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von innen wolkenlos

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Kirstin Breitenfellner liest Barbara Hundeggers [ in jeder zelle des körpers wohnt ein gedächtnis ]


Barbara Hundeggers Gedichte eint ihre Form. Acht von neun Zyklen des Bandes „[ in jeder zelle des körpers wohnt ein gedächtnis ]“ sind in einem schmalen Blocksatz formatiert, der am unteren Seitenrand sitzt. Der senkrechte Strich, im Programmierjargon Pipe genannt, dient als Strukturierungstool innerhalb der gleich langen Zeilen. Die Titel der Zyklen sind in eckige Klammern gesetzt, und die linke Seite bleibt immer frei. Einzig der Zyklus „[ tunnel ende ]“, der jedem einzelnen der 55 Kilometer des Brenner-Basistunnels einen Dreizeiler widmet, tanzt ein wenig aus der Reihe. Die Dreizeiler bestehen jedoch aus länger werdenden, wie ein Zug dahineilenden Versen und bilden somit wieder eine durchgängige Form.

cover hundegger in jeder zelle des körpers

Innerhalb dieser strengen geometrischen Vorgaben lässt Hundegger ihrer Phantasie, ihrer poetischen Weltwahrnehmung freien Lauf. Als hellwache Zeitgenossin kommentiert sie dabei auch ihr soziales und politisches Umfeld. Der Band beginnt mit dem Zyklus „[ apropos : corona ]“.

Cover © Haymon Verlag

1

jetzt also so: wir sind der zoo | hinter
den türen die nur noch fallweise wo-
hin führen sortieren wir sorgen um |
wir akzeptieren nur die eigenen | der
status quo: die kranken weinen | und
die gesunden keifen: dabei schweifen
sie nicht einmal von sich ab | besuch
bekommen wir keinen | und draußen
laufen zwischen haufen von hunden
bewaffnete debatten durch die stadt


2

weltweit größte maskerade:
eine verhüllungskaskade in
billigst erscherbeltem fake-
veredeltem polit-provisions-
schwerem chinesischen vlies

Die fröhlich dahinklappernden Binnenreime, die einen Hang zum Kalauer haben, verbergen dabei eher schlecht als recht das Bedrohliche der Situation. Soziale Ungerechtigkeiten werden klar benannt: Während die einen im „lockdown“ „zu fünft auf 60 qm ohne balkon“ angewiesen sind, jetten die anderen im „lockup“ „zu zweit im privat-jet: zwecks home- / office 8000 km auf die insel mustique“. Der verordnete „abstand“ versetzt die einen in einen „schockzustand“ und hinterlässt die anderen „wutentbrannt“.

Tröstliche Angst?

In der COVID-19-Pandemie waren die Menschen mehr denn je auf Gerüchte angewiesen. Der zweite Zyklus, „[ hör-weiten ]“, handelt nicht nur von „schwadroneuren hypnotiseuren | von gouverneuren ani- / mateuren marodeuren | von charmeuren“ und anderen Manipulierern, sondern auch davon, „dass du nur gast-hörer / bist im eigenen kopf“. Wer sollte es da nicht mit der Angst zu tun bekommen? „[ angst-partie ]“ heißt folgerichtig der nächste Zyklus, mit dem Untertitel „kleine verbeugung vor e.j.“. Gemeint ist damit die österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, die sich auch in der Öffentlichkeit zu ihrer Angststörung bekennt. Auf 32 Seiten wird ein Gefühl durchdekliniert, das zwar das Lebensgefühl beeinträchtigen kann, aber ohne das man nicht überleben könnte. „die angst die“ beginnen die meisten dieser Gedichte. „die angst die dir: dein letztes / hemd nimmt“ „die angst die sich: gekonnt / bestreitet“, „die angst die: selbst vor sich / selber angibt“, „angst die dich sucht | und angst / die dich findet“, „angst die von sich meint: sie / wäre tröstlich“.

Das grundlegende, aber auch widersprüchliche menschliche Gefühl der Angst wird dabei nicht erklärt, sondern evoziert – um es zu bannen? Die ursprüngliche Funktion der Lyrik als magische Sprüche schwingt hier mit, eines Zaubers, an den die Autorin wahrscheinlich nicht glaubt, aber der zumindest für die Zeit des Sprechens, das heißt Dichtens wirksam wird. Trotzdem endet der Zyklus ohne Versöhnung:

und die unsichere angst vor
dem was sein wird | und die 
sichere angst davor: was war

Vergangenheit und Gegenwart

Der nächste, titelgebende Zyklus „[ in jeder zelle des körpers wohnt ein gedächtnis ]“ führt denn auch in die Vergangenheit, in das zutiefst beängstigende, unsühnbare Ereignis des Holocaust, das die Überlebenden, denen danach das Fußfassen im Leben zur lebenslangen Aufgabe wird, nie zu vergessen vermögen.

(…) und im späteren leben dich fragen 
wie oma-sein denn geht | und ein klavier 
kaufen wo die enkel sitzen: als säßen sie 
bei den ermordeten | aber kein sterbens-
wort dazu sagen damit nicht misstrauen 
gegen jeden menschen: einzug hält in sie

Und wie reagieren die Täter und ihre Kinder? „österreich das ist: tun als / sei nichts gewesen | schweigen singen weitertrinken“.

„[ tant’ | fragmente ]“ nennt Hundegger den Zyklus, in dem es in die eigenen Vergangenheit, sprich Kindheit geht, die die 1963 in Hall geborene in Tirol verbrachte. Die „tant’“, das ist die Ziehmutter von Hundeggers Vater, eine Despotin mit Kopftuch und Kittelschürze, die den Sohn vergötterte, egal, wie er sich benahm, und bei der Frauen, Kinder und Tiere nichts zählten. Aber ihre Rechnung ging nicht auf.

See Also

er erlöste: dich nicht | sich
nicht | niemanden | er ließ:
alle indem er dablieb zurück

dann bringen wir dir einen zaunkönig der verletzt
in seinen schweißnassen federn versinkt | die zart-
heit mit der du ihn hältst | deine finger eine sanfte
kuppel: über ihn gebeugt | und wie aus dem nichts
und in einem ruck reißt du die ofentür auf: und du
wirfst ihn hinein | uns stockt wochenlang der atem

Mit dem Zyklus „[ tunnel ende ]“ legt Hundegger einen bitterbösen Rap nicht nur über das Scheitern der Verkehrspolitik, sondern auch der heimischen Migrationsstrategie vor, um dann noch einmal in die eigene Vergangenheit zurückzukehren, zu dem „[ lebensregelnnebel ]“, den die ältere Generation der jüngeren mittels Sinnsprüchen und Lebensweisheiten mitzugeben versuchte – wobei sie damit nicht nur schwarze Pädagogik betrieb, sondern offenbar auch Verwirrung stiftete. Man vermeint, die maligne Ziehoma aus dem titelgebenden Zyklus zu hören, deren sprachliche Mitgift die Enkelin wie eine Litanei herunterbetet, sie streng in Themen ordnend: Gerüchte und Gerede, Tierisches, Teuflisches, Freundschaft und Feindschaft, Geld, Wasser, Alter und Tod. Zahlen werden durchdekliniert („es müssen zehn verderben ehe einer / reich wird“) und Adjektive ausgelutscht („besser den hut ziehen als den beutel“). Hundegger betreibe „listige Wortfeldforschung“, bemerkt Daniela Strigl ganz richtig im Nachwort. Aber das Weltbild, das mit diesen Wort-Ordnungen übermittelt wird, hält der Realität nicht stand. Es verkommt zum Mythos, dessen Opfer schuldig ist.

Die Dichterin versucht sich dieses Erbes mittels Verballhornung zu erwehren – und kreiert auf diese Weise Lust aus dem Frust.

sind die anderen andere leute | anderswo gibt’s auch nur:
leute | sind nicht alle leute leute – nein: weil leute gibt’s
die sind zwar leute aber menschen sind sie nicht (…)
(…) nur: einmal in der leute mund geraten geht’s kaum
noch heraus | und geheimnisse gibt’s von denen man nur
weiß weil es geheimnisse sind | geht man sodann wieder
unter die leut’ erfährt man was so los ist bei sich zu haus’

Der Dank an die Übermittlerin kann denn auch nur sarkastisch verstanden werden:

und merke: bevor man siebzig wird tritt alles noch einmal
vor augen | und wenn man die weisheiten dann halbwegs 
gelernt hat geht man hin und ist – tot | und der fade trost:
in hundert jahren wär’ alles eins | ja dann – tausend dank!

Das Tröstliche des genauen Hinschauens

Das Schöne, Tröstliche von Hundeggers Dichtung liegt in der Leichtigkeit, dem Humor, mit denen sie ihre schweren Themen angeht und ausdichtet. Am Schluss des Bandes gönnt sie den geplagten „corona-kids“ eine Erholung, nein Labung in der Natur – und damit auch den Leserinnen und Lesern. In sechs kristallklaren und wunderbar wahren Gedichten werden Wiese, Wald, Stein, Bach, Moss und See besungen. Denn der Mensch geht fehl, aber die Natur bleibt, um nicht zu sagen: heilt.

famos: so ein moos | es macht dich: von unten schwere-
los | es sagt: ich bin dein flaum-floß | du brauchst nicht:
zu posen | ich finde dich auch so: grandios | also los: du
machst im stehn eine weiche reise | sie lockert den kloß
der dir im hals steckt seit die welt ist wie sie davor nicht
war | kurios so ein moos | es macht von innen wolkenlos

Barbara Hundegger: [ in jeder zelle des körpers wohnt ein gedächtnis ]. Gedichte. Mit einem Nachwort von Daniela Strigl. Haymon, Innsbruck, 2023, 224 Seiten, Euro 23,50

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