Now Reading
Ankunft im Ungewissen

Ankunft im Ungewissen

Logo Besprechung I

Helmut Neundlinger liest Julia Costas Langgedicht hier


Das poetische Debüt der Tiroler Dichterin Julia Costa erzählt, wie der Titel hier nahelegt, von einer Ankunft. Ein namenloses Du, dem die Verse gleichsam zugesprochen werden, ist das behutsam deutlich werdende Subjekt des 12-teiligen Zyklus. Es ist in einem Hier angekommen, das nicht sein/ihr eigenes ist.

du weißt, wo du bist
du weißt es nicht

Im Zwiespalt dieser beiden Zeilen entfaltet sich der Prozess der Ankunft, und einiges weist darauf hin, dass der Grund dafür kein freiwilliger ist. Der Preis für die Rettung, die das neue Hier verspricht, besteht in einem „Warten auf Dokumente“, die dem Du erst eine selbstständige Existenz erlauben werden.

Julia Costa fängt diesen Zustand der Unsicherheit, in dem sich die Situation von Geflüchteten spiegelt, mit protokollarischer Geste ein und konfrontiert diesen mit einer poetischen Aufmerksamkeit für das Ambiente: die zunächst fremde Natur, die sich in ihrem fraglosen Hier-Sein als möglicher Resonanzraum für das Ankommen anbietet.

Cover © Keiper Lyrik

Poetische Beziehungsarbeit

Costa folgt in ihrem Langgedicht der Chrono-Logik des Jahreskreises: Monat für Monat wächst das Du stärker in die Umgebung hinein und vollzieht die Transformationsprozesse am eigenen Leib mit. Das Verharren an der Schwelle des Wartens bedeutet für das Du zunächst eine Art von Retraumatisierung. Das „Aufwachen in einem Raum mit weißen Wänden / und gerahmten Bildern, die nicht dir gehören“ gebiert jene Ungeheuer, denen das Du entfliehen konnte: „tröste deine Albträume“.

Aber welche Stimme spricht „hier“ eigentlich, wer trägt das Du durch ein Jahr voller Ungewissheit? Auf keinen Fall äußert sich hier eine dieses Du bevormundende Instanz: In dem indirekten poetischen Dialog vollzieht sich keine oberflächliche Identifikation mit einem bedauernswerten Schicksal, vielmehr eine Art von poetischer Beziehungsarbeit, die dem Du in seinen Wandlungen folgt, es begleitet, ohne es zu für die eigene Befindlichkeit zu vereinnahmen.

Die Gedicht-Stimme schaut mit den Augen des fremden Du auf die eigene Welt und beginnt diese in ihrer wilden Zufälligkeit neu zu buchstabieren. Fragwürdige Elemente hiesiger Alltagskultur wie Polterabende im öffentlichen Raum („Frauen mit Strohhüten und Hotpants“) werden ebenso verzeichnet wie sonderbare Zeitgenossen („ein junger Mann im schwarzen Anzug geht an dir vorbei / singt in Opernmanier / und ist schon wieder weg“).

Alles will zudem neu gelernt sein: das Atmen, das Sprechen sowieso, das Kochen, das Hier-Sein in einem Zustand, dem alles Selbstverständliche entzogen ist. Gerade in dieser Verfassung gibt die Gedicht-Stimme dem Du in vermeintlich unscheinbaren Wendungen etwas von der verloren gegangenen Souveränität wieder zurück:

See Also

dein Körper weiß noch immer genau 
was es heißt 
ein Menschenkörper zu sein

Poetoökologisches Subjekt

In ihrem feingliedrigen, subtilen und an keiner Stelle plakativen Langgedicht erschafft Julia Costa etwas, das über die Anspielungen auf eine konkrete Konstellation noch hinausreicht. Im indirekten Dialog mit dem Du entsteht etwas, das man als „poetoökologisches Subjekt“ bezeichnen könnte: eine Lebensweise, die auf dem Prinzip des regenerativen Wachstums beruht. „wo wächst du hin?“, heißt es an einer Stelle, und konsequenterweise beobachtet die Gedicht-Stimme mit Fortdauer immer stärker die quasi-ökologischen Metamorphosen des Du. Dabei halten sich Verwundbarkeit und Widerstandskraft die Waage und ermöglichen einen steten Neuanfang:

ruf deine Körperteile zurück zu dir 
verlorene Vögel 
oder lass sie nachwachsen 
wie eine Eidechse

Damit resoniert Costas Langgedicht auf erstaunliche Weise mit den Gedichtzyklen alfabet und brief im april der dänischen Dichterin Inger Christensen (1935–2009). In beiden Werken entfaltet Christensen eine Art von elementarer poetischer Bestandsaufnahme der Welt, deren Ursprünge in jeweils umfassend empfundenen Krisen lagen. Zumal in alfabet, das mit der legendären Zeile „die aprikosenbäume gibt es, die aprikosenbäume gibt es“ einsetzt, findet sich der Entwurf eines ebenso prekären wie resilienten Gleichgewichts, geschaffen aus der Kunst, in kleinsten poetischen Einheiten die Tragweite des Ganzen immer mitschwingen zu lassen.

Julia Costas hier-Gedicht scheint aus einem ähnlichen Wahrnehmungsmodus entstanden zu sein. „lass die Dinge kommen und gehen“, lautet der letzte Satz ihres Werkes, und es ist zu hoffen, dass aus der Feder der Dichterin noch vieles zu uns kommen wird.


Julia Costa: hier. Edition Keiper, Wien, 2023. 84 Seiten, Euro 16,50

Scroll To Top