Reinhard Lechner liest Chris Lauers Gut verräumte Sternschnuppen als Winterlektüre
Fassade, das ist tatsächlich so einiges an den Gedichten, mit denen die Luxemburgerin Chris Lauer in Gut verräumte Sternschnuppen debütiert. Da begegnen uns sich oftmals üppig ausbreitende Naturbilder, gepackt in eine Langzeiligkeit und in einen ausschweifenden Ton mit auffälligen Adjektiva-Nomina-Konstruktionen (glasiertes Marzipankonfekt, wassergenährte Terrakotta-Töne, verkehrtes Purpurcyanblau), die – so verdächtigt man sie bald – von etwas Wesentlichem ablenken. Genauso wie der blumige Buchdeckel, treffend vom Limbus Verlag gewählt, der an die Kitschtapete in einem Hinterzimmer erinnert.
Und zwischen diesen stilistisch gesetzten Ablenkungsmanövern ruhen sie, die verglühten Sternschnuppen – zwischenmenschliche Beziehungen, schmerzliche Erinnerungen, Sehnsüchte, Wünsche des lyrischen Ichs – sorgsam in den Gedichten aufbewahrt.
Foto © Reinhard Lechner
Viele von Lauers Gedichten präsentieren sich uns so: in einem eigen-artigen Schwebezustand, Chris Lauer evoziert diesen mit bewusstem Einsatz von Form und Inhalt, wobei konkret-subjektiven Bildern gerne allgemein-abstrakte Reflexionen folgen. So heißt es im Gedicht „Sitzung“:
Ich befrage Mich nach meinem eigenen Gewordensein und Merke: man äußert sich in einer ringförmigen Sprache, die ihre Sättigung verliert.
Biografisches
Die Autorin ist studierte Germanistin und Soziologin, eine Ausbildung, die sich vielleicht in Form und Inhalt ihrer Lyrik widerspiegelt, man könnte sagen wie die sprichwörtliche Faust (Soziologie als Inhaltsbewusstsein) aufs Auge (Germanistik als Formbewusstsein). Lauer arbeitete als Redakteurin bei der luxemburgischen Tageszeitung Tageblatt. Literarisch ist sie bislang vor allem durch Veröffentlichungen ihrer Lyrik in Literaturzeitschriften aufgefallen, etwa in Sinn & Form oder in mosaik, auch hat sie damit bereits einige Preise gewonnen. Bemerkenswert ist dennoch bereits die Ausgereiftheit, mit der sie „Gut verräumte Sternschnuppen“ vorlegt: stilistisch am Punkt, der souveräne, ihr eigene Ton und inhaltlich subversiv, wirkt es bei weitem erfahrener als ein Erstling.
Stilistisch-inhaltliche Annäherung
Die Themen transportieren oftmals etwas Autofiktionales, Tagebuchartig-Reflexives. Intime Einträge sind es – die sich zunächst scheinbar selbst etwas verschweigen – von den Gegensätzen des Lebens: von Beziehung und Trennung, von Zärtlichkeit und Gewalt, von Subjektivem und Geschichtlichem. Mit titulierenden Nomina fällt das Versehen der Gedichte jeweils aus, „Suche“, „Generationen“, „Zusammenkommen“, „Trauer“, oder „Treffen“ heißen sie, manchmal etwas nüchtern.
Die Sprache bietet, wie erwähnt, viele Naturbilder, die als Zentren vieler Verdichtungen angelegt sind. Sie fungieren als Überwachsungen, Übermalungen, richten eine scheinbare Idylle ein, in denen die schmerzlichen zwischenmenschlichen Erlebnisse und Emotionen Platz, und so zum Teil Trost finden: So heißt es in „Spuren“, das von einer schnellen Nummer handelt:
Wir bewegten uns mit leiser Selbstverständlichkeit, Als ob wir zwischen Dicht behangenen Weinstöcken spazierten, Und trennten uns danach Mit einem Kuss, der einem Handschlag glich.
Ein anderes Mal ziehen uns Gedichte mit unverstellter Klarheit in ihren Bann. Im Duktus von verdichteten Prosapassagen vermögen sie eine Art Zen-Zustand zu erzeugen, bringen uns große, stille Weisheiten, so tut es etwa „Beisammensein“:
Mit dir erst teilte ich die Einsicht, dass Liebe die genaue Kenntnis des Geliebten fordert und man, den anderen Kennend, lernt, durch ihn hindurchzulieben.
Vom Privaten changiert die Autorin manchmal gekonnt ins Geschichtliche, wenn, dann ohne, dass es artifiziell wirkt, ruft unter anderem in „Generationen“ historische Bezüge auf:
Wie Jahresringe ziehe ich in den Kies Die Kreise eines Mandalas, so lernt man Die Bewegungen des Zum-Ende-Kommens Kennen. Skalpiert wurden die Fundamente Beim Euphrat (Warst du schon in Tadmor?) Und doch tragen die Magnolien den gleichen Abdruck wie die Säulenwälder der Oase.
Auch hier fällt es etwa an „Säulenwälder der Oase“ auf: „insbesondere ihre zahlreichen, häufig sperrigen Komposita verleihen der allgemeinen Verworrenheit der Dinge Ausdruck“, so formuliert es Björn Hayer in seiner Rezension „Von Würde und Gewalt“ zu Lauers Gedichten. Wirken Genitivmetaphern ansonsten doch eher abgenutzt, bieten sie bei Lauer ein diebstahlsicheres Abenteuer. Auch erstaunlich ist, die Autorin vermag Rhythmus und Form trotz der ausufernden Bilder stets auf Kurs zu halten.
Gut, an einigen Stellen wirken die Adjektiv-Nomina-Konstruktionen vielleicht etwas überfrachtet, „Scharfkantigunumrissenes“ muss man schon genau lesen, wobei darin auch wieder sein Wert liegt. Oder wenn im Gedicht „Schlagzeilen“ von „weggefrauten Posten“ die Rede ist – aber der Neologismus hat auch wieder etwas für sich. Noch ein paar herausragende Komposita im Folgenden: „ein Streifen asketisches Orange“ in „Beisammensein“, „Grammophontrichterblumen“ aus „Kaffeehauskataklysmus“ oder „Türspaltstreitigkeiten“ im Gedicht „Familie“. Und eine kritische Bemerkung noch an dieser Stelle: die Namen der beiden Hauptkapitel, Pandoras Wasserkrug und Nach Medusas Beispiel, wollen sich einem als Laien in griechischer Mythologie nicht so wirklich erschließen. Die Autorin ist im Übrigen eine auffällige Anhängerin des Griechischen.
Gesamt lässt sich für den Band eine nachdrückliche Leseempfehlung aussprechen. Er macht neugierig auf mehr. Auch, da die Gedichte neben authentischem Drama und Schmerz immer wieder ehrliche, liebevolle Lebensweisheiten transportieren, und dies niemals heischend. Auch in „Initiation“ gelingt der Autorin dies wieder mit ihren wunderbaren Lauersternschnuppenkomposita:
Das ist Mündigwerden: das Ertragen von Dahingeworfen- Unbestimmtem und das Wissen, dass das Leben seine Selbstverständlichkeit verliert; ein Verständnis für den Frieden stiller Sehnsuchtslosigkeit
Chris Lauer: Gut verräumte Sternschnuppen, Limbus, Innsbruck 2023, 96 Seiten, 25 Euro.