Die POESIEGALERIE stellt ihren Autor*innen Fragen zum Schreiben
Heute die Antworten von Barbara Pumhösel
1. Schreibst du regelmäßig? Zu welchen Zeiten und an welchen Orten schreibst du?
So oft wie möglich, wenn auch nicht in regelmäßigen Abständen und selten zur selben Tageszeit.
2. Ist Schreiben für dich eher Handwerk oder Inspiration? Wie passen diese beiden Pole zusammen?
Eine Lebenshaltung mit viel Handwerk und auch Inspiration – im engeren Sinn, nicht im übertragenen: Schreiben als Sauerstoff, ein Einatmen der Materie, die Schreiben notwendig macht. Und ein immer wieder von Neuem startender Versuch, eine persönliche Ordnung in die inneren Chaos-Schichten zu bringen, sie überschaubar zu machen, etwas auf Abruf wieder zu finden.
3. Wo findest du deine Themen? Eher in deinem Leben und unterwegs oder in Büchern und Medien?
Sowohl als auch: im Alltag, im weißen Raum zwischen zwei Versen, beim Suchen nach etwas anderem, beim Gehen, im Stau auf dem Weg zum Supermarkt. Beim Lesen eines Essays, eines Gedichts oder Krimis, beim Radiohören.
4. Welche Bedingungen muss ein gelungenes Gedicht für dich erfüllen? Oder: Wann bist du sicher, dass ein Gedicht fertig ist?
Es sollte ein Spannungsfeld erzeugen, eine Zerreißprobe beinhalten, einen Moment Staunen hervorrufen, zu einem Gedankensprung zwingen (über einen wie auch immer beschaffenen Abgrund), eine Schicht (unter den verschiedenen Lese- und Vorstellungsebenen) freilegen oder erahnen lassen, zu der der oder die Lesende/Schreibende bisher noch nicht vorgedrungen ist. Ein Text in Versen sollte zumindest kleine Überraschung beinhalten, dreidimensional vorstellbar sein …
Ich bin langsam und lege Wert aufs Dekantieren, es kann Jahre dauern. Ab und zu stelle ich ein Wort um, ändere die Position der Verse, schneide hie und da etwas weg, kurz gesagt: Ich feile gerne … Unter anderem, weil es eine Möglichkeit ist, am Text zu bleiben (und ihn Wort für Wort zu überarbeiten), wenn der Brotjob versucht, auch die Schreibzeit zu fressen, und der mentale Raum mit Alltags- und Arbeitskomplikationen nicht genug Leere für ein umfangreicheres Projekt lässt.
5. Trifft auf dich das Diktum zu, dass Dichter*innen Seismographen ihrer Zeit sind – und wenn ja, inwiefern? Anders gefragt: Siehst du für dich als Dichterin eine Aufgabe in Bezug auf das gesellschaftliche Ganze?
Dichter*in ist ein großes Wort, das ich jetzt nicht strapazieren will. Als Leserin könnte das zum Teil auf mich zutreffen. Als Kind der Gegenwart versuche ich lesend und schreibend Elemente der Vergangenheit zu entziffern, mich nach vorwärts zu bewegen. Das ist kaum möglich, ohne ab und zu vom Weg abzuweichen, Abkürzungen zu suchen (die manchmal den Weg verlängern), falsch abzubiegen, was zu neuen Einsichten, konstruktiven „Verirrungen“ und neuen Entdeckungen führen kann.
Eine Aufgabe hat wohl jedes menschliche Wesen in Bezug auf das gesellschaftliche Ganze, wobei die eines Lyrikers / einer Lyrikerin oder allgemein von Autor*innen wohl vor allen anderen die ist, jedes Wort abzuwägen. Doch wie schon oben gesagt, Inspiration heißt auch „Einatmen“ und man/ frau verleibt sich vorübergehend viel von dem ein, was in der Luft liegt – von Feinmetallen über Virusvarianten, Lärm und Licht (nicht unbedingt als Synästhesie gedacht: Nachtluft ist nicht Tagesluft) –, und versucht dann, einiges davon in einer bestimmten Form als Wortkompostion wieder zur Welt kommen zu lassen. Was eigene Texte betrifft, so ist in meinem Buch Die Distanz der Ufer und dem Zyklus Lapsus Lingue oder die Nachtziege die Verknüpfung mit Elementen aus der Gegenwart und der Bezug auf das Zeitgeschehen direkter wahrnehmbar, während ich früher (auch heute gelegentlich, es hängt von der mentalen Skizze ab) wichtige Aussagen stärker um- und verdichtet, kodifiziert oder überschrieben habe.
6. Kannst du mit dem Satz „Dichten ist ein brotloser Beruf“ etwas anfangen? Oder besteht in deinem Leben eine Spannung zwischen Schreiben und Einkommen?
Ja, von Gedichten kann (fast) keine/r leben, vom Schreiben allein nicht viele. Was mich persönlich betrifft, so hatte ich fast immer (in den ersten Jahren und während des Studiums auch relativ pittoreske) Brotjobs, doch selten reguläre Verträge, was in Hinsicht auf ein ruhiges Schreibdasein im Alter von Nachteil ist.
7. Welche Autorinnen und Autoren, welche Gedichte haben dich geprägt, fürs Schreiben sowie fürs Leben?
Zu viele, um sie hier einzeln aufzuzählen, manche nur für eine kurze Zeit, andere tauchen in periodischen Abständen immer wieder auf. In der Kindheit Christine Busta (Die Sternenmühle), Mira Lobe (Das kleine Ich bin ich, Die drei Stanisläuse), in der Jugend Balladen von Schiller, Goethe usw., als Studentin unter anderem Gedichte aus dem Museum der modernen Poesie und Gedichte von Rilke, Brecht, Jandl, Ausländer, Domin, Lavant, Alberti etc. Viele Texte habe ich als Kind und Jugendliche freiwillig (und mit Begeisterung) auswendig gelernt oder gemeinsam mit anderen laut gelesen, z. B. das „Huldegedicht aan Singer“ (Paul van Ostaijen), „Die Leichenwäsche“ (Rilke), „The fox“ (Kenneth Patchen), „Zweierlei Handzeichen“ und „Lechts und rinks“ von Jandl, „I fiumi“ von Giuseppe Ungaretti, Delikatessen von Ingeborg Bachmann …
8. Woran schreibst du gerade bzw. woran hast du zuletzt geschrieben?
Immer an mehreren Sachen gleichzeitig. Zum Beispiel an einer Gedichtsammlung mit dem Titel Das Ü in Glück und Flügel, aus der einige der ersten bereits veröffentlicht wurden (im Podium-Porträt-Band), die aber immer noch anwächst. Von einem Langgedicht in sieben Teilen, dagegen, Lapsus Lingue oder die Nachtziege wurde ein Auszug im ORF (Radio Ö1) vorgestellt, jetzt bin ich dabei, das Ganze etwas zu straffen, und werde einige der aus Sendungsgründen bedingten Kürzungen beibehalten.
„Dreiunddreißig leerreiche Gedichte (Eine Lyriksammlung für Kinder)“ ist ein Lyrikprojekt, an dem ich schon lange arbeite und bei dem es sich um eine spielerische, etwas schräge und surrealistische Recherche zum Thema „Löcher, Lücken und Leere“ handelt, um eine Ausleuchtung möglichst vieler verschiedener Blickwinkel und ihrer realistischen und imaginären Manifestationen im Alltag und in der Phantasie: Ist eine Lücke Abwesenheit von Materie oder Präsenz von etwas, das „Nichts“ genannt wird? Welche und wie viele Formen kann das Nichts, die Leere annehmen? Kann Leere lehrreich sein?
Vor einem halben Jahr ist mein erster Kindergedichtband in Italien erschienen, Kindergedichte schreibe ich schon seit meiner Volkschulzeit, und jetzt intensiviere ich meine Bemühungen und hoffe auf ein Kinderlyrikbuch auf Deutsch in den nächsten Jahren.
9. Gibt es eine Frage, die du dir gerne selbst stellen und beantworten möchtest?
Fragen sind interessanter als Antworten. Da bin ich weder die Erste noch die Einzige, die das behauptet. Manche Fragen sind schnell gestellt, die Antworten immediat. Für andere braucht es ein Leben lang und die entstehende Antwort verändert sich im Werden, wieder andere Antworten müssen erfahren, erlesen oder erschrieben werden. Eher als mir selbst eine Frage stellen zu wollen, würde ich gerne versuchen, sie mir unter Einbeziehung aller fünf und auch der zusätzlichen Sinne konkret und „praktisch“ erarbeiten. Und auch den Abstand, das Feld, die Ränder zwischen Frage und eventueller Antwort erkunden, betasten, beleuchten …
Wie Inspiration in den Köpfen von Menschen, die nicht die Möglichkeit hatten, lesen und schreiben zu lernen, verarbeitet wird, wohin die nur gedachten Gedichte gehen, ob es (Erinnerungs-)Orte gibt, in denen sie ihren Platz finden.
Poetische Figuren wie das Oxymoron oder die Synästhesie personifizieren und sie befragen. Letztere zu den Wahrnehmungsfeldern und Sinnerfahrungen nicht menschlicher Lebewesen, zu in der Luft fühlbaren Verknüpfungen und Kombinationen. Auch in Hinblick auf ihre Wurzeln und ihre Präsenz in der gesprochenen Sprache und im Dialekt …