Nicole Streitler-Kastberger liest Philipp Hagers Die Ewigkeit ist vorbei
Philipp Hager (Jg. 1982), der in Lunz am See aufgewachsen ist und nach dem (abgebrochenen) Studium in Wien wieder in Niederösterreich lebt, hat seit 2008 eine Reihe von Romanen und Gedichtbänden veröffentlicht.
Eine Kritikerin meinte zu seinem Schreiben, er ziehe es vor, literarisch „in die Vollen“ zu gehen, statt sich mit ästhetizistischen Experimenten abzuquälen. Dem ist nach der Lektüre seines jüngsten Gedichtbands Die Ewigkeit ist vorbei durchaus zuzustimmen.
Cover © Sisyphus
Beats – locker, flockig
Hager hat keine Scheu vor Trivialität. Seine Texte folgen einem locker-flockigen Beat und plätschern munter vor sich hin. Allen Ginsberg wird im Gedicht „Beiträge zur Zoologie der hellseherischen Tiere“ als Kronzeuge eines Schreibens genannt, das in der Lyrik auch vom Prosaischen oder Abseitigen handelt, Geschichten erzählt, die so ziemlich alle Lebensbereiche – auch die obszönen – einschließen. Hagers Texte tun das in einer fast prosaischen Lyrik, die jedoch durchaus rhythmisiert ist und auch Stilfiguren kennt wie den Parallelismus, die Anapher und die Klimax. Im Gedicht „Den Ausguss runter“ über eine werdende und vergehende Freundschaft ist dies am deutlichsten ausgeprägt durch den mehrfach unverändert wiederkehrenden Strophenbeginn: „und als ich ihn das nächste Mal sah“.
Doch zurück zu Inhaltlichem. Das zuerst genannte Gedicht, das einen regelrechten Drive entwickelt, versucht sich an einer Analyse der heutigen Jugend, die sich folgendermaßen anhört:
Denn wisst ihr, auch ich sah die besten Köpfe meiner Generation vom Wahnsinn zerstört, betrunken über Straßenkreuzungen wanken, wütendem Hupen ausgesetzt mit glasigen Augen; in künstlichen Wolken schwebende Engel, gierig nach Mutter Erde, sehnsüchtig nach einem Grund, der nicht wegbricht unter ausgelatschten Sneakers; die sich wehrten gegen die Einlieferung in die Psychiatrie, im Schmutz ihrer abgefuckten Kinderzimmer, wo sie Youtube nach rettenden Wundern durchforsteten, elend, aufgepeitscht, zerfahren; (…)
Hager ist ein Beatnik; er könnte der Ginsberg einer ländlichen österreichischen Jugendkultur sein. Dazu müsste diese Generation aber auch lesen, was sie vermutlich nicht tut, vor allem keine Lyrik. Eine „Treibjagd auf das Glück“ betreibt diese Generation wie auch andere vor ihr. Dass sie dabei zu weicheren und härteren Drogen greift, davon weiß Hager wortreich zu berichten.
Leben und sterben lassen
Aber es finden sich auch andere Themen in dem Band, etwa Vaterschaft, Krankheit, Liebe und Tod. Berührend ist das Gedicht „Der Koffer“ über die Krebserkrankung des Großvaters. Es beginnt mit den Zeilen: „Mein Großvater sah nicht so krank aus / wie alle sagten, dass er war.“ Die Pointe dieses Gedichts besteht darin, dass der Großvater irgendwann, kurz bevor seine Glieder versagen, einen Koffer packt, von dem aber niemand weiß, was sich darin befindet. Bis zuletzt wird dieses Geheimnis nicht gelüftet und bildet gewissermaßen die leere Mitte des Gedichts.
Witzig ist das Poem „Richtiger Ort, richtige Zeit“, das von einem Vater erzählt, der seine Kinder in den langen Sommerferien betreut – und daneben schreiben möchte. Geschickt verwebt Hager darin die Gedanken und Textideen des Vaters mit den Äußerungen der Söhne. Das Gedicht wird dadurch dialogisch und sehr lebendig. Jeder, der Kinder hat, kennt diese Situation. Man will arbeiten, aber es funkt dauernd jemand dazwischen:
Kaum sitze ich wieder, bricht Geschrei aus. „Papa, er hat mich mit dem Polster geschlagen.“ „Jungs, bitte! Lasst mich kurz arbeiten! Ich brauche da eure Unterstützung. Lasst mich ein paar Minuten in Ruhe arbeiten.“ Gemeinsam wechseln sie ins Nebenzimmer. Der Kleine taucht im Türrahmen auf: „Papa!“ Der Große erscheint hinter ihm und flüstert: „Der Papa will jetzt einfach mal in Ruhe arbeiten.“
Das Gedicht endet mit einer Pointe. Der kleinere der beiden Söhne kommt zum Vater und sagt: „Papa, wenn ich groß bin, / werde ich auch Schriftsteller.“
„Dieses Gedicht muss nicht das beste sein“
Der Band ist durchzogen von solchen metaliterarischen Reflexionen, von Gedanken über das Schreiben und die Existenz eines Schriftstellers. Der bereits erwähnte Großvater hat „lustvoll gesalzene Schwänke“ geschrieben; das lyrische Ich nimmt einmal an einer Schießübung teil und wird dort nach seinem Beruf gefragt. Als es antwortet, dass es Schriftsteller sei, erntet es „dröhnendes Gelächter“. Und ein anderer meint: „,Das ist gut! Schriftsteller ist gut! / Wenn mich jemand fragt, / sage ich immer Schaufensterdekorateur. / Da fragt auch niemand mehr nach.‘“ Die Selbstironie, die in solchen Zeilen mitschwingt, verleiht dem Buch einen komischen Touch. Die Prekarität, ja Absurdität des Schriftstellerdaseins ist in solchen Miszellen wunderbar kondensiert.
Im Gedicht „Krank“ heißt es selbstreflexiv: „Dieses Gedicht muss nicht das beste sein, / es muss nicht einmal gut sein“. Das ist natürlich kokett. Hagers Gedichte sind nämlich gut. Sie umkreisen das Menschsein in vielen Facetten und sind mitunter höchst poetisch. Manchmal gelingt dem Autor eine wunderbare Metapher, wie etwa die des kleinen Raubtiers, das er sich aus der Rippe geschnitten hat, oder das Bild von Brombeeren im September, eines plötzlich entdeckten Schatzes im eigenen Garten. Auch „Die Musik der Bezirke“ (gemeint sind die Wiens), die er zusammenstellt, der Stadt, die er immer noch mag, aber einmal geliebt hat, sind ein wunderbares Konvolut des Synästhetischen. Hager did it again, er ist wieder „in die Vollen“ gegangen.
Philipp Hager: Die Ewigkeit ist vorbei. Gedichte. Sisyphus, Klagenfurt, 2023. 80 Seiten, Euro 12,–