Lukas Meschik liest Peter Pessls Ah, das Gasthaus der Wilderness!
Der 1963 in Frankfurt am Main geborene, mittlerweile in Wien und im Südburgenland lebende Peter Pessl versammelt in seinem neuen Band wild wuchernde Prosagedichte. Die vier Teile werden jeweils eingeleitet mit einer farbigen Zeichnung des Autors.
Er liefert ein Werk, das auch bei aufmerksamer Lektüre sehr hermetisch bleibt – was ihm in keinster Weise negativ ausgelegt werden soll. Es unerwähnt zu lassen hieße jedoch, eine eigensinnige Komplexität zu verschweigen. Dieses Gasthaus der Wilderness steht in seiner ganz eigenen Welt, auch sprachlich, und verrätselt seine Bezüge manchmal bis zur Unkenntlichkeit. Spannend ist die Erkundung allemal.
Cover © Ritter Verlag
Pessls Texte kommen vielgestaltig daher, mal sind es winzige Brocken von wenigen Zeilen, eher Gedanken- und Bildschnipsel, dann sind es wieder massive Blöcke dichter Prosa, die man in ihrer Fülle nicht wiedergeben kann. Häufig sind Passagen kursiviert und mit Anführungszeichen versehen, was sie als Zitate kennzeichnet – herbeizitiert aus Lektüre (etwa von Baudelaire) oder von anderswoher, die Quelle bleibt oft im Verborgenen, manchmal lesen wir Gesprächsfetzen. Der Ritter Verlag spricht sehr treffend von „Dialogsplittern“, die nicht um Klarheit oder Eindeutigkeit bemüht sind, sondern kryptisch in ein Geheimnis einladen.
Holz gibt es, zu sprechen, aber es brennt nicht! Filz gibt es, zu rächen, aber er bricht nicht! „Kauft Rubinglas!“
Wiederkehrende Motive
Woran man sich beim Lesen entlanghangelt, sind wiederkehrende Motive. Oft erkennen wir den Menschen, der sich einer gewaltigen, lebensstiftenden Natur gegenübersieht, etwa dem „Nordmeer“, „Rosenruten“, „Wasserfeen“ oder „Schneeballwiesen“. Dass sich Pessl neben seiner literarischen Tätigkeit auch als Bienenzüchter im Südburgenland betätigt, mag ein relevanter biografischer Nebenaspekt sein – hier durchwandert und erkundet jemand Natur nicht bloß, versteht sie nicht nur als reines Beschreibungsobjekt, hier „arbeitet“ jemand in und an und mit der Natur, bespielt sie als zusätzliches Feld des Ausdrucks.
Auch das titelgebende Gasthaus taucht mehrmals auf, als Ankerpunkt in der großen Zerfaserung. Vielleicht ist es zu lesen als menschliches Element, als der Mensch selbst, der sich inmitten einer übermächtigen Natur einen notwendigen Verweilort schafft.
DEIN MARITIMES HERZ (…) Es kann leicht sein, wir verlieren, während wir noch lichtwärts streben, die Medusenkörper und Katzenköpfe, flammende Kugeln, die tragen wir unterm Arm und kegeln, wortfroh, auf einer hölzernen Bahn, gleich hinterm Gasthaus der Wilderness.
Fragmente
Konkret und sogar anspielungsreich politisch wird es nur vereinzelt, etwa wenn ein „Donnervater Kurz, der Kanzler“ auftritt, in dem wir unschwer den ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz erkennen. Die vorangestellten „Würmer und Schlangen“ sind wohl nicht ganz zufällig genannt, und verortet ist dieses Treiben in einem „Bienen-Parlament nächst der Holzhütte“. So viel in dem Band auch von Natur die Rede ist, in ihrer grandiosen Schönheit, ihrer Üppigkeit und Vielgestaltigkeit, so betreibt Pessl doch keine romantische Verklärung.
Die Welt in ihrer unerbittlichen Banalität dringt immer wieder heran, auch als schnöde Politik – der sich nur ein gänzlich unpolitisches Ich entziehen könnte. Wer aber wach ist und sich für seine Umgebung interessiert, kann nur politisch wach und politisch interessiert sein. Es hilft nichts. Pessl neigt hier eher zur munteren Verballhornung als zu Pathos und Kitsch oder sogar konkreter Agitation.
Das polodidische Gedicht ist solange von Nutzen, als es abodiggdisch daherkommt, feiertags, mit heraldischen Einlagerungen flappend meine Perlhuhnstimme ...„Verhexerte Lumpwelt!“ „Fotzvolk, fotzertes!“
Peter Pessls Ah, das Gasthaus der Wilderness! ist Avantgarde-Dichtung im besten Sinn. Vieles bleibt verborgen oder fragmentarisch, sehr oft begegnen wir vielsagenden Auslassungspunkten. Den Rest müssen wir uns selbst dazu denken. Die wohlplatzierte Lücke animiert, ja provoziert zu eigenständigem Weiterdichten, zu einem Weiterspinnen der angerissenen Gedanken.
Diese Prosagedichte zelebrieren ihren Eigensinn, und das macht sich in einer Literaturlandschaft, in der jedes Buch sein griffiges „Thema“ und seinen „Plot“ haben soll, der auf einen Bierdeckel passt, sehr gut. Pessls Buch ist wie eine frisch vom Kastanienbaum gefallene Kapselfrucht, stachelbewährt und ruppig, aber mit ein bisschen Mühe schält man eine glatte, handschmeichelnde Kastanie daraus hervor. Hinter der Wildheit verbergen sich oft zarte, sanfte Sprachauslotungen, und mitten in der Wilderness aus Wortvegetation steht ein hell erleuchtetes Gasthaus.
Peter Pessl: Ah, das Gasthaus der Wilderness! Prosagedichte. Ritter Literatur 2023. 200 Seiten. Euro 23,–