Die POESIEGALERIE stellt ihren Autor*innen Fragen zum Schreiben
Heute die Antworten von Herbert J. Wimmer
1. Schreibst du regelmäßig? Zu welchen Zeiten und an welchen Orten?
ja. meistens nach dem aufstehen, so zwei bis drei stunden. anfangs trinke ich leitungswasser, nach einer stunde tee und/ kaffee. nachmittags und abends notiere ich einzelne formulierungen, wörter für den nächsten tag.
2. Ist Schreiben für dich eher Handwerk oder Inspiration? Wie passen diese beiden Pole zusammen?
es ist beides. inspiration verliert sich ohne handwerkliche fähigkeiten (die sich nach einigen jahren des kontinuierlichhen schreibens sowieso einstellen – und weiterentwickeln), aber ohne die blitze der einfälle und ideen ist auch das schönste handwerk belanglos.
3. Wo findest du deine Themen? Eher in deinem Leben und unterwegs oder in Büchern und Medien?
ich lebe in und mit allen möglichen medien, dazu gehören auch bücher.
4. Welche Bedingungen muss ein gelungenes Gedicht für dich erfüllen? Oder: Wann bist du sicher, dass ein Gedicht fertig ist?
ich bin mit einem gedicht zufrieden, wenn ich nichts mehr streichen möchte. manchmal aber entstehen aus kurzen gedichten längere und lange arbeiten; mit denen bin ich dann zufrieden, wenn eine gewisse vollständigkeit (wie bei einer musikalischen komposition) der ausarbeitung für mich sichtbar wird, z.b. bei permutationsfolgen, oder bei worterfindungskaskaden.
5. Trifft auf dich das Diktum zu, dass Dichter*innen Seismographen ihrer Zeit sind – und wenn ja, inwiefern? Anders gefragt: Siehst du für dich als Dichter*in eine Aufgabe in Bezug auf das gesellschaftliche Ganze?
grosse worte. meistens notiere ich, was mich an gedichtartigem besucht, und bearbeite es dann. da es mir – bei prosa wie in den lyrischen übergangsformen – immer auch um bewusstsein, wahrnehmung, gegenwart geht, finden sich viele bezüge zu gesellschaft und gesellschaftlichen entwicklungen in meinen texten, oft in satirischer oder allgemein kritischer form zu einzelnen erscheinungen, z.b. ein nicht ganz verachtungsloser umgang mit neoliberalen denkweisen.
6. Kannst du mit dem Satz „Dichten ist ein brotloser Beruf“ etwas anfangen? Oder besteht in deinem Leben eine Spannung zwischen Schreiben und Einkommen?
ich habe 1973 beschlossen, meinen bürojob aufzugeben und als freier schriftsteller zu leben und zu arbeiten. seit diesem jahr besteht tatsächlich eine gewisse und sehr starke spannung zwischen meinem einkommen und meinem künstlerischen (literatur ist für mich KUNST AUS SPRACHE) tun. mittlerweile habe ich – rein was bücher betrifft – ca. dreissig buchpublikationen. wie ich den literaturbetrieb und seine reaktionen auf sprachkunstwerke, die im geist der moderne der jeweiligen gegenwart geschrieben wurden, kenne, wird sich daran auch zu meinen lebzeiten nicht viel spannungsmilderndes ereignen.
7. Welche Autorinnen und Autoren, welche Gedichte haben dich geprägt, fürs Schreiben sowie fürs Leben?
zuerst einmal alle texte von ELFRIEDE GERSTL (wir haben an die sechsunddreissig jahre über die möglichkeiten der literatur miteinander geredet), sodann die arbeiten der WIENER GRUPPE (alle autoren), ernst jandl, friederike mayröcker, andreas okopenko, überhaupt experimentelle arbeiten (prosa und gedicht) und dann natürlich kafka, swift, aber auch soziologen wie erving goffman, pierre bourdieu, christian morgenstern (seit frühester jugend), heinz von foerster, paul watzlawick, tom wolfe, joan didion usw.
8. Woran schreibst du gerade bzw. woran hast du zuletzt geschrieben?
an sehr vielem: in der prosa bin ich mit der fertigstellung eines umfangreichen werks beschäftigt (seit juli 2020), dieses hoffe ich in diesem sommer fertigzustellen. gedichte und spezifische gedichtsammlungen entstehen andauernd (z.b. ein konvolut von sogenannten SUDOKU-GEDICHTEN).
noch im april wird/soll in der wiener EDITION MELOS mein gedichtband MEMOGRAMME – 144 TANKATRIPLETTS erscheinen. im wiener VERLAG SONDERZAHL erscheint noch in diesem märz der prosaband METALLHASENALLTAG – SHORT STORIES.
dazwischen schreibe ich kürzere aufsätze zur literatur, ab und an eine rezension für die zeitschrift KOLIK (hg. von karin fleischanderl und gustav ernst) und beschäftige mich mit fotografie und mit gestisch-expressiven zeichnungen.
9. Gibt es eine Frage, die du dir gerne selbst stellen und beantworten möchtest?
was ist bewusstsein?