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Kosmos sprachlicher Sparsamkeit

Kosmos sprachlicher Sparsamkeit

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Daniela Chana liest Angelika Stallhofers Stille Kometen


In ihrem Lyrikdebüt Stille Kometen, das 2022 in der edition ch erschien, präsentiert Angelika Stallhofer ein vergnügliches Spiel mit Auslassungen und leisen Pointen. Dieser Kosmos sprachlicher Sparsamkeit lässt beim Lesen viel Raum für eigene Gedanken und Interpretationen – und ab und zu leuchtet dazwischen eine Sternschnuppe auf.

Stallhofers Gedichte sind durchwegs kurz und pointiert, bestehen oft nur aus drei oder vier Versen zu jeweils ein oder zwei Worten. Häufig sind sie zugespitzt auf allgemeingültig formulierte Aussagen und dabei ironisch gebrochen, sodass sie mitunter an Aphorismen erinnern, zum Beispiel ihr Gedicht „Paradoxon“:

Cover © edition ch

Zum Luftholen
musst du
abtauchen

Stallhofer holt nicht weiter aus, sie möchte weder etwas veranschaulichen noch erklären und schon gar nichts umschreiben, sondern beschränkt sich zur Gänze auf die Essenz ihrer Aussage. Damit treibt sie die Idee des „Verdichtens“ ins Extrem: Nur der Kern interessiert sie, aber nicht der Pudel. Es bleibt den Lesern überlassen, selbst den Sinn in einen Zusammenhang einzubetten.

Eine der größten Herausforderungen bei humorvoll pointierten Texten besteht darin, nicht nur ein Schmunzeln, sondern daneben auch Tiefe und Gefühl zu erzeugen. Dies gelingt Stallhofer zwar nicht durchgehend, dafür aber an vereinzelten Stellen vortrefflich, zum Beispiel in dem Gedicht „Immer meer“:

Einer liebt
den anderen
immer meer

schaut
zum Mond

wogt
hin und her

Fein wird hier der Zwischenton angedeutet, der leichte Zweifel, der kaum wahrnehmbare Widerspruch: Bedeutet das Hin- und Herwogen eine Unsicherheit, ein Schwanken in der angeblich so starken Liebe? Erzeugt der Mond, der ja über Ebbe und Flut bestimmt und die nächtliche Dunkelheit durchbricht, Unruhe im Liebenden und lässt ihn deshalb seine Gefühle hinterfragen? Erkennt derjenige, der „meer“ (also lautlich: „mehr“) liebt, dass er sich dem anderen zu sehr ausliefert, zu viel gibt und zu wenig bekommt? Oder verhält es sich gerade andersherum: Soll das Hin- und Herwogen an ein tröstliches In-den-Schlaf-Wiegen gemahnen, an Beständigkeit und Schutz? Denn wer bloß schaukelt, bewegt sich nicht von der Stelle und wird auch morgen noch für den anderen da sein.

Es bleibt also offen, ob der Blick zum Mond die Sehnsucht nach einem Aufbruch andeutet oder ob der Liebende deshalb nach oben schaut, weil er im Himmelskörper einen Fixpunkt und somit einen Genossen in seiner Treue erkennt. Das Gedicht lässt beide Deutungen zu, die vielleicht so gegensätzlich gar nicht sind, und wächst somit gekonnt über die Ebene des bloß pointierten Wortspiels – das für sich allein genommen ja nicht neu wäre – hinaus.

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Fröhliche Melancholie

Generell hegt Stallhofer eine Vorliebe für Wortspiele, die auf den ersten Blick allzu einfach wirken und erst bei genauerem Hinsehen ihren tieferen Sinn offenbaren. Mehrfach erzeugt der Gedichttitel eine zweite Bedeutungsebene, etwa bei „Und vice versa“:

Einer hat
das Salz

der andere
die Wunde

Hier ist es allein der Titel „Und vice versa“, der Gerechtigkeit zwischen den beiden besprochenen Figuren – „dem einen“ und „dem anderen“ – herstellt und ohne den das Gedicht nicht vollständig wäre. An diesem Beispiel zeigt sich auch Stallhofers Tendenz zu überraschenden Wendungen und ironischen Brüchen, die Stille Kometen zu einer vergnüglichen Lektüre macht. Ebenfalls zum Schmunzeln regen mitunter auch sparsam gesetzte, aber dafür umso charmanter platzierte Reime ein, wie etwa in dem oben zitierten „meer“-Gedicht. Bereits in ihrem Romandebüt aus dem Jahr 2018, Adrian oder: Die unzählbaren Dinge (Kremayer & Scheriau), hatte sich Stallhofers Hang zu Wortwitz und einer bildhaften Sprache gezeigt. Es war daher längst an der Zeit, dass die 1983 in Villach geborene Autorin diese Qualitäten auch in ihrem ersten Lyrikband gesammelt präsentiert.

Eingebettet sind die Gedichte in fröhlich-melancholische Illustrationen der ungarischen Künstlerin Andrea Zámbori, welche die ambivalente Leichtigkeit der Texte trefflich aufgreifen. Die einfach gehaltenen Zeichnungen und Collagen spielen mit der Ästhetik von Kinderbüchern, rücken etwa einen rosafarbenen Fuchs ins Zentrum, der zusammengerollt mit einer Eule auf dem Boden schläft, oder ein Paar Mädchenfüße in rosa Socken, die auf Stelzen durch das Wasser gehen. Dass hier für den mehrfarbigen Druck etwas mehr Geld in die Hand genommen wurde, hat sich auf jeden Fall gelohnt.


Angelika Stallhofer: Stille Kometen. Edition ch, Wien, 2022. 74 Seiten. 15 Euro.

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