlegt, was er tut und wie er verfährt. Es sind Erklärungen zu den Maschinentexten, seine Überlegungen, Beobachtungen und Kommentare. All das notabene ebenfalls in Gedichtform. Dass der Informatiker-Schriftsteller über ein fundiertes Fachwissen verfügt und philosophische Überlegungen anstellt, trägt nicht nur zum Verständnis, sondern auch zum Genuss der Lektüre bei.
Mit dem Abwechseln von „erklärenden“ Texten und den künstlich erzeugten leitet uns Piringer durch das Buch. Für Lesende gibt es keinen Zweifel, was vom Autor selbst stammt und was von der Maschine bzw. der KI-Software. Zudem werden die beiden Textsorten mit unterschiedlichen Schriften kenntlich gemacht.
In gewisser Weise stellt sich bei künstlich erzeugten Texten die Frage, inwieweit Autor*innen dann überhaupt noch als Autor*innen firmieren dürfen – denn ob Befehlseingaben, Mausklicks und die zugegebenermaßen kritische Auswahl der ausgeworfenen Texte dazu reichen, ist fraglich. Jörg Piringer stellt aber genau diese Frage:
ist dieser text mein text darf ich ruhigen gewissens meinen namen darunterschreiben darübersetzen jörg piringer ist der autor dieses textes er klickte so lange mit der maus bis es ihm gefiel kann man das autorschaft nennen oder sollte nicht eher mausklicker: jörg piringer dort stehen oder kurator selector auswählender diskriminator kritiker von maschinentexten
Irgendwann stellt sich die Frage, was denn Intelligenz überhaupt sei. Denn obwohl wir alle eine bestimmte Vorstellung davon haben, gibt es keine absolute Definition, weil diese erstens immer in einen kulturellen und gesellschaftlichen Kontext eingebettet ist und sich zweitens im Laufe der Geschichte mehrmals geändert hat und wohl auch in der Zukunft ändern wird.
Ein Beispiel gefällig? Vor hundert Jahren dachte man, ausschließlich Menschen wären zu Intelligenz fähig. Heute billigt die Wissenschaft nach zahlreichen Versuchen auch einer Reihe von Tieren intelligentes Verhalten und abstraktes Denken zu. Piringer spricht diese Problematik direkt an, und es scheint klar, dass wir uns angesichts der Möglichkeiten, die neuronale Netzwerke schon heute bieten, auch in Zukunft mit dieser Frage auseinandersetzen müssen.
wie also könnten menschen feststellen ob eine maschine intelligent wirklich intelligent ist dass ein reines analysieren des programmcodes oder der verarbeiteten daten oder der kombination aus daten und code höchstwahrscheinlich keinen aufschluss darüber gibt scheint klar aber wie könnte ein solcher test sonst aussehen
Die Frage nach der Intelligenz kann nicht abschließend beantwortet werden, und das ist Piringer bewusst. Aber, und darum geht es ihm, sie darf auch nicht ignoriert werden.
Möglichkeiten ausloten
Dass Computerprogramme heute in der Lage sind, Texte von einer Sprache in eine andere zu übersetzen, ist spätestens seit Google Translate weithin bekannt. Insbesondere bei Gebrauchs- und Fachtexten erzielen solche Systeme bereits eine überraschend hohe Qualität.
Jörg Piringer erprobte auch diese Fähigkeit und begab sich damit auf ein weites und doppelbödiges Feld. Besonders Lyriker*innen arbeiten oft mit hoher Abstraktion und Bildhaftigkeit; zudem muss dem Nicht-Gesagten mitunter ebenso viel Bedeutung wie dem Gesagten zugemessen werden. Das stellt Übersetzungsprogramme vor immense Schwierigkeiten und zeitigt häufig Übertragungen, die zum Lachen reizen. Piringer ist indes bewusst, dass auch menschliche Übersetzer*innen keineswegs perfekt sind, wenn er eine maschinelle Übersetzung und Rückübersetzung ins und aus dem Esperanto kommentiert:
das ergebnis hat viele ähnlichkeiten mit dem original selbstverständlich entspricht er [=der Text] dem ausgangstext nicht exakt das wäre wohl bei keiner rückübersetzung eines gedichts der fall
Der Autor stellt viele Fragen. Er fordert und hinterfragt die Maschine und die – derzeitige – Fähigkeit der KI-Software. Ob das, was KI mit der äußeren Form eines Gedichtes schreibt, tatsächlich als Literatur gelten kann, ist eine Frage von vielen. Und ob wir – Menschen – das auch wollen, eine andere.
Derweil dichtet die Maschine auf Basis von Piringers Aufgabenstellung munter vor sich hin:
Niedriges Daidonnng! himmelmöwe, seit die Inzwischen überall. mutige Vögel bombardieren uns! Hier ist ein ruhiges Plätzchen – der Frick?
Jörg Piringer: günstige intelligenz – hybride poetik und poetologie. Ritter Literatur, Klagenfurt, Graz und Wien, 2022. 208 Seiten. Euro 27,00
Hinweis: Di, 07.02.2023, 19.00 Uhr, Alte Schmiede:
Poesie der Netzwerke: Jörg Piringer, günstige intelligenz (Ritter Verlag) & Natalie Deewan, Lucida Console – ein Translatorium Maximum (Klever Verlag). Moderation: Annalena Stabauer
Ein Interview von Günter Vallaster mit Jörg Piringer zum Buch günstige intelligenz – hybride poetik und poetologie können Sie hier lesen.