Die POESIEGALERIE stellt ihren Autor*innen Fragen zum Schreiben
Heute die Antworten von Ilse Kilic
1. Schreibst du regelmäßig? Zu welchen Zeiten und an welchen Orten schreibst du?
Ja. Unterschiedliche Zeiten, ortsmäßig bin ich gerne daheim, im Fröhlichen Wohnzimmer, das ich ja gemeinsam mit Fritz Widhalm bewohne und gestalte und wo auch unsere gemeinsamen Werke das Licht des Wohnzimmers erblicken.
2. Ist Schreiben für dich eher Handwerk oder Inspiration? Wie passen diese beiden Pole zusammen?
Ich glaube nicht, dass das ein Widerspruch ist. Insofern sind es nicht zwei Pole, sondern zwei der vielen Puzzlestücke, die das Schreiben ausmachen.
3. Wo findest du deine Themen? Eher in deinem Leben und unterwegs oder in Büchern und Medien?
Im Leben im Allgemeinen und in meinem Leben im Besonderen, aber sicher sind auch Gelesenes und Gehörtes Teil meines Lebens und spielen eine Rolle, ebenso wie Begegnungen und Gespräche.
4. Welche Bedingungen muss ein gelungenes Gedicht für dich erfüllen? Oder: Wann bist du sicher, dass ein Gedicht fertig ist?
Eigentlich ist es ein Entschluss, eine Momentaufnahme. Es ist aber schon vorgekommen, dass ich mir nach ein paar Jahren bei zufälliger Wiederlektüre eines eigenen Gedichtes dachte, hoppla, da ist ja das Versmaß verwackelt oder es ist inhaltlich etwas dick aufgetragen. Aber das ist okay. Strenge ist eine zweischneidige Sache und nicht immer hilfreich.
5. Trifft auf dich das Diktum zu, dass Dichter*innen Seismographen ihrer Zeit sind – und wenn ja, inwiefern? Anders gefragt: Siehst du für dich als Dichterin eine Aufgabe in Bezug auf das gesellschaftliche Ganze?
Also, Seismographin würde ich mich persönlich nicht nennen, ich glaube, das wäre eine Selbstüberschätzung. Aber ich würde sagen, dass vielleicht die Literatur, als Ganzes genommen, also alle Dichter:innen und auch die anderen Kunstschaffenden zusammen, das schon sein könnten.
Salopp gesagt hat die Literatur sehr wohl eine Aufgabe, sie soll an der Verbesserung der Welt mitwirken, aber ich würde der Literatur und jeder Kunst das Recht einräumen, sich aller Aufgaben zu entledigen und einfach trotzdem DA zu sein, vielleicht ist das ja auch schon sehr viel, das DA SEIN.
6. Kannst du mit dem Satz „Dichten ist ein brotloser Beruf“ etwas anfangen? Oder besteht in deinem Leben eine Spannung zwischen Schreiben und Einkommen?
Also sicher ist das Dichten für die meisten Kolleg:innen etwas, von dem sie nicht oder nur schlecht leben können, und auch bei mir ist es natürlich immer mit Nebenjobs und/oder Knappheiten verbunden gewesen. Ich möchte da gerne an den Kollegen Bernhard Kathan erinnern, der für eine bestimmte Zeitspanne ausgerechnet hat, in welchem Alter die Kolleg:innen der Grazer Autorinnen Autorenversammlung durchschnittlich sterben, da bin ich schon erschrocken, denn das war das Alter von 63, 69 Jahren. Man kann das auf seiner Homepage nachlesen. (https://www.hiddenmuseum.net/63_69.html) Bernhard Kathan führt das auch auf die medizinischen Defizite zurück, also Mangel an medizinischem Support aus Geldmangel, das bedeutet schlechte Brillen, schlechter Zahnersatz, schlechtere Hörgeräte, weniger therapeutische Unterstützung, vielleicht auch weniger Möglichkeiten, die Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen aufrechtzuerhalten, wenn man nicht fit und unversehrt geblieben ist. Und das ist sicher noch immer Thema, die Schwierigkeiten guter medizinischer Betreuung bestehen ja nach wie vor.
7. Welche Autorinnen und Autoren, welche Gedichte haben dich geprägt, fürs Schreiben sowie fürs Leben?
Also da ist es jetzt schwer, einzelne Personen herauszugreifen. Ich möchte zunächst Liesl Ujvary nennen, deren Gedichtband „Sicher und gut“ ja jetzt neu aufgelegt wurde (im Klever Verlag). Geprägt haben mich aber auch die Begegnungen mit schreibenden Kolleginnen und Kollegen, bei Fritz Widhalm ist es ja klar, ohne diese Begegnung hätte es ja vielleicht gar kein Fröhliches Wohnzimmer gegeben, vielleicht auch keinen „Verwicklungsroman“, den Fritz und ich jetzt seit einem Vierteljahrhundert gemeinsam schreiben und der biennal in der edition ch, bei Günter Vallaster, erscheint. Das Fröhliche Wohnzimmer war und ist Lebensprojekt, präsent als Edition, als Schreibgemeinschaft, als früher reales und jetzt virtuelles Glücksschweinmuseum, als Begegnungsort im öffentlichen und im literarischen Raum. Ich denke gerne an die Zusammenkünfte im realen Glücksschweinmuseum, wo eben Kolleg:innen, aber auch Nachbar:innen oder zufällig vorbeischlendernde neugierige Mitmenschen miteinander ins Gespräch kamen. Auch gab es ja das sogenannte GedichtePlop und das MusikPlop, wobei bei Ersterem Gedichte und bei Zweiterem Musiknummern vorgestellt und in einer Gruppe von Freund:innen und Kolleg:innen rezipiert und kommentiert wurden, all das findet ja jetzt nur mehr virtuell auf unserer Homepage statt, wir werden sehen, wie es sich weiterentwickelt.
Meine Anfänge als Autorin wurden aber auch von jenen Kolleg:innen beeinflusst, mit denen an langen gemeinsamen Abenden Schreibmotive, Kriterien, Wünsche und Vorstellungen diskutiert wurden, ich nenne hier exemplarisch Christine Huber und den leider bereits verstorbenen Hansjörg Zauner. Und dann, natürlich, als ich in die Grazer Autorinnen Autorenversammlung aufgenommen wurde, wurden es immer mehr und mehr Einflüsse, ich erwähne also abschließend noch Rolf Schwendter: Hier kann man eines seiner Lieder zur Kindertrommel hören: https://www.youtube.com/watch?v=_1LoUHbMEhY
8. Woran schreibst du gerade bzw. woran hast du zuletzt geschrieben?
Jetzt gerade habe ich zwei Gedichte überarbeitet, mal sehen, wo sie landen werden. Sie liegen vor mir und ich werde jetzt noch eine Nacht darüber schlafen, dann lese ich sie mir selbst laut vor und dann sehe ich weiter.
Zugleich zeichne ich gemeinsam mit Fritz Widhalm an einem Comic über das Älterwerden, über diesen Prozess, der sich auf die Art des In-der-Welt-Seins auswirkt. Ich war neulich in der Alten Schmiede bei einer Lesung von Ilse Helbich, die wohl eine der ältesten Autorinnen in Österreich ist, sie ist Jahrgang 1923. Ihre Texte, Prosa und Lyrik, sind u.a. Reflexionen über das In-der-Welt-Sein als sehr alter Mensch, und Fritz Widhalm und ich reflektieren das quasi in unserer Graphic Novel in Bild und Text, obwohl wir natürlich (noch) nicht so alt sind wie Ilse Helbich und es uns vermutlich auch nicht vorstellen können.
Vorwiegend, aber nicht nur Prosa wird in meinem für den Herbst 2023 im Ritter Verlag geplanten Buch mit dem Titel „Das Schlaue vom Himmel“ enthalten sein, der Untertitel lautet „Eine Versuchsunordnung“, und da gibt es verschiedene literarische Formen von Bildtext über Prosa bis zum Gedicht.
9. Gibt es eine Frage, die du dir gerne selbst stellen und beantworten möchtest?
Ja, ich frage mich, wie sich künstlerische Tätigkeit entwickeln wird. Eine wirkliche Antwort habe ich nicht, aber mein Wunsch wäre, dass sich viele Menschen daran beteiligen, weil sie ja auch eine Mitarbeit an der Welt bedeutet. Jenseits von meiner – durchaus prekären – Situation als Autorin möchte ich die Frage stellen, wie Menschen mit der Präsenz von Kunst umgehen könnten, ob und wie sie einen Zugang finden, ob sie auch für sich in Betracht ziehen, künstlerisch tätig zu sein. Ich frage mich auch, ob zum Beispiel Lesen, Zuhören oder Schauen in einem weiteren Sinne als Teil der künstlerischen Tätigkeit verstanden werden können und, wenn ja, was das für die Arbeit von Produzent:innen und Rezipient:innen heißen kann. Ich glaube, dass es auf jeden Fall zu einer Veränderung der Arbeitswelt im Allgemeinen kommen muss, denn für die Teilhabe am Kunstgeschehen braucht jeder Mensch freie Ressourcen, also, mehr Teilhabe ist ja sowieso unabdingbar, ob in Kunst, Gärtnerei oder Care-Arbeit. Und da wäre ich gerne ein Mauserl, das in hundert Jahren über den Planeten huscht und sich ansieht, ob es Menschen gibt, und wenn ja, wie sie leben, ob sie Gedichte schreiben oder welche Lieder sie singen oder ob sie lieber Purzelbäume schlagen, so, jetzt habe ich doch eine kleine Antwort gegeben, aber eigentlich weiß ich natürlich über die Zukunft nicht Bescheid.