Klaus Ebner liest Ludwig Fels’ Mit mir hast du keine Chance
Mit Ludwig Fels starb 2021 ein Autor, der ein umfangreiches Werk, vom Roman bis zur Lyrik, hinterließ. Für mein Gefühl ist Fels noch immer zu wenig bekannt, doch dem trägt der Jung-und-Jung-Verlag mit der jüngsten Auswahl von Gedichten, die zwischen 1973 und 2018 entstanden sind, Rechnung.
Der Hardcover-Band, satztechnisch wunderbar ästhetisch gestaltet, enthält Texte aus zehn Buchpublikationen sowie in Zeitschriften Abgedrucktes, und darüber hinaus findet sich Unveröffentlichtes. Im Anhang zum Buch wird dies präzise aufgeschlüsselt, für alle, die es ganz genau wissen wollen.
Cover © Jung und Jung Verlag
Zur Abrundung enthält der Band ein Vorwort von Oskar Roehler, dessen Vater Fels’ erster Lektor bei Luchterhand war, und ein Nachwort von Bernadette Conrad, die den Autor erst gegen Ende seines Lebens kennenlernte.
Ludwig Fels wurde 1946 im mittelfränkischen Treuchtlingen (Bayern) geboren und lebte seit 1983 in Wien. Bittere Kindheitserfahrungen bewirkten früh, dass er sich als eine Art Außenseiter sah. Aus dieser Position heraus verfasste er sein literarisches Werk, dem er auf diese Weise eine tiefe Authentizität verlieh. Manche Gedichte sind sehr persönlich und vermengen Gefühle mit eigenen Erfahrungen, andere haben einen politischen Touch. So etwa „Abfuhr“:
Neulich war ein Arbeiter bei mir und hat gefragt wann es denn endlich soweit sei mit der Revolution. Kommt schon noch, sagte ich tröstend er merkte nichts. Nach allem, was ich nicht geschrieben habe dachte ich schuldbewusst müsste sie längst beendet sein.
In der letzten Strophe schwingt eine sehr nüchterne und kritische Haltung zum eigenen Schreiben mit, die in mehreren Texten und überlieferten Kommentaren durchscheint. Oskar Roehler zitiert etwa eine Passage aus einem frühen Gedicht von Fels: „wenn einer wie ich gewinnt / hat vielleicht der Richtige verloren.“
Zwischen Form und Aussage
Ludwig Fels verwendet freie Rhythmen für seine Gedichte, deren Längen stark variieren. Da geht es vom Vierzeiler hin zu Texten, die über zwei Buchseiten reichen. Eine ähnliche Variabilität lässt sich auch bei der Verslänge beobachten – die Gedichte enthalten lauter sehr kurze oder eben sehr lange Verse.
Satzzeichen sind sparsam eingesetzt, wobei mir die Zeichensetzung in manchen Gedichten etwas willkürlich vorkommt. Eine Regel ist indes, dass am Versende nur ein Punkt, Rufzeichen oder Fragezeichen stehen darf; Kommata, sofern sie gesetzt, befinden sich ausschließlich innerhalb einer Zeile. Das bedeutet, dass der Zeilensprung oft (aber nicht immer) als Pause oder Zäsur zu lesen ist und auf diese Weise ein Komma ersetzt.
Dann verabschiede ich mich grußlos schreibe Postkarten an Bekannte von damals die nie beantwortet werden und bin es einfach leid am nächsten Morgen zu schlafen.
Der obige Ausschnitt aus dem Gedicht „Flüsterton“ zeigt diesen typischen Einsatz der Zeilensprünge, enthält aber zwischen dem zweiten und dritten Vers ein Enjambement, bei dem grammatisch kein Komma möglich wäre, das aber den Gedanken „an Bekannte von damals“ durch die eigene Zeile unterstreicht.
Inhaltlich wirken viele Texte, besonders die umfangreicheren, wie kleine Erzählungen, verfasst in vollständigen Sätzen. Da spricht ein lyrisches Ich, stellt seine Gedanken vor oder kommentiert Erlebtes, Erfahrenes, Erlittenes. Keine Metaphern, aber Kombinationen und Schlussfolgerungen, die mitunter verblüffen. In „Nächsten Sommer“ erklärt Fels, dass alles gut wird und welche Auswirkungen das hat:
(…) Es wird alles so gut werden dass ich Sprechen und Schreiben aufgeben kann im nächsten Sommer, wenn er da ist werde ich meine Bücher verbrennen und in die Asche schreiben werde die Mülltonne füllen mit Musik die man am Anfang der Sterne hört mit Kochtöpfen und Flaschen voller Staub. Dann wird es den ganzen August regnen aber der Liebe wird das egal sein ich weiß nicht, warum. (…)
Die Konflikte der Welt kommen zur Sprache, seien es jene der Religionen oder die politischen. Viele dieser Text sind noch von der Zeit geprägt, in der es eine Sowjetunion gab, doch angesichts des heutigen Krieges in der Ukraine muten diese Zeilen trotz der fühlbaren Bitterkeit und Enttäuschung über den realen Kommunismus geradezu nostalgisch an.
Der Buchtitel stammt übrigens aus dem Gedicht „Aussichtslos“, das einem schon mal den Atem stocken lässt:
Wenn du die Tür verriegelst spring ich aus dem Fenster. Wenn du die Fenster verrammelst renn ich mit dem Kopf gegen die Wand. Wenn du den Gashahn plombierst beiß ich ins Stromkabel. Wenn du die Tabletten versteckst häng ich mich auf. Mit mir hast du keine Chance.
Die Umstände, unter denen dieser Text entstand, entziehen sich meiner Kenntnis. Doch vermutlich ist es eine glückliche Fügung, dass dieses erdrückende Stimmungsbild lediglich zu Lyrik gerann und nicht umgesetzt wurde.
Zwischen Sarkasmus und Resignation
Es sind, wie bereits angesprochen, bittere Erfahrungen, die Ludwig Fels in seiner Lyrik (ebenso wie in den Prosawerken) verarbeitet. Manchmal spricht eine gewisse Resignation aus den Zeilen oder zumindest eine sehr klare Sicht auf die soziale Lage jener Menschen, die, wie es dann heißt, den „unteren Gesellschaftsschichten“ zugeordnet werden. Und vereinzelt blitzt in den Gedichten ein köstlicher Sarkasmus auf, der Leser*innen spontan zum Auflachen oder Schmunzeln bringt. So heißt es in „Natur“:
Hierher, sagen mir Bekannte, bauen wir unser Häuschen. Auf ihrem Grundstück grasen Kühe und Blumen wachsen im Klee. Hier ist noch alles so natürlich, sagen sie, die Luft und der Wald, Hügel und Felder hier werden wir wohnen … Ohne euch sag ich würde es so bleiben.
Wie wahr ist diese Beobachtung! Wer kennt nicht irgendwelche „Häuslbauer“, die hinaus aufs Land und in die Natur wollen, weil dort noch alles so unberührt ist; aber mit ihrer Ankunft ist es dann damit vorbei, wie auch Ludwig Fels mit seinem ruhig vorgebrachten, aber bissigen Statement in der zweiten Strophe feststellt.
Einen mit tiefem Mitgefühl gepaarten Sarkasmus fand ich in dem das Buch abschließenden Gedicht „Laika“, das mich inhaltlich überraschte. Zur Erinnerung: Laika war jene Hündin, welche die Sowjets in den Fünfzigerjahren als erstes Lebewesen in die Umlaufbahn der Erde schickten und die nur mehr tot zurückkam. Ludwig Fels machte sich darüber berührende Gedanken:
Nachts höre ich sie manchmal bellen da oben hinter irgendeinem Stern (…) kein anderes Lebewesen sonst – so nah an der Ewigkeit (…) gefühlte 2570 mal schwebt sie schwerelos durch die Abgründe des Seins bellt in allen Sprachen (…) So kommt sie nie zurück.
„Mit mir hast du keine Chance“ ist ein Buch, das inhaltlich von der ersten Seite an überzeugt. Zudem hatte ich große Freude an der auffallend schönen Gestaltung, die vom Buchformat bis zu Schriftwahl und Typografie reicht. Ein Buch, das ich gerne weiterempfehle.
Ludwig Fels: Mit mir hast du keine Chance. Jung und Jung, Salzburg 2023. 144 Seiten. Euro 22,–