Jelena Dabic liest die Anthologie des Feldkircher Lyrikpreises 2021
Eine große Freude und eine schöne Überraschung ist dieses eher kleinformatige, aber keineswegs dünne Gedichtbändchen: die Anthologie des Feldkircher Lyrikpreises 2021. Das Motto für die eingereichten Texte war „ein strich in der landschaft“ – wie immer bei diesem Preis eine Zeile aus einem Gedicht des Preisträgers des Vorjahrs, in diesem Fall Tobias Pagel, der dann auch Mitglied der vierköpfigen Jury wurde.
Dass mit der Vorgabe des Begriffs „Landschaft“ unter den Gedichten der Anthologie viele Naturgedichte herausgekommen sind, überrascht kaum. Die Lektüre gestaltet sich für jeden interessierten Lyrikleser, jede Lyrikleserin sehr abwechslungsreich und interessant, nicht anders als bei der Jubiläumsausgabe, dem Band von 2022, der das 20-jährige Bestehen des Preises feiert.
Cover © Edition Art Science
Zeitgenössisch …
Der erste Preis ging 2021 an Sarah Rinderer (Jg. 1994), deren Gedichte einem Studienaufenthalt in Island entstammen. Es sind leicht experimentelle, leicht elliptische, in sehr aktuell anmutendem Stil verfasste Zeilen, die die stille, kalte Küstenlandschaft aus der individuellen und einsamen Perspektive der fremden Besucherin wiedergeben. Interessant ist hier auch die Verbindung von Details des technisch hochaufgerüsteten Alltags mit jenen der Mythologie und unseren Vorstellungen vom hohen Norden.
die landverbindung zur leuchturminsel unterbrochen warte auf netzwerk wieder und wieder
Martin Piekar (Jg. 1990), der zweite Preisträger, geht in seinen Gedichten stärker auf die klangliche Seite der Wörter und Begriffe ein: Hier findet man Alliterationen, Ansätze von Assonanzen, aber auch leitmotivische Wiederholungen und den einen oder anderen englischsprachigen Begriff. Seine eher narrativen Texte offenbaren groteske Situationen – oder sind es nur allerlei starke Metaphern für diverse Befindlichkeiten des zeitgenössischen Subjekts (Selbstverletzung, Wahrnehmungsstörungen, innere Leere etc.)? Manchmal verselbstständigen sich aber die Dinge und das Szenario hebt ins Surreale ab.
golfbälle heulen monde an kotztüten schwirren, streikende kotztüten brüllen notizen streiten über sinn von teilchen & antiteilchen segnen & schänden das vakuum einkaufslisten fallen in ohnmacht, kuckucksuhren im burnout
… und klassisch
Sehr überraschend sind unter den durchwegs überzeugenden weiteren Einreichungen zwei Autoren, die sich dem Reim verschrieben haben: etwas, das in der deutschsprachigen Lyrik der letzten Jahrzehnte nur als Ausnahme existiert. Der in Leipzig lebende Carl-Christian Elze (Jg. 1974) beherrscht diese Kunst wie kein anderer: In seinen metrisch perfekten Sprachgebilden mit originellen, recht verschiedenartigen Titeln verbindet er auf sehr kunstvolle Weise aktuelle Phänomene (Covid-Pandemie, Neo-Biedermeier, Apps am Smartphone etc.) mit dem Wohlklang und dem Rhythmus klassischer, gereimter Lyrik. Von ihm werden auf souveräne Weise auch Themen wie der mögliche Weltuntergang, die Vergänglichkeit des Lebens oder Selbstzweifel in lange, metrisch vollendete Zeilen verpackt.
Ein weiterer Meister des Reims ist der 1983 geborene Michael Spyra aus Halle/Saale, dessen Gedichtzyklus „Dahrenstedter Dramolett“ Wetterphänomene und Landschaftsbilder in den Blick nimmt. Darin bleibt der Autor der Tradition des Dinggedichts treu: Die Beschreibung einer Erscheinung oder eines Ortes bleibt mehr oder weniger frei von anderen Überlegungen oder Empfindungen des lyrischen Ichs, was nach dem zweiten oder dritten Gedicht etwas seltsam bis unfreiwillig komisch anmutet – oder aber bewusst satirisch.
Dann wird es dunkler und dann wird es trüber. Dann wird es kühler. Dann verdichten sich die Regentropfen je zu einem Strich, auf ihrer Bahn. Dann läuft die Tonne über.
Huldigungen an Dichterkollegen
In Reimen – genau genommen in gereimten Sonetten – übt sich schließlich auch der aus Oberösterreich stammende Robert Schöfberger (Jg. 1955). Auch seine rhythmisierten melodischen Gedichte widmen sich der sehr bildhaften Schilderung eines Ortes („Grenzen“), an dem ein einsames Ich verharrt und von wo aus er die wenig bewegte Szenerie registriert. Besonders gelungen ist das Sonett über den Winterbeginn in und um eine namenlose Stadt, den der Verfasser mit poetologischen Überlegungen verschränkt.
Der Blick fällt jetzt in eine große Enge. Wie alles langsam wird. Wie alles lang- sam leer wird und die Leere an die lee- re Stelle setzt. Der Wald hat sich verändert.
Auf eine lakonische Art ansprechend sind die Gedichte der Oldenburger Lyrikerin Britta Lübbers (Jg. 1960). Als Preisträgerin des Rolf-Bossert-Gedächtnispreises widmet sie das erste Gedicht dem tragisch aus dem Leben geschiedenen deutsch-rumänischen Dichter. Der Text ist neben originellen Metaphern reich an Details, die die Figur des Autors in einprägsame Bilder kleiden.
Du schnipptest die Asche Von den Treppen des Winds Fielst aus dem Fenster Jetzt will es keiner gewesen sein
Eines der weiteren Gedichte ist in der kargen Landschaft von Fuerteventura angesiedelt. Hier wird auch eine ökologisch sinnvolle Zukunft des Bauens entworfen, was ein wenig an das ökologische Gedicht der 1980er Jahre erinnert. Reine Impressionen von Meer, Sand und Hitze bietet hingegen das Gedicht „Eidechse“:
Die Treppe zum Meer Wo der Wind den Palmen Durch den Bastrock fegte Vor der Wand aus Kalk
Zu erwähnen wären noch die sprachexperimentellen Texte von Marcus Neuert, die balladenartigen, erzählenden Gedichte von Niklas Linnenbach oder die Überlegungen über langes Zusammensein von Elke Laznia. Eine Anthologie, die durch das durchgehende Niveau der Gedichte zu überzeugen vermag, weswegen hier eine Empfehlung an alle LeserInnen zeitgenössischer Lyrik ausgesprochen sei.
Erika Kronabitter (Hg.): 19. Feldkircher Lyrikpreis 2021. EditionArtScience, St. Wolfgang. 143 Seiten, Euro 12,00.