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Schwebende Präzision

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Lukas Meschik liest Benedikt Steiners spuren in einem


Mit spuren in einem gelingt Benedikt Steiner ein selbstbewusstes Lyrikdebüt, das von der Leserschaft etwas einfordert – und sie im Gegenzug reich beschenkt. Es gibt Gedichte, die sich einem sofort an den Hals werfen, sich herkömmlicher Formen bedienen, womöglich einem leicht verständlichen Versmaß folgend, und Bilder evozieren, die sich einem sofort erschließen.

Steiner benedikt spuren-in-einem

Sie sind bekömmlich, leicht verdaulich, allzu bald wieder vergessen. Und es gibt Gedichte, die einen Eigensinn zelebrieren, denen man ansieht – anliest –, dass sie die Eisbergspitze einer künstlerischen Entwicklung und Auslotung sind; eine Spur weniger zugänglich, dafür aber auch geheimnisvoller und interessanter. Wer Letzteres sucht, wird bei Steiner fündig, der einen selten souveränen Erstling vorlegt.

Cover © Text/Rahmen Lyrik

wolken denken

so lange
bis 	ihr regen sich hin
	zur erde schreibt
	:
	nebel      leis
		   zu sprechen beginnt

Gedichtskulpturen

Bei spuren in einem scheint es sinnvoll, kurz auf die Biografie des Autors einzugehen. Benedikt Steiner, geboren 1990 in Basel, studierte Design & Kunst an der Hochschule Luzern sowie Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Diese zwei Welten, also jene des Gestaltens von Formen und Räumen sowie jene der Sprachgestaltung, sehen wir hier stilsicher kombiniert. Dass die vorliegenden Gedichte vom Verlag als „skulptural anmutend“ beschrieben werden, bestätigt sich einem bei Lektüre sofort – und der Werdegang des Verfassers liefert eine Erklärung, aus welchen Sphären sich das Projekt speist. Ergänzt werden die Texte durch eine Handvoll Graustufenbilder des Autors selbst. Die feine Buchgestaltung (Leinen mit Prägung, schwarzes Lesebändchen) macht den handlichen Band auch zu einem haptischen Erlebnis.

        (…)
	einblick, ein blick
	der so weit reicht
dass die zeit sich freut
	ja, freut

Die in Kleinschreibung gehaltenen Gedichte existieren in einem strengen Korsett, erscheinen wie hingetupft zum Aquarell, in dem aber doch jedes Wort und jeder Wortsplitter sehr bewusst gesetzt sind. Atem- und Denkpausen werden durch Abstände, Doppelpunkte oder Leerzeilen angezeigt, wodurch eine Hierarchie der Zäsur etabliert wird. Kursivsetzungen markieren Betonungen. Steiners Lyrik spielt sich wie gesagt nicht nur auf der Textebene ab, sondern ist in den (zweidimensionalen) Raum gedacht und entfaltet eben ihre Wirkung als Ausbreitung im Raum, für den hier die Buchseite herhält. Sie spornt an zu lautem Lesen, um auszuloten, inwiefern die eigene Stimme überhaupt in der Lage wäre, die angezeigten Abstufungen des Innehaltens umzusetzen. Aufschlussreich wäre sicher ein Vortrag des Autors selbst.

Atmendes Organ

Steiner operiert mit seinen Gedichtskulpturen am offenen Herzen der Sprache. Begriffe, über die man nie groß nachdenkt, werden durch Zerlegung entzaubert und auf ihre Bedeutung und etwaige Bedeutungsmöglichkeiten abgeklopft. Bei aller Mitfreude an poetischer Experimentierlust wirkt einzig das Auseinanderziehen von Wörtern eine Spur manieriert, gerade dort, wo sich bei den einzelnen Elementen nicht wieder jeweils ein neuer Sinnzusammenhang ergibt. Eines der Gedichte sei hier grob seziert.

bruchlos

durch	wieder holung
kommt zeit
nach jahren
wieder nah, 	anders als
	aber
	nicht vorbei
kontinua aus jahrzehnten
fließenzusammen
	zu
zei	träumen
	in denen
	geborgen dauert

Es ist verblüffend, wie aus der banalen „Wiederholung“ eine „holung“ wird, und zwar „wieder“. „Fließenzusammen“ darf sich den sturen Rechtschreibregeln entziehen und zusammenfließen, erzeugt so ein entsprechendes Bild. Sehr kunstvoll, wie auf engstem Raum mehrere Bedeutungsebenen übereinander geschachtelt werden. „kontinua“ fließen also zusammen zu „träumen“, aber auch zu „zeiträumen“, stutzig macht nur das „zei“, das für sich selbst nichts bedeutet. Beim Lesen darf und muss die ketzerische Frage erlaubt sein, ob sich immer die Form aus dem Inhalt ergibt oder eine solche Zersplitterung manchmal nur gemacht wird, weil sie gemacht werden kann. Bekanntlich muss nicht alles passieren, nur weil es möglich ist, ein Wortspiel darf auch ausgelassen werden. Doch diese Stellen, wo die Methode zum reinen Selbstzweck zu verkommen scheint und ein Muster sich gern selbst wiedererkennt, sind rar gesät und tun dem Lesevergnügen keinen Abbruch.

See Also

bild für beseeltheit

seele	als
	organ, das atmet
	:
	keine lunge
	qualle vielleicht
weich, zerbrechlich
reagiert auf kleinstes
hinter	lässt eindrücke,   spuren
manchmal	zu, weil
		zu weit		offen
				offen
				am lebendigsten

Die Seele als atmendes Organ gedacht, das Acht geben muss, wie weit es sich der Welt öffnet. Auch Steiners Gedichte sind zerbrechlich und filigran. Diese Zerbrechlichkeit jedoch mit Schwäche zu verwechseln, könnte falscher nicht sein, entwickeln sie doch gerade aus der bewussten Auslassung und Zurückgenommenheit ihre dichterische Gravitation. Posierende Muskelprotze haben nur Luftmuskeln, mit Steroiden künstlich aufgepumpt – wer wirklich stark ist, braucht es nicht an die große Glocke zu hängen.

In fünf Kapiteln – „hauchschrift; durchfluss“, „beständig“, „tauchgänge“, „intuitionen (als ordnung)“ und „entsplitterung“ – nimmt spuren in einem mit auf einen behutsamen Rundgang durch ein Innenleben, das sich aus Erinnerungen, Naturbetrachtungen und Körpererfahrung wieder selbst zusammenzusetzen versucht. Die in Splitter angeordneten Gedichte lassen sich als Scherben einer Gefühls- und Gedankenwelt lesen. Ihre Sprache bleibt karg und verrätselt – einen Reim muss man sich selbst darauf machen. Das erfordert Bereitschaft zu Entschleunigung und Konzentration.

Steiners Gedichte machen sich nicht wichtig – sie haben es auch gar nicht nötig. Sie verlassen sich ganz auf das nackte lyrische Vermögen. Als Leser fühlt man sich nie dazu überredet, etwas zu sehen, zu erkennen oder zu verstehen, sondern dazu eingeladen. Eine Einladung, die man nur zu gerne annimmt. Mit seinem gelungenen Debüt hat Steiner nicht nur seinen Ton gefunden, sondern auch seine eigenständige Form. Man darf gespannt sein, welche Räume sich damit noch öffnen lassen.


Benedikt Steiner: spuren in einem. TEXT/RAHMEN Lyrik, Wien, 2023. 112 Seiten, Euro 18,–

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