Klaus Ebner liest Gerhard Altmanns Nord – Mitte – Süd. Mein Burgenland
In der Oberwarter edition lex liszt 12, die sich bekanntermaßen auf Burgenländisches spezialisiert, erschien der Band Nord – Mitte – Süd. Mein Burgenland. Dessen Autor Gerhard Altmann nennt sein Werk sehr treffend „poetische Notizen“. Es ist nämlich kein reiner Lyrikband, sondern Prosa und Lyrik wechseln einander ab, wobei die Idee der Notizen, der Aufzeichnungen oder Gedächtnisprotokolle, fühlbar im Vordergrund steht. Jeder Titel, oft Ortsnamen oder eine Jahreszahl, vereint mehrere Seiten, in denen beide Textsorten vorkommen, sich vermischen und einander inhaltlich ergänzen.
Gerhard Altmann wurde 1966 in Wien geboren, studierte Germanistik und Publizistik. Er war jahrelang als Journalist und Redakteur bei diversen Printmedien und für den ORF tätig. Sein Lebensmittelpunkt befindet sich seit Langem im Burgenland; in Rust am Neusiedler See aufgewachsen, lebt er heute in Pöttsching. Zahlreiche Eindrücke dieser und anderer burgenländischer Orte hinterließen ihre Spuren in Nord – Mitte – Süd.
Womit wir bei der äußeren Struktur des Buches angelangt sind: Die drei geografischen Zuordnungen des von Nord nach Süd lang gestreckten Bundeslandes entsprechen den Abschnitten des Lyrikbandes. Inhaltlich ordnet Altmann seine Texte jeweils diesen drei Gegenden zu, was sich auch in der Nennung von Ortsnamen ausdrückt.
Cover © Edition Lex Liszt
Eine interessante Überraschung sind Passagen im Dialekt. Dabei vermengt Altmann Strophen und Verse in Standardsprache mit jenen in der Mundart. Die beiden Ausdrucksformen wechseln einander in mitunter rascher Folge ab. Anders ausgedrückt: Die dialektalen Passagen fügen sich nahtlos in den Gesamttext ein, wie etwa im Zyklus „Pöttsching“:
die sonnenstrahlen entlang den wolkenpuls erahnen während der tag die ersten noten auf die augenlider legt do oom muaß wos zarissn hoom weus steanschnuppn hogld dasi nimma was wosima winschn sui vileichd dasda lichdregn aufhead
Danach geht es wieder standardsprachlich weiter, bis neuerlich der Dialekt aufblitzt. Eine ungewöhnliche Osmose, die jedoch stets gut und flüssig zu lesen ist. Und der Dialekt vermag auch tiefgründige Sentenzen auszudrücken:
waun muagn dwöd undagehd wea giaßd daun iwamoagn in oleanda?
Da es keine allgemein gültigen Regeln für dialektale Orthografie gibt, hält sich der Autor so eng wie möglich an die Aussprache. Vereinzelt kommt es dabei sogar zu unterschiedlichen Schreibungen, wie oben „muagn“ versus „iwamoagn“.
Lyrik und Prosa
Wie schon erwähnt, reichen Lyrik und Prosa einander die Hände. Dabei fällt auf, dass die Prosapassagen der Standard-Rechtschreibung folgen, also auch die gewohnte Groß- und Kleinschreibung beachten, während die Gedichte durchgehend in Kleinbuchstaben gesetzt sind und zudem keinerlei Satzzeichen enthalten. In den „Pöttschinger Jahreszeiten“ heißt es an einer Stelle:
ich sammle zeit unter der zunge im augenwinkel in der achselhöhle im laubhaufen zwischen den herzhäuten überall für morgen
Unter dem Titel „2013“ finden sich dann die wortverspielten Zeilen:
ich falle aus der welt auf weißeweiße felder schriftlings stab ich buch
Das sind die, vermutlich sehr persönlichen, Gedanken eines Schriftstellers. Und gleich auf der nächsten Seite, unter dem Titel „2014“, setzt Altmann in Prosaform fort:
Ich erlebe hier eine Ursprünglich- und Natürlichkeit, die sich auch auf die kreative Arbeit auswirkt. Im Freien schreiben, frei schreiben.
Die meisten Prosastücke, wie das obige, erinnern an Tagebuchnotizen, an zumal formlose Aufzeichnungen oder Erinnerungen. Trotzdem wirken manche diese Texte durchaus lyrisch, wie Prosagedichte, die allerdings niemals alleine stehen, sondern stets in einen längeren hybriden Text eingebunden sind.
In der „Mitte“ macht der Burgenländer plötzlich einen Ausflug nach „Istanbul“. Ein Gedicht ohne Prosaeinsprengsel und über vier Seiten reichend. Beim Lesen entstand mein Verdacht, dass es sich vielleicht nur um eine Sehnsucht, um eine traumhafte Sequenz handeln könnte. Verstärkt wird dies durch die Tatsache, dass sich auch in diesem Text Zeilen im Dialekt finden. Das Istanbul-Gedicht bringt jedenfalls einen exotischen Touch mit ein.
ich denke mich leicht als herztänzer im kunstwerk des lebens ich liebe mich wieder weil ich bin zwischen granatapfel salbei und roter erde
Gerhard Altmanns lyrische Notizen sprechen die Landschaft an; es gibt Eindrücke der Natur, es tummeln sich Vögel und anderes Getier, die Verse vermitteln Farben, Gerüche und, vereinzelt, Kulinarisches. „Burgaz 2018“ nimmt den Wiener Naschmarkt als Ausgangspunkt, wo das lyrische Ich in eine multikulturelle Welt taucht und den Istanbuler Faden wiederaufnimmt, von Köftebällchen und Lavendelduft erzählt, von einem Fährschiff aus Byzanz und dem in dieser Situation imaginären Hafen, an dessen Mole der Blick auf die Galatabrücke über dem Goldenen Horn mit ihren Anglern schweift.
Wort und Bild
Das Buch enthält Bilder und Fotografien von Franz Fartek, Manfred Horvath, Manfred Leirer, Gustav Just und Harro Pirch. Diese zeigen Motive aus dem Burgenland, aber auch, angelehnt an die türkische Referenz, aus Istanbul.
Diese Abbildungen lockern das Buch noch einmal auf, illustrieren die Aufzeichnungen, indem sie diesen auch bildliche Notizen hinzufügen. Trotzdem wurden sie sparsam eingesetzt und machen aus den lyrischen Notizen keinesfalls ein Bilderbuch.
Aus dem „Süden“ stammt das kurze Gedicht „Klangfrühling“:
treibt der schallmai aus grünt der vogelflug klangfrühling überm wellenschlag des herzmeeres
Ebenso befindet sich im „Süden“ eine Prosapassage, die ich, obwohl sie nur Teil eines längeren Textes ist, bereits allein genommen als Prosagedicht empfinde:
Geborgen in Herrn Kastanienbaums Achselhöhle lieg ich mit Sternen auf der Haut. Stimm und stumm. Ich schwimme im Grasgeruch, lese im Wolkenbuch, ruhe im Sonnentuch.
Ein paar Seiten weiter kehrt der Autor zum Kastanienbaum zurück und thematisiert nicht nur den Übergang der Jahreszeiten in Dialekt und Hochsprache, sondern setzt mit Augenzwinkern sich selbst ins Gedicht:
da kastanienbaam he(i)bt sei haund streckt seine oidn finga duat wo im summa di brombeeren san bliahd hiaz di ködn im eis luftdeppert werden wenn der frühling kommt ausgelassen sein wie ein junges pferd so alt kann altmann gar nicht sein …
Das Buch ist broschiert und mit einem Coverbild von Harro Pirch versehen. Wie Leser*innen es von lex liszt 12 gewohnt sind, wurde es sorgfältig editiert und trägt mit einem angenehmen Schriftbild zur Lesefreude bei. Für mich war es in gewisser Weise schwierig, Zitate auszuwählen, weil ich am liebsten noch viel mehr der Texte von Gerhard Altmann anführen möchte; da hilft also nur: Selber lesen!
Gerhard Altmann: Nord – Mitte – Süd. Mein Burgenland. Edition lex liszt 12, Oberwart, 2023. 136 Seiten. Euro 18,–