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Poetische Handwerksarbeit mit dem Textmaterial

Poetische Handwerksarbeit mit dem Textmaterial

Logo Besprechung I

Andreas Pavlic liest Clemens Schittkos alles gut


Im Klagenfurter Ritter Verlag ist im Frühjahr 2023 nach weiter im Text mit alles gut ein neues Buch von Clemens Schittko erschienen. Es geht also weiter und das ist gut.

Cover © Ritter Verlag

Cover Schittko Clemens Alles Gut

Man kann Clemens Schittkos Buch alles gut gut finden, es lieben, es hassen oder auch nicht. So könnte eine Kurzfassung von einer Buchbesprechung im Stile des Autors geschrieben werden. Konjunktiv, wohlgemerkt. Es könnte auch anders geschrieben werden, zum Beispiel könnte man sagen, man finde es irritierend, aufdringlich und überwältigend. Denn es handelt sich bei einigen Texten um eine spezielle Form des Findens. Der Autor findet seine Texte, er erfindet sie nicht in einem meist mehr oder weniger kreativen Akt des Schreibens, sondern durch die Montage. Der Autor findet sie, indem er beispielsweise die Absage-Prosa von Verlagen oder Wettbewerben, sprich des Literaturbetriebs, die die allermeisten Schriftsteller:innen zur Genüge kennen, zu einem Gedicht umfunktioniert. Vielleicht ist es auch gar kein Gedicht, sondern einfach ein Ungetüm, ein höfliches – nicht entmutigen wollendes – aber leider, jedoch doch – vielleicht das nächste Mal – Sprachungetüm.

(…)
Obwohl deine Texte bis zuletzt in der engeren Auswahl stan-
den, haben wir uns schließlich leider gegen sie entschieden,
was jedoch keineswegs eine Aussage über ihre Qualität sein
soll, sondern mehr mit dem Gesamtgefüge der Ausgabe zu tun
hat.
Wir bedauern Ihnen mitzuteilen, dass die endgültige Wahl lei-
der nicht auf Sie fiel.
Wir würden uns dennoch freuen, auch für die kommenden
Ausgaben von Dir zu lesen.
Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass Sie nicht unter den
Gewinnern sind.
Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass die Wahl in diesem
Jahr nicht auf Ihre Bewerbung gefallen ist.
Hallo Clemens Schittko,
liebe Grüße
Wir hoffen sehr, dass Sie sich dadurch nicht entmutigen lassen
und ihre Freude an der literarischen Arbeit behalten.
(...)

Zwischen kritischer Lethargie und revolutionärem Pessimismus

Schittko hat sich nicht entmutigen lassen und eine besondere Kreativität entwickelt. Er baut Textflächen. Da bekanntlich die Poesie auf der Straße oder sonst wo herumliegt, kann alles zum Material und Ausgangspunkt von Gedichten oder weiteren Texten werden. Dieses Verfahren ist bekannt und wurde bereits vielfach angewendet, was Schittkos Montage- bzw. Schreibform nicht zum Nachteil gereicht. Literatur wird hier zum Spiel, zur Demontage und stellt das aus, was diese Textformen (z.B. die Absage-Prosa) verstecken möchten: die Verzweiflung, die in den höflichen, formalisierten Zurückweisungen steckt. Der Autor macht sich aber auch mehrfach selbst zum Gegenstand. In der Aufzählung seiner Google-Recherche-Ergebnisse zu seinen literarischen Aktivitäten und Veröffentlichungen durch die Selbstbeschau und Selbstbehauptung eines Schriftstellers, spiegelt er das Dilemma von Kunstschaffenden. Der Leistungsnachweis, der gebraucht zu werden scheint, um sich als anerkannter Autor präsentieren zu können – diese Aneinanderreihung von Auftritten, Publikationen und digitalen Nennungen –, mutiert dabei zum Ausdruck einer überforderten Ich-AG im Kunst-Konkurrenz-Kapitalismus. Der Titel dieses Textes ist bezeichnend: „Die alltägliche Langeweile (oder: Selbstbehauptung aus der eigenen Filterblase)“. „Der Schittko“, so lautet auch der Titel eines gleichnamigen Gedichts, ist eine sich über Seiten ziehende, stotternde, suchende Redebewegung, die nicht vom Fleck kommt. Gezeigt wird, dass Schittko nicht nur ein guter Dichter ist – „das ist … also … der Schittko, ja … das ist … so ein guter Dichter … ist das, ja …“ –, sondern auch ein Autor, der sich selbst zum Gegenstand macht. Als existenzialistisches Exempel eines Schriftstellers der Gegenwart, inklusive Selbstironie und dem Verweis auf die Produktionsbedingungen und subjektiven Lebenswelten. Man könnte es als Schreiben im Spannungsfeld von kritischer Lethargie und revolutionärem Pessimismus auffassen.

es sind nur ein paar rote
ungeöffnete Sonnenschirme
vor einem Café oder Restaurant
und nicht etwa einige rote Fahnen
denen lediglich der Wind fehlt

Textlisten als Suchtfaktor

Was bleibt einem da noch übrig? Vielleicht eine Art Bestandsaufnahme, eine Aufzählung von Personen, Dingen und Sachen, die man tun oder lassen kann. Schittko zählt auf, unterscheidet, geht in den Rhythmus der Liste, liebt es, listenartige Text-Gebilde zu erstellen. Beispielsweise zählt er in einem Text Schriftsteller:innen auf, die noch leben, und jene, die verstorben sind. Er verweist, ohne zu verweisen, er verweist auf Namen, zählt sie auf und ordnet sie zu, wie in einem Mantra, das beruhigt, das Orientierung bietet durch die Wiederholung, die Variationen von Wiederholungen von immer neuen Namen. Man will lesen um des Rhythmus willen, man will durch eine Namensprärie reiten. Das ist klares Suchtverhalten. Das ist Lesen als Suchtverhalten. Schittko zeigt die Monotonie der Bürokratie-Lyrik, er stellt die allgegenwärtige Werbe-Poesie und Polit-Rhetorik aus, er redet und lässt reden, plaudert, quatscht einem/einer die Ohren voll. Die Textwalzen, die auf die Leser:innen zurasen, machen sie platt. Die Wortwasserfälle lassen sie ertrinken und dabei erahnen, dass sie in ihrer Existenz schon längst zum Verdursten verurteilt sind. Dass sie nach jedem dieser einfachen und klaren Wörter dürsten und nur mehr weiterlesen können. Was soll man sonst machen?

See Also

(...)
man kann in Clubs gehen
oder auch in einen Park
man kann Kaffee trinken
oder versuchen, endlich mal wieder auszuschlafen
man kann das – wie gesagt – alles machen
doch man muss das auch nicht tun
es zwingt einen ja niemand dazu
schließlich leben wir in einem freien Land
da soll ein jeder doch tun und lassen, was er will,
solange er alle anderen dabei in Ruhe lässt
aber man kann ja letztlich so vieles machen,
sodass man sich erst gar nicht in die Quere kommt
man kann zum Beispiel joggen gehen
oder auch Tischtennis spielen
man kann Musik hören
oder schlichtweg gutes Essen lieben
(...)

Zwischen den ausufernden Textflächen, dieser poetischen Handwerksarbeit mit dem Textmaterial, erscheinen fragile Gedichtskulpturen. Sie zeigen eine andere Verfahrensweise des Autors. Es sind narrative Schnappschüsse, Überlegungen, die man abends in der Kneipe oder in einem Beisl anstellt, Ideen, die man einfach schnell auf der Rückseite einer Einkaufsrechnung niederschreibt, bevor sie ins Reich des Vergessens weiterziehen, oder es sind Dinge, die man schon lange einmal loswerden wollte, wie eine Antwort auf den Schriftsteller und Übersetzer Jan Faktor:

das Hauptproblem der Literatur ist nicht
dass alle schlecht schreiben
das Hauptproblem der Literatur ist,
dass alle das Schlecht-Geschriebene gut-finden

Clemens Schittko: alles gut. Ritter Literaturverlag, Klagenfurt, 2023. 164 Seiten. Euro 19,–

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