Now Reading
Zwei – wenn Klänge Worten Flügel verleihen

Zwei – wenn Klänge Worten Flügel verleihen

Logo Besprechung

Sophie Reyer hört Hermann NiklasZwei. Texte, Stimme, instant poetry


Dass Vergangenes mit der Gegenwart immer zusammenhängt wie verfilzte Haare, weiß wohl so mancher unter uns.

Daher verwundert auch das Erscheinen der CD einer Gruppe, die es in der Konstellation schon nicht mehr gibt, nicht besonders: Das DIVINE MUSICAL BUREAU, das von 2012 bis 2017 existierte und sich damals als Improvisationsorchester formierte, hat nun, ganze sechs Jahre nach seiner Auflösung, sein Werk Zwei herausgebracht. Und dieses ist aktueller denn je.

Hier wird nämlich ganz im Sinne der Postmoderne in verschiedenen Bereichen mit Klang, Wort und angrenzenden Disziplinen experimentiert. Dabei kommt es zur gezielten Auslotung des Grenzbereiches zwischen aktueller Sprache und Musik und dem Spiel mit neuen formalen Strukturen.

Einwortpoesie vom Feinsten

Schon die Titel der einzelnen Stücke auf der CD sind so etwas wie Einwortpoesie, wenn man es genau nimmt, und könnten eigentlich für sich stehen: „Icht“, heißt eines der Werke, ein anderes „Reptil“ und ein weiteres „Raupe“ – alles Worte, die sofort Räume öffnen. Dennoch: Nicht immer werden die Assoziationen, die man mit den Worten verbinden mag, im rezitierten Gedicht sprachlich eingelöst. Und das ist gut so! Denn die von Hermann Niklas gestalteten Texte sind in keiner Weise als Bebilderungen der Klänge zu verstehen.

Das, was das DIVINE MUSICAL BUREAU kompositorisch entwickelt hat, hat nämlich mit der althergebrachten Programmmusik nicht wirklich viel zu tun. Die Texte von Zwei sind demnach fragmentarisch, offen und ganz im Sinne experimentellen Auslotens mehr am Sound interessiert als an dem eindeutigen Erzeugen von Sinn. Das heißt freilich nicht, dass es immer nur dadaistisch zugehen muss. Im Gegenteil: Auch mit reinen und unreinen Reimen wird in Hermann Niklas’ Poesie sprachlich gespielt, beispielsweise in der Nummer „Land“:

ein Tor 
ein Blick 
die Spitze 
eines Schuhs 
der ganze Fuß

Und onomatopoetische Nachahmungen wie „Klackklack“ sind ebenso Teil der Sprachtextur wie entkoppelte Laute und Konsonanten, die sich in den Klangfamilien der Instrumente widerspiegeln.

Instant Poetry und multimediales Arbeiten

Bereits beim Hören der ersten Nummer, genannt „Himmel“, wird klar: Ein harmonisches Miteinander der Kunstformen zu erzeugen, die jeder Gattung ihre Freiheit lässt – das war das Anliegen der bunten Truppe. Und dies ist zweifellos gelungen: Neben freien Improvisationen ohne Vorgaben spielte das Büroorchester auch geleitete Improvisationen nach vereinbarten Zeichen und der Gestik eines Dirigenten. Spannend ist, wie das Booklet zu erzählen weiß, dabei vor allem der Aspekt, dass der Dichter Hermann Niklas sich ebenso wie seine Kollegen ganz ohne Vorlage in das Ensemble einfügte. Nach der Gestik des Dirigenten sprach, dichte und erzählte er und reagierte im Wechselspiel mit seinen KollegInnen frei auf die Musik.

See Also

Doch nicht nur der klangliche, auch der visuelle Bereich unseres Gehirns soll beim Hören von Zwei angesprochen werden, denn als Gegenpart zu den freien Improvisationen wurde auch mit Stummfilmüberschreibungen mit Text und Musik aus Werken wie Nosferatu, Metropolis und The Lodger experimentiert. Weiters hat sich der bulgarischen Bildhauer Atanas Kolev mit seiner Klangmühle in einem der Werke verewigt und der CD eine weitere räumliche Komponente verliehen.

Jahrelanges Ausloten

Dass der klangliche Reichtum des Ensembles über die Jahre gewachsen ist, ist beim Hören von Zwei spürbar. Hermann Niklas lässt im Sprechen nicht nur Assoziationsketten entstehen, sondern entwickelt tatsächlich die Texte im Moment des Sprechens, eine Tatsache, die ohne eine jahrelange Zusammenarbeit und ein sich daraus ergebendes sensibles „Aufeinanderhören“ wohl nicht denkbar gewesen wäre. Eine Arbeit, die sich gelohnt hat: Das Album ist ein schönes Resultat von „Instant Poetry“, das zeigt, dass man mit wenig Material große Räume öffnen kann, beispielsweise in dem Song „Icht“, in dem hauptsächlich die Worte „Licht“ „Ist“ und „Nichts“ repetiert werden. Aber auch in dem Stück „Raupe“, das mit Klangfamilien spielt.

Niemals bleibt Poesie da in ihrer Reinform bestehen, immer wird sie verfremdet, erweitert, neu gedacht. Der Sound ist Gegenstand eines Prozesses, Teil der Auseinandersetzung der einzelnen Artisten. Auf dieser Basis suchen die Musiker permanent nach Positionen zu der sie umgebenden Gesellschaft und präferieren das Grenzüberschreitende, das Unbehauste, Vermischung und Unreinheit: im Sound, in der Sprache, im Leben. Das thematische Spiel mit Klangfamilien und Minimalelementen wird dabei genauso eingesetzt wie Anleihen aus dem Jazz und der Popmusik. Ein wagemutiges Werk, dem zu lauschen es sich lohnt!


Hermann Niklas: Zwei. Texte, Stimme, instant poetry (CD), Tonstudio Wavegarden, Wien, 2023. Euro 15,–

Scroll To Top