Klaus Ebner liest Peter Paul Wiplingers Feuerzeichen/Вогняні знакі
Ein neuer Wiplinger. Ein hübsch broschiertes und sorgfältig gesetztes Buch aus dem Löcker Verlag; auf dem Buchdeckel das Bild einer Feuerstelle: Die Flammen verkörpern die im Titel genannten Feuerzeichen. Dieser Gedichtband ist zweisprachig, denn Wiplingers Gedichte wurden hier von Hanna Hnedkowa ins Ukrainische übersetzt. Ukrainisch? Ja, denn die Sprachwahl ist gleichzeitig Programm. Der neue Wiplinger ist nämlich ganz der Alte: ein Autor, der, wenn irgendwo in der Welt alles aus dem Ruder lief und Gewalt zur Normalität wurde, niemals schweigen wollte und auch nie geschwiegen hat.
Der 1939 im oberösterreichischen Haslach geborene Peter Paul Wiplinger äußert sich in seinem jüngsten Gedichtband zu Putins Vernichtungskrieg in der Ukraine. Nicht weniger und nicht mehr. Es ist ein Protest gegen Lüge, Mord und Zerstörung. Aus globaler Sicht vermutlich ein sehr einsamer Protest, doch Wiplinger wollte sich mit diesen ungeheuerlichen Vorgängen nicht abfinden und tat, was er in ähnlichen Situationen immer schon getan hat: Er schrieb gegen Putins Eroberungskrieg an.
Cover © Löcker Verlag
Die titelgebenden „Feuerzeichen“ stehen für die Folgen der Bombardements ebenso wie für ein weithin sichtbares Mahnmal.
Auf ein Taschentuch die lapidare Information schreiben, daß mitten in Europa Krieg ist; ein Überfallskrieg, ein Eroberungskrieg, ein Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung; ein Zivilisationsbruch.
In Wiplingers inzwischen stattlichem Lyrikwerk finden sich kritische Reflexionen zu Nationalsozialismus und Weltkrieg, die er als Bub miterleben musste. Die Parallelitäten zwischen Putin und Hitler fielen ihm früh auf, und bereits in den Gedichtbänden der beiden letzten Jahre fand dies seinen Niederschlag. Während die Empörung über den Krieg in der Ukraine dort nur abschnittsweise auftauchte, widmet sich „Feuerzeichen“ ausschließlich diesem leider brandaktuellen Thema.
Herr Putin – Пан Путін
Bereits in den ersten Gedichten ist die Rede von einem „Herrn“ Putin. Obwohl das ukrainische Пан („Pan“, wie im Tschechischen, woher meiner Generation der smarte Kinderserienheld „Pan Tau“ noch ein Begriff ist) als männliche Anrede verwendet wird, steckt in diesem Wort, ebenso wie im Deutschen, das „Herrische“ und in diesem Zusammenhang auch die Selbstherrlichkeit, die beim „Zar“ Putin eine besondere Rolle spielt. Dazu passt auch das unverschämte Lügengerüst um die angeblichen Nazis in der Ukraine:
herr putin beharrt stur darauf hier gehe es nur gegen faschisten пан путын уперто наполягає що бореться проти фашистів
Wiplinger versah alle Gedichte mit ihrem Entstehungsdatum. Dieses zeigt, dass die Anordnung der Texte im Buch nicht unbedingt der chronologischen Entstehung entspricht. Die meisten Gedichte sind in Kleinschreibung gehalten, aber eben nicht alle. Freie Rhythmen und ungereimte Verse sind die Normalität. Nur ein Gedicht ist gereimt: Es trägt bezeichnenderweise den Titel „Kinderlied“ und erzielt durch seine Positionierung und den zynisch anmutenden Reim eine ganz besondere semantische Wucht. Ein Ausschnitt daraus:
es gibt kein wasser und kein brot es gibt nur leiden angst und tod raketen schießen durch die luft brandgeruch statt frühlingsduft schlaf kindlein schlaf verbrannt sind haus und schaf es kracht in kurzen intervallen dein vater ist im krieg gefallen die lage ist jetzt aussichtslos du schläftst in deiner mutter schoß schlaf kindlein schlaf es hütet niemand mehr die schaf
Die Massaker, welche die russländische Armee an ukrainischen Zivilisten anrichtet, und die Ordensverleihung an ausgewiesene Kriegsverbrecher kommen in Wiplingers Gedichten ebenso zur Sprache wie die Verwicklungen der orthodoxen Kirche Russlands in diesen Krieg und die tiefe Verwurzelung des Diktators im ehemals sowjetischen und heute russländischen Geheimdienst. Am Ende bleiben viele Fragen übrig, die niemand, zumindest kein vernünftig denkender Mensch, beantworten kann. Fragen und das blanke Entsetzen angesichts der Realität.
aber die körper der toten liegen tagelang im regen auf den straßen herum auch für streunende hunde
Im letzten Drittel des Bandes treten die Analogien zu den persönlichen Erlebnissen des Autors während der Weltkriegszeit stärker hervor. Das Abwarten im Bunker oder Keller, die Angst vor den Bomben, der Kriegslärm, die Zerstörungen und der Hass der „Führer“. Und wie nach den Massakern mit alldem umgegangen wird, ist ebenfalls eine bereits gemachte Erfahrung:
nachher wird man wieder sagen wir haben nicht gewußt(…) nachher werden wieder viele sagen wir haben nicht gewußt daß krieg war es war nur irgendeine militärintervention der patriarch kyrill wird alle segnen die menschen werden sich bekreuzigen und irgendwann wird alles vergessen sein. опісля вони скажуть знову ми не знали (…) опісля багато хто скаже ми не знали що це була війна це була просто спецоперація патріарх кіріл усіх благословить люди перехрестяться і одного дня все забудеться
Schließlich die Frage danach, was die beiden Brüder, die im Zweiten Weltkrieg kämpfen mussten, eigentlich getan haben. Als Kind hatte sich Wiplinger nicht danach erkundigt, und dann, als sich die Fragen manifestierten, war es zu spät, weil die beiden Brüder nicht mehr lebten. Diese offen gebliebene Frage, die den Autor seit Jahrzehnten bedrückt, tauchte bereits in anderen Gedichtbänden auf.
Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges
Neben einem mörderischen Krieg erleben wir eine beispiellose Propagandaschlacht, die in ihrer Schamlosigkeit, Brutalität und Selbstherrlichkeit jenen der Nazis vor achtzig Jahren absolut ebenbürtig ist. Ein gut bekannter Spruch besagt, dass die Wahrheit das erste Opfer des Krieges sei. Der russische Diktator beweist uns dies täglich. Genau genommen läuft die russländische Propaganda seit mindestens zwanzig Jahren auf Hochtouren, und das verlogene Narrativ des Kremls spukt sogar wirksam in den Köpfen vieler Menschen, die in westlichen Demokratien leben und zu Gunsten (!) des völkerrechtswidrigen Vernichtungsfeldzuges auf die Straße gehen.
Wiederholt wendet der Autor sich an die russländische Bevölkerung, etwa an die russischen Mütter, und appelliert an ihre Menschlichkeit. Zwar ist ihm bewusst, dass sie der Propagandamaschinerie auf den Leim gingen, doch er fragt sie, warum sie Putins zum Teil sehr offensichtliche Lügen und die Vernichtung einer ganzen Generation russischer Männer schweigend hinnehmen und nicht dagegen aufstehen. Denn bekanntlich wird ja nicht nur die ukrainische Bevölkerung niedergemetzelt, sondern die russländische Armee treibt auch hunderttausende ihrer eigenen Soldaten in den Tod.
liebe russische mütter die ihr eure söhne verabschiedet habt wie ertragt ihr dieses nicht-mehr-wiedersehen eine militärische spezialoperation sei es nur sagte man euch sonst nichts aber wie erklärt man jetzt den tod eurer söhne wie erklären euch eure söhne was sie in den letzten wochen getan haben auf befehl des allmächtigen kgb-zaren putin I
Feuerzeichen/Вогняні знакі ist ein wichtiges Buch. Eines hingegen, das gewiss nicht ansatzweise jene Wirkung entfalten kann, die Peter Paul Wiplinger sich wünscht. Doch er hat die furchtbaren Ereignisse nicht einfach hingenommen, sondern angesprochen, aufgezeigt und angeprangert. Und so wird zumindest niemand sagen können, es hätte niemand was davon gewusst.
Peter Paul Wiplinger: Feuerzeichen/Вогняні знакі. Ukrainische Übersetzung von Hanna Hnedkowa. Vorworte von Helmuth A. Niederle und Tymofiy Havryliv. Löcker Verlag, Wien 2023. 118 Seiten. Euro 19,80