Now Reading
Ich bin verzettelt, voll offener Fragen.

Ich bin verzettelt, voll offener Fragen.

Sophie Reyer liest Anna Ospelts Frühe Pflanzung


Mit Anna Ospelt verbindet mich, dass sie mir einmal in einer Workshopwoche der Lyrikplattform Babelsprech im literarischen Kolloquium begegnet ist. Ich erinnere mich: Damals stand sie im Garten, bei einer Baummeditation. Ich habe ihr begeistert zugesehen – und so wundere ich mich heute, einige Jahre später, auch nicht, dass ihr Buch Frühe Pfanzung heißt. Ich selbst habe das Buch nun bezeichnenderweise in meinem Garten gelesen – und bin sehr angetan!

Anna Ospelt ist eine Dichterin, die alles, was in der Natur wächst, beim Wort nimmt, und sich mit diesen Begriffen bestimmt gut auskennt. Geboren ist die Schriftstellerin in Liechtenstein. Sie studierte Soziologie und Medienwissenschaften in Basel und setzte sich bereits in Werken wie Wurzelstudien mit der Natur auseinander.

Foto © Sophie Reyer

Daher hat sie wahrscheinlich auch ihre besondere Form: Denn ihr neues Werk ist eines, das sich formal nicht einordnen lässt und zwischen lyrischer Prosa, freiem Tagebuch und einem aphoristischen Duktus oszilliert. Anna Ospelt nimmt das Wachsen als Stilprinzip und kreiert damit eine völlig neue Struktur. Mensch und Natur werden hier in einem literarischen Werk erstmals ganz ohne Plot auf eine Ebene gestellt, wenn es ganz unaufgeregt heißt:

Ein Setzling wird in die Erde gepfanzt, man gießt vorsichtg und wartet. Ein Kind wächst während der Schwangerschaft im Bauch der Muter heran und kommt zur Welt.

Ein wunderbares Zitat, oder? Das Adjektiv „vorsichtig“ ist eines, das sich beim Lesen der filigranen Texte übrigens immer wieder aufdrängt: Anna Ospelts Worte sind nämlich alles andere als das, was man im klassischen Sinne als „wuchernd“ bezeichnen würde, auch wenn die Sprache nur so fließt: Da ist kein Wort zu viel, da wird nichts erklärt, der Magie des Lebens nichts weggenommen, aber auch nichts verschönt oder hinzugedichtet. Auf zerbrechliche, aber auch völlig unaufgeregte Weise beschreibt Anna Ospelt, was da so in ihrem Leben keimt, Form annimmt, groß wird, sich verändert und wieder vergeht.

See Also

Da ist zum Beispiel das Kind, zuerst noch ein Teil des Selbst, das laufen lernt und schließlich losgelassen werden muss. Da ist der Garten, in dem Leben beginnt, groß wird und wieder vergeht, und da ist die Beziehung – um einiges spröder und weniger organisch als der Garten – die aufgrund gewisser gesellschaftlicher Strukturen dann doch wieder (los) gelassen werden muss. Anna Ospelts Text schildert den Alltag von Schreiben und Muttersein auf sanfte Art und Weise und ist dabei implizit politisch. Denn ohne plakativ sein zu wollen, leuchtet stets die gesellschaftliche Frage durch die Zeilen der Dichterin: Was bedeutet „Mutterwerden“ heute für eine Frau, die schreiben will? Leicht ist es jedenfalls nicht und der Freiraum der Mutter hart erkämpft: „Die kleinen Freiheiten: unter der Dusche, in einem Brief, im Kunstmuseum. Mein Aufatmen darin.“

„Ich bin verzettelt, voll offener Fragen. Habe keine Antwort darauf, was richtig ist“, schreibt Anna Ospelt und dass sie nur Eines weiß: „Ein Baby ist ein Baby ist ein Baby.“ Eine Suchbewegung in Sprache beginnt und setzt sich fort, entwickelt und verändert sich wie auch das Leben der Pfanzen. „Ich sticke auf den Stoff meiner Großmutter, mit den Faden meiner Mutter“, schreibt Ospelt in Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit. Eine literarische Besonderheit sind hier vor allem auch die eingefügten Bilder: Gewürzt sind die wie hinter einer Glaswand geschilderten Betrachtungen des Textes mit filigranen visuellen Arbeiten, die ähnlich reduziert arbeiten wie die Sprache in diesem Band und durch klare Formen, Farben und Konturen große seelische Räume im Leser öffnen. Eines wird beim Lesen von Frühe Pflanzung klar und macht Hoffnung: In Zeiten, in denen Menschen immer mehr „optimiert“ und Randgruppen immer massiver verdrängt werden, bricht Anna Ospelt mit semantischen Strukturen und sucht neue Formen des Ausdrucks, indem sie existierende Sprachcodes aus ihrem Kontext löst und in eine neue Anordnung bringt: So wird die Produktionsmaschinerie nicht einfach beliefert, vielmehr kommt es zur Auslotung neuer Bereiche und Möglichkeiten, Sprache zu denken. Anna Ospelt scheint mir den Spuren feministischer Dichterinnen zu folgen und dabei doch einen ganz neuen und eigenen Stil zu entwickeln. Ein gelungenes Buch!



Anna Ospelt. Frühe Pflanzung. Limmat Verlag, 2023, 120 Seiten, Euro 24,-

Scroll To Top