Olivia Golde liest Volha Hapeyevas Trapezherz
Drei Monate lang trug ich Volha Hapeyevas Gedichtband Trapezherz täglich mit mir herum, nicht wirklich lesend, aber auch nicht loslassend. Ein Talisman. An ein paar Gedichte, die mich beim ersten Lesen berührten, hatte ich Zettelchen geklebt. Und dann war der Moment gekommen, da das Leben sich soweit beruhigte, dass ich wirklich lesen und wiederlesen konnte. Ich ertappte mich dabei, wie die Hervorhebung sich erübrigte, weil ich nun an fast jede Seite ein Zettelchen klebte.
So vieles berührt in diesen Texten, wenn es nur darf. Wenn Raum ist für die Fähigkeit, das Kleine zu sein, mitzuteilen, Nichtigkeiten, die Bedeutung geschenkt bekommen von einer, die hinsieht, aus ihrer Einsamkeit heraus.
Cover © Literaturverlag Droschl
Volha Hapeyevas Gedichte sind von kindlicher Zärtlichkeit und Schlichtheit. Sie sind geradeheraus wie ein fürsorglicher Kreis, weil Zärtlichkeit nicht heißt, dass es nicht auch sehr weh tun kann, die Mitteilung von Schmerz, Wunde, Verlust.
wind hebt sich einsamkeit beginnt jede sprache – eine erzwungene reise niemand sagt wo sie anfing jede sprache ist übersetzung jede sprache ist angst alleine zu bleiben
In ihren Texten haust oft der Wind – und kleine Käfer, Vögel, Staub auch und manchmal Freundschaft, Erfahrungen des Dennoch, der Zuversicht im Anblick der Schrecken. Auch ohne Hapeyevas Biografie nachzuschlagen, weiß die Leserin nach diesem Band, dass der Autorin viele Formen des Exils zugemutet wurden und werden.
L(e)ichte Sprache
Ich frage mich oft, wie politische Erfahrung poetisch festgehalten werden kann. Auch dieser Band ringt mit der Frage. Eine Brühe scheint mir zu brodeln zwischen der Komplexität, ja Widersprüchlichkeit der gesellschaftspolitischen Zustände – und einem kleinen Gedicht. Fragen der Moral ziehen den Zeilen oft Bleifüße an. Was bedeutet es, wenn besonders jene Gedichte, die in der Nichtbenennung politisch sind, in der Abwendung vom Terror und Hinwendung zum möglicherweise noch Heilen gelingen? Wenn die anderen zwar wollen, aber trampeln, überfrachtet, wie sie sind. Enttäuscht das, oder liegt darin eine Antwort?
Kunst ist ein sensibel Ding. Sie ist berührt von dem, was ist, und dadurch involviert. Auch die Stillleben, die Tiergedichte, die Erwähnung von Wind. Sie sind ein Gegenraum, ein Sein für sich, fern von Gewalt. Volha Hapeyeva hat dazu einen Essay geschrieben: Die Verteidigung der Poesie in Zeiten dauernden Exils. Dieser Essay hat ihr 2022 den Wortmeldungen-Literaturpreis eingebracht. Darin führt sie aus, dass poetische Sprache deshalb politische Notwendigkeit gewinnen kann, weil sie eine Art Heimat bietet, wo es keine anderen Heimaten mehr gibt. In einem Gespräch, das in dem Band auch abgedruckt ist, formuliert die Autorin es so: „Poesie lehrt uns, Details zu bemerken, das Ungewöhnliche im Gewöhnlichen zu sehen – wie Kinder, die noch staunen können, wenn ein Vogel sich in der Pfütze wäscht oder sie einem Käfer helfen, der auf dem Rücken liegt. Poesie hilft uns, einfache Dinge zu genießen, denn sie zeigt uns das alles. Für die Poesie gibt es keine kleinen Dinge und es ist immer Zeit für Poesie, wie es auch immer Zeit für Liebe ist. Ich denke, das ist das wirksamste Mittel des Widerstands.“
Am meisten hat mich in diesem Buch jene Seite berührt, auf der ein Gedicht in der Handschrift Hapeyevas abgedruckt ist – plötzlich wackeln die Buchstaben wie Käfer und ich spüre nochmal unverstellter das einzelne, verletzliche Mensch-Sein hinter den Worten.
Das Federkleid der Vögel ist so wichtig wie ihre Stimmen
In jeder Begegnung mit einer Sammlung von Texten, die jemand zum Buch gebunden hat, stellt sich mir auch die Frage nach der Verbindung von Inhalt und Form. Die beiden bedingen einander auf intensive Art, und wenn ich ein Buch nicht auch in seiner Erscheinungsform an mein Herz drücken möchte, dann fehlt mir viel.
Trapezherz ist schlicht gehalten, ein bisschen unpersönlich und außen leider hart. Ich glaube, generell ist Lyrik mit Hardcovern kein Gefallen getan, trotz der erhöhten Lebensspanne. Es ist ein Pseudo-Mehrwert, der die Umarmung verhindert, und am Schutzumschlag gleiten die Hände ab. Innen zumindest ist das Papier sanft und nicht zu weiß, das funktioniert.
Was ich mir immer wünsche – und hier fehlt es –, ist die Lyrik in ihrer Originalsprache. Es ist das Recht der Geschwister oder das Recht der Freundschaft von Original und Übersetzung, dass beide da sein dürfen. Es fehlt zu viel, wenn ich nicht nachschauen oder eine Freundin dazu befragen kann, wie „motte mitte mai“ oder „ein berg, ein baum oder biest“ im Original klingt und ob es auch Alliterationen sind. In diesem Fall kommt mir dann noch die Dimension der Zeitlichkeit hinzu: Erst aus dem Impressum erfährt die Leserin, dass die Gedichte aus einem Zeitraum von zwei Jahrzenten ausgewählt wurden, aus sieben verschiedenen Bänden der Autorin. Wer ausgewählt hat, ist nicht klar. Und so wie sich ein Gedicht auf den 20. August 2020 in Minsk bezieht und das auch dazuschreibt, so würde ich mir für manch anderen Text einen viel breiteren Anmerkungsapparat wünschen – weil das Bedeutung erweitert. Und weil auch dies ein Übersetzungsdienst am Gedicht ist. In den Worten der Autorin:
dann würde ich anfangen zu sprechen und vielleicht würde ich sogar etwas übersetzen aus dem lavendel in die hummel und dem see in die ziegel
Nicht zuletzt würde ich dafür plädieren, Titel wie Trapezherz nach Büchern, die als Atemschaukel oder Herztier (Herta Müller, großartig!) die Runde machten, nicht mehr zu bringen, zumindest nicht, ohne sich dabei bewusst zu sein, sich allzu deutlich dem Aufspringen auf eine etablierte Griffigkeit schuldig zu machen. Ist die Lyrikszene nicht per se so fern davon, sich auf marktlogischer Ebene zu rentieren, dass sie guten Gewissens darauf und auf einige andere Patscherl des großen Betriebs, verzichten kann? Aber auch hier ist eben unklar, ob die Idee dazu von Verlag oder Autorin kam, was einen Unterschied macht – dies also ein Plädoyer für Entscheidungstransparenz und Kontextfutter, immer reichlich, bitte.
Um diese Besprechung nach so viel formaler Kritik liebevoll zu schließen: Da gibt es diesen schwarzen Punkt, als gestalterische Entscheidung, er begrüßt jedes Gedicht, welches ohne Titel kommt, auf seiner Seite. Das ist sehr schön.
• immer seltener möchte ich sprechen es ist sicherer briefe an verstorbene zu schreiben auf geschenke zu warten nur von mir selbst eine uhr nur aus schönheitsgründen zu tragen immer seltener möchte ich mit einem menschen einschlafen seite an seite jede und jeder unter der eigenen decke
Volha Hapeyeva: Trapezherz. Gedichte. Aus dem Belarusischen übersetzt von Matthias Göritz. Literaturverlag Droschl, Graz–Wien, 2023. 112 Seiten. Euro 20,–
Volha Hapeyeva: Die Verteidigung der Poesie in Zeiten dauernden Exils. Verbrecher Verlag, Berlin, 2022. 72 Seiten. Euro 15,–