Nicole Streitler-Kastberger liest Fiston Mwanza Mujilas
Kasala für meinen Kaku & andere Gedichte
Fiston Mwanza Mujila umkreist in „Kasala für meinen Kaku“ seine afrikanischen Wurzeln und landet dabei das ein oder andere Mal auch an der Donau. Seit seinem Debütroman „Tram 83“ (dt. 2016) ist Fiston Mwanza Mujila auch hierzulande ein Begriff. Legendär ist sein Vortragsstil, der einer Jazz-Performance ähnelt.
Der Autor (geb. 1981 in Lubumbashi, Demokratische Republik Kongo) lebt seit 2009, als er dort Stadtschreiber war, in Graz. Nur zu Recherchezwecken verlässt er die Mur. In seinen Texten jedoch, wie im Gedichtband „Kasala für meinen Kaku“, ist Mwanza Mujila überall zuhause, in Japan genauso wie in den Niederlanden, vor allem aber im heimatlichen Kongo. „Ich komponiere meine Texte wie ein Jazzmusiker, wie ein Saxofonist“, bekennt der Autor. Und die Musikalität seiner Sprache und seiner Texte kann ihm wohl niemand absprechen.
Cover © Ritter Verlag
Litanei der „Ahnengeister“
Die Texte des nun vorgelegten Bandes sind zu großen Teilen „Kasalas“, wobei man unter einem Kasala einen Gesang, eine „mündliche Literaturgattung“ zu verstehen hat, und der titelgebende Kaku ist der Urgroßvater des lyrischen Ichs. Dieses singt Kasalas für alle, könnte man kalauernd sagen, vor allem aber für die „Ahnengeister“, die es wie in einer Litanei anruft und auftreten lässt. Das klingt dann etwa im Gedicht „Genealogie“ so:
Mwanza Mujila begegnet Nanga Musadi oder Nanga Musadi begegnet Mwanza Mujila, je nachdem sie bringen acht Kinder zur Welt darunter Mwanza Mujila Fiston eigentlich Mwanza wa Mwanza Mujila – denn nach dem Vornamen kräht kein Hahn
Vor allem der letzte Vers lässt aufhorchen, ist doch der Vorname in der europäischen Kultur von besonderer Relevanz. Im „Kasala für meinen Kaku – I“ erkundet Mwanza Mujila den im Titel des Bandes genannten Urgroßvater:
mein Urgroßvater, mein Kaku, wie wir ihn liebevoll nannten hat lange gelebt er war 105, 120, 134, 142, 157, 169, 186, 192 vielleicht sogar zwei Jahrhunderte alt
So stößt sich der Autor immer wieder auch von der realen Realität ab und gleitet hinüber in eine fiktive Traumwelt, in der seine Kunst der Übertreibung huldigt. Besonders aufschlussreich scheint mir das „Kasala für mich selbst – I“, in dem unter anderem zu lesen ist:
Ich habe beschlossen glücklich zu sein Rumba zu tanzen bis zum Verschleiß […] ich habe beschlossen, frech und unbequem zu sein denen in die Suppe zu spucken, die dem Leben die Zähne ausreißen
Das ist nicht nur eine Lebensdevise, sondern auch ein poetisches Programm, noch deutlicher in dem Vers: „ich habe beschlossen, Träume in Worte zu fassen“. Neben den Kasalas finden sich auch knappere Gelegenheitsgedichte in dem Band. Witzig etwa das Gedicht „Meine Geliebten“: „ich habe drei Haustiere / den Sambesi, die Donau, den Rio Zaire“.
Mwanza Mujilas Gedichte lieben die Pointe, sind aber formal alle ähnlich gebaut, in lockerem Flattersatz und freien Rhythmen, mit vielen Enjambements, die die oft langen Sinnkaskaden über mehrere Zeilen laufen lassen. Die spezifische jazzartige Rhythmik ist den Texten schon in der schriftlichen Form eingeschrieben. Sie kann aber im mündlichen Vortrag noch verstärkt werden. Der Autor verfügt über ein breites Vokabular, das den Texten mitunter einen abstrakten Drive und eine philosophische Grundierung verleiht, etwa Begriffe wie „Enthaltsamkeit“, „Schicksal“ oder „Häresie“. Auch politische Aspekte sind in diesen Texten aufgehoben, wie das Ringen um Demokratie in der sogenannten Demokratischen Republik Kongo oder die Fragen von Flucht und Migration.
Zwischen den Kulturen
Dem sehr schön ausgestatteten Band, der auch von hinten gelesen werden kann, wo die Gedichte im französischen Original abgedruckt sind – sie sind ausgezeichnet übersetzt von Elisabeth Müller –, ist auch ein Interview mit Mwanza Mujila beigegeben. In diesem erläutert der Autor: „Diese Gedichtsammlung stellt ein Gespräch mit mir selbst dar“ – und bezeichnet sich selbst als „Verfechter der Opazität“ und der „Subjektivität“. Letztere wird vielleicht am deutlichsten in dem Gedicht „Selbstbildnis“, das von einer schonungslosen Offenheit und Drastik ist, die im Werk Mwanza Mujilas ihren eigenen und ganz natürlichen Platz hat:
dieser Körper, den Sie hier erblicken dieser Körper vor mir dieser schlaffe Körper dieser grausige Körper dieser kotige Körper dieser hirnlose Körper dieser pockenübersäte, von der Mangrove ausgekotzte gammelige, schleimig wimmelnde, schlaksige Körper dem Haare im Mund wachsen genau das ist mein Körper, dieser Körper
Im erwähnten Interview ist auch zu lesen: „Die Dichtung ist (für mich) ein spirituelles Phänomen. Und jede Performance ist eine Kulthandlung. Ich kommuniziere mit den Bäumen, den Ahnen, den Verstorbenen.“ Diese Poetik des Kultes und der All-Kommunikation hat etwas Voodoo-artiges, das durchaus den Klischees entspricht, die wir Europäer von Afrika haben. So gesehen öffnen diese Texte nicht nur für den Autor „eine andere Welt“, sondern vor allem für die Leserin und den Leser. Manchmal überkommt einen das Gefühl, dass dieser Autor immer noch mit beiden Beinen im Kongo steckt, obwohl er schon so lange in Europa lebt und in der französischen Kultur sozialisiert ist. Wie kleine Gemmen blitzen manchmal Aspekte des Europäischen in den Gedichten auf (etwa im Gedicht „Anna“ über Anna Netrebko). Doch sie bleiben die Ausnahme: „wenn ich meinen Kasala pfeife / bin ich nicht mehr allein“. Die existenzielle Einsamkeit ist eine Erfahrung, die ein solcherart Exilierter wohl genauestens kennt, deshalb vielleicht die Hinwendung zur eigenen Kultur und die Beschwörung der Ahnen, die für europäische Ohren etwas Befremdliches hat.
Dennoch: Diese Gedichte sind eine Erfahrung der besonderen Art. Sie stellen ein kulturelles Crossover dar und verführen den Leser dazu, in eine andere Kultur einzutauchen. Vor allem Liebhabern des Französischen sei der Band ans Herz gelegt.
Fiston Mwanza Mujila: Kasala für meinen Kaku & andere Gedichte / Kasala Pour Mon Kaku et autres poèmes. Aus dem Französischen von Elisabeth Müller. Mit einem Interview des Autors von Antoine Wauters. Ritter Verlag, Klagenfurt, 2022. 176 Seiten. € 23,–
Eine Interpretation von Michael Hammerschmid des Gedichts PANDEMONIUMSBASAR (für einen Trompeter) aus Kasala für meinen Kaku finden Sie hier.