Katrin Köhler
Wieder bin ich im Hochhaus.
Seine Decken sind maßlos weit oben, die Flure höher als lang. Über mir, über allem hier verrottet es, weil niemand herangelangt. Die verblichenen Tapeten, die vagen, verlegenen Strukturen in ihnen, die von mürben Holzrahmen umfassten Blindfenster, sie alle verkommen im Unerreichten. Der Verfall und die Beklemmung darüber lassen ein Dasein vormachen. Angst war da, aber niemand hatte sie. Ich bin gar nicht richtig betroffen. Mir sind alle Beunruhigungen heraus vor mir auf den Boden gefallen.
Wenige Räume entfernt schreien zwei einander an; genauer gehört bereden sie, dass die Sonne nicht da ist. („Jeden Tag die gleiche Scheiße.“)
Im weitläufigsten Zimmer, im elften, dem obersten Stockwerk, findet unter allen Hierwohnenden ein Rätsel statt. Sie spielen etwas vor, das verstanden werden muss. Durch die ihnen fehlende Sprache hängen sie fest in der Gestik des Nicht-Sprechens (nicht in der Unheimlichkeit des Schweigens), weil die Körperlichkeit im Reden einer fremden Sprache fühlbarer, wie aus dem Chor heraustretend ist: Dann ist ein Körper wie Sprache, dann ist Sprache Orientierung.
Das zu Erratende ist kein Mysterium, es ist eine Realität, die es zu erfassen gilt, und zwar ohne, dass sie einem ausgesprochen wird. Sie hat mit einem Älterwerden zu tun, einem Beginn, mit einem Vergessen, alles hier ist Zerfall, und dabei kein gespielter. Die Spielenden spielen Spiel, sie sind die schon Zerfallenen.
Was kann ich erzählen, vielmals dirigieren, in einem Beieinander halten. Welche ist diese eine Geschichte, die ich zu erzählen nicht fähig bin.
Zuletzt erschien von Katrin Köhler: Wie alles andere als seine zerstreuten Zugehörigkeiten, Sprache # Gestalt 1, herausgegeben von Oswald Egger, Kiel, 2014
Die Autorin liest am Samstag, den 11. November 2023 um 20:15 bei der Poesiegalerie (zum Programm).