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Versuchsanordnungen

Versuchsanordnungen

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Stefan Schmitzer liest Benedikt Steiners spuren in einem


Vorweg eine kleine Schrulligkeit meinerseits: Wenn auf den letzten beiden Textseiten dieses Gedichtbands neben der Biografie des Autors und seinem Porträt auch so etwas wie der Pressetext für den Band abgedruckt ist – also eine Schilderung, zu lang für die (nicht vorhandene) Klappe oder den U4 – dann scheint mir, ich hielte ein Buch in Händen, das zugleich versucht, seine eigene Pressemappe zu sein, und existenzieller Schwindel überfällt mich.

Steiner benedikt spuren-in-einem

Der Gedichtband gliedert sich in fünf Abschnitte, wobei der Titel des dritten – „intuitionen (als ordnung)“ – dem ganzen Band als poetologisches Programm zu dienen scheint. Die Betonung liegt auf dem Eingeklammerten: der Ordnung. Steiner unternimmt nämlich Versuche mit der grafischen Anordnung des Wortmaterials im Gedicht – zwar nicht in einer Weise, dass diese die Syntax usurpieren würde, aber doch so, dass der Tabulator seines Keyboards als eigenständiges Strukturelement im Text wirkt.

Cover © Text/Rahmen Lyrik

Selbstbeobachtung beim Verstummen

Das ist kein bloßes Gestaltungsgimmick. In den meisten so angeordneten Gedichten ergibt das Spiel mit der Anordnung auf der Seite Sinn, und es gibt der strikt linearen Leserichtungen zwei, die einander kommentierend zu denken sind. Nehmen wir zum Beispiel das Gedicht „bruchtage“:

ein		traum	an
		säumen	der zeit
				entlanghangelnd
				:
		raumlos	behände
		spinnen	sich fäden
				wachsig
				stumm
		um		jederzeit
				auseinanderzuglei
		geräusch		      los
				zurück,  rück
					      zu

Da steht entweder: „Ein Traum[,] an Säumen der Zeit [bzw. ‚säumender Zeit‘] entlanghangelnd: Raumlos behände spinnen sich Fäden wachsig stumm[,] um jederzeit auseinanderzuglei [sic!], geräuschlos zurück, rück zu [.]“ Oder: „Ein Traumsäumen, raumlos. […] spinnen um Geräusch [(]an der Zeit entlanghangelnd[)]: behände sich Fäden wachsig, stumm, jederzeit auseinadnerzuglei [sic!] [.] Zurück, los, zurück [!]“

Also ist da zuerst ein hermetisches Epigramm, wo „ein Traum / an Säumen der Zeit“ spielt. Wir lesen vom ganz Abstrakten, dem nicht wahrnehmbar kürzesten Moment – gewissermaßen die Außenansicht eines Bewusstseins, dessen Selbstbeobachtung beim Verstummen und der Konzentration auf einen infinitesimalen Punkt just der Prozess ist, der dieses Verstummen zunächst hindert, weshalb er sich selbst, gemäß der eigenen Logik, überwinden muss.

Gegenläufige Lesarten

Die gegenläufige Lesart in senkrechter Spaltenfolge bietet ein viel sinnlicheres Bild, im ersten Anlauf ganz unabstrahiert: „Ein Traumsäumen, raumlos. Spinnen um Geräusch […]“ – der Traum säumt, stellt sich nicht ein; ich schlafe nicht, weil um ein Geräusch herum sich Spinnen vermuten lassen – die äußere Wirklichkeit dringt in die innere ein, und erst dann, in der zweiten längeren Senkrechtspalte, schaltet sich wieder Zeitwahrnehmung dazu. Variante eins legt Rückzug in die Stille nah, Variante zwei Rückzug der Stille.

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Zusätzlich zu diesen beiden Hauptmöglichkeiten legt uns Steiner mit dem abgeschnittenen Auseinanderglei[ten], unabhängig von dessen anderen Implikationen, auch die Möglichkeit hin, das letzte „rück / zu“ als unvollständigen Rückzu[g] zu lesen. Und mit allem diesem stehen wir erst am Anfang des aufgetischten Buffets an Interpretierbarkeiten.

Eine komplett andere Art, die Tabulatoren bei Steiner zu lesen, würde nahelegen, dass sie Atemzüge abbilden, zumindest Rhythmen beim Vortrag. Gegen diese zweitere Lesart spricht jedoch das gelegentliche Vertrauen des Autors in Abstrakta, die einen möglichen lauten Lesefluss nicht durch ihre Komplexität, sondern durch ihre Klobigkeit unterbrächen. Dies verrät ein größeres Interesse an der Versuchsanordnung als am Sound. Mit dieser Kritik am Abstrakten bei Steiner meine ich nota bene nicht so zart ins hermetische Verstummen ragende poetische Wortkonstrukte wie „vielleichtgebündelt“ oder „leerwartend“, von denen das Buch einige zu bieten hat. Sie verraten die Tradition, in die Steiner sich stellt, und verheddern sich nicht laut und nicht leise gelesen.

Schließlich noch ein Wort zur Gestaltung des Buches: „spuren in einem“ ist ein Text, dem die liebevolle Aufmachung besonders guttut. Leineneinband mit Prägung, Hardcover im Taschenformat und scharf strukturierter Satz bilden den genau richtigen, nun ja, „Text/Rahmen“ für diese an Hermetik orientierten, auf schrittweisen Nachvollzug kleinster Gefühls- oder Wahrnehmungsregungen abzielenden Gedichte.


Benedikt Steiner: spuren in einem. TEXT/RAHMEN Lyrik, Wien, 2023. 112 Seiten, Euro 18,–

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