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Poems of Margret Kreidl in English

Poems of Margret Kreidl in English

Margret Kreidl

Margret Kreidl, * 1964 in Salzburg, Austria (© Lucas Cejpek)

Translation: Geoffrey C. Howes

Ein gelber Satz

Der Mann steht im Ginster, eine Flasche
in der Hand. Das ist Gin, sagt er, Wiener
Gin, mit Holundernote, zum Niederknien.
Hut ab, sage ich. Er lacht und lässt 
die Flasche fallen. Siehst du: Es rinnt.
Ich bin nicht blind. Er reißt die Arme
hoch: Wir schwimmen im Ginster. Im Juli
baden kann jeder, sage ich. Willst du
tanzen? fragt er. Ich kann nicht tanzen.
Er nimmt mich an der Hand. Zähl mit.
Eins: Schritt, und schließen, zwei: Schritt.
Ein Wischer nach rechts, ein Wischer
nach links, langsam, weich. Und aus der
Hüfte schwingen, vor und zurück, federn
und fließen. Ich komme nicht mit. Mach
die Augen zu, sagt er. Was siehst du?
Ich sehe Ginster. Ja, das ist ein gelber
Satz. Nein, sage ich, es ist finster und
ich muss zwanzig Zeilen mit einem
Tänzer teilen.


A Yellow Sentence			

The man stands amidst the gorse, a bottle
in his hand. That’s gin, he says, Vienna
gin, with notes of elderflower, to die for.	
My hat’s off to you, I say. He laughs and drops
the bottle. You see: it’s trickling.
I’m not blind. His arms shoot			
upward: We’re swimming in gorse. Anybody, 
I say, can swim in July. Do you want 
to dance? he asks. I can’t dance.
He takes me by the hand. Count with me.
One: step and close, two: step. 
A whisk to the right, a whisk
to the left, slow and supple. And swing
your hips, back and forth, flexing			
and flowing. I can’t keep up. Close
your eyes, he says. What do you see?
I see gorse. Yes, that is a yellow 
sentence. No, I say, it is dark and
I must share twenty lines
with a dancer. 
Krempelsatz

Die Stimme von Leonard Cohen an einem
Sommernachmittag hinter geschlossenen
Jalousien: Take this waltz, ein Foto von
Lacramioara Pop, die Barmädchen im Café 
des Anges in Paris war, ein schroffes Gebet 
von René Char, die Beschreibung einer 
Aschekiste, die eine etruskische Urne ist, 
der lange Stengel roter Zwillingslilien aus 
einem Sappho-Fragment von Hilda Doolittle,
Andere gelbe Tulpen von Luis Cernuda,
der einen Nachruf auf Lorca geschrieben hat:
Das Salz unserer Welt warst du, ein Rezept
für Flammende Eier mit Chorizo: Jede andere
Paprikasalami ist ein guter Ersatz, ein Schuss
Gin, Holler, Hollunder, Hölderlin – in einem
Krempelsatz hat Vieles Platz. Das ist Mist,
poetischer Plunder, sagt der Germanist,
jetzt räumen wir auf. Nein, sage ich, der Satz
geht weiter und er wird in seinem Verlauf
zum Tanzboden für zwei Dichterinnen.


Junk Sentence 

Leonard Cohen’s voice on a
summer afternoon behind closed 
blinds: Take this waltz, a photo of
Lacramioara Pop, who was a barmaid
in the Café des Anges in Paris, a brusque prayer
by René Char, describing a cinerary container,	
which is an Etruscan urn, the long stems
of red gemini lilies from 
a Sappho fragment by Hilda Doolittle, 
Other Yellow Tulips by Luis Cernuda, 
who wrote an elegy for Lorca:
You were the salt of our world, a recipe
for Flemish eggs with chorizo: any other
paprika salami is a good substitute, a shot
of gin, elderberry, elder, Hölderlin – there’s
room for lots of things in a junk sentence. That’s crap,
poetical trinkets, the Germanist says,				
we’re going to clean this place up. No, I say, the sentence
continues and in its course it will become
a dancefloor for two women poets. 
Sätze fürs Leben

Ich, Kreidl Margarete
rauchte täglich 60 Zigaretten,
jetzt rauche ich nicht mehr
und schreibe Gedichte über das Meer,
Seesterne und Zementdrüsen,
Imkerbunker und grüne Wiesen,
Weiße Ritter und Schuldenkrisen
und über meinen Vater,
der Hilfsarbeiter war
und zu mir sagte:
Wir gehören nicht zu den Gewinnern.
Ja, ich bin ich bin ich bin das Kind
eines Hilfsarbeiters und ich bin Dichterin,
ich weiß, was Sätze fürs Leben sind.


Life Sentences					

I, Margarete Kreidl
once smoked 60 cigarettes a day.
I don’t smoke anymore, see,  			
but I write poems about the sea,
starfish and cement glands,
beekeepers’ bunkers and green meadows,
white knights and debt crises
and about my father,
who was an unskilled worker
and who said to me:we do not belong to the winners. 
Yes, I am I am I am the child 
of an unskilled worker and I’m a poet,
I know what life sentences are. 
Mein Schiff fährt nicht, es läuft:
ein lebendes Werk. Mein Schiff liegt 
gut im Wasser. Leichtes Wetter, 
umlaufende Winde. Das Lateinsegel
ist gesetzt und das dunkle Blau wächst
über den Horizont hinaus.
Kein Leuchtfeuer,
kein Fischerlicht.
Ich sehe die Körper, 
die auf dem Grund liegen:
das tote Werk.










Das Lateinsegel ist eine Erfindung der frühen arabischen Schifffahrt.



My ship doesn’t sail, it runs:
a living artifact. My ship rides			 
well in the water. Mild weather,
circulating winds. The lateen sail
is set and the dark blue grows
out beyond the horizon. 
No beacon light,
no fishing light.
I see the bodies 
lying on the bottom:
the dead artifacts. 










The lateen sail is an invention of early Arabian navigation.
Ein Tapetenmuster aus verschlungenen 
Weidenzweigen, am runden Tisch wird über
Streuobstwiesen diskutiert: oh Expertise!

Du kniest vor dem Gemüse und siehst
die Vitamine nicht, aber du weißt,
der Schinken von morgen heißt Fisch.

Manchmal ist das Falsche richtig,
Gratisbier und Ersatzgedichte. Du hast
das Wort irdisch noch nicht ausgekostet.










Es gibt keinen Ersatz für Gedichte.


A wallpaper pattern with convoluted
willow branches, at the round table
they’re discussing meadow orchards: oh expertise!

You kneel before the vegetables, not
seeing the vitamins, but you do know
tomorrow’s ham is called fish. 

Sometimes what’s wrong is right,
free beer and substitute poetry. You still
haven’t savored the word earthly. 











There is no substitute for poetry. 		
Meine Mutter stieg ins Grab
in einem Schürzenkleid, gestärkt.
Die Nabelschnur zog mich nach.
Ach, ach, ach, ich war erst acht.

Meine Mutter liegt im Grab.
Das Gras wächst ganz verkehrt
in die Erde. Es zieht mich nach.
Ach, ich bin noch immer acht.













Margarete Kreidl, 11. Juli 1939 – 21. April 1972.


My mother climbed into her grave
in an apron dress, a starched one.
The umbilical cord pulled me after her.
.Oh, oh, oh, I was only eight. 

My mother lies in her grave
The grass is growing upside down
into the soil. It’s pulling me after it. 
Oh, I am still only eight. 











Margarete Kreidl, July 11, 1939 – April 21, 1972.
Papageienkoffer
Für Friederike Mayröcker

Zitat – Zikade: ein Zirpen, 
leichtes Zurückzittern.
Ich habe ein Buch gelesen:
Und ich schüttelte einen Liebling
Mein einziger Augentrost
Mein süßes Immergrün
Mein leuchtendes Honigblatt
Ich werde nicht satt:
Magische Blätter
Ich lese ein Buch, ein Gedicht
und meine Beine sprechen mit:
die goyarote Hose
Kluftrosen, eine Frauenbluse,
oder ist es ein Schultertuch,
gefaltet über zwei Zöpfen getragen?
Ich habe ein Buch gelesen:
Reise durch die Nacht
Ich träume von einem goyaroten Faden.
Fadendrehung: purpurrote Nacht.
Fadendrehung: schwarze Naht, Baumwolle.
BLAUER BERICHT / ERDICHTUNGEN
Ich träume ein Gedicht:
ein blaues, mit blauen Rauten gefülltes Zickzackband.
Fadendrehung, Zierschuss: Zitat:
rot ist unten
Ich mache den Papageienkoffer auf:
Lucas Georg Matthias Emil Thomas.
Ich habe den 1. Vornamen Goethes vergessen
Ich habe ein Buch gelesen und jetzt 
ist mein Herz gelb.


Parrot Suitcase
For Friederike Mayröcker

Citation—cicada: a chirping,			
a slight chaste chittering. 
I have read a book:
And I shook a darling		
My only eyebright
My sweet evergreen
My luminous honeyleaf
I can’t get enough:
Magical foliage
I’m reading a book, a poem
and my legs are talking too:t
he Goya-red trousers
rose diagrams, a women’s blouse,		
or is it a shawl,
folded and worn over two pigtails? 
I have read a book:
A Journey through the Night
I dream of a Goya-red thread.
A twist of the thread: crimson-red night. 
A twist of the thread: black seam, cotton.
BLUE REPORT / FABRICATED FICTIONS		
I dream a poem: 					
a blue one, a rickrack full of blue rhombuses	
A twist of the thread, decorative weft, citing:
red is below
I open the parrot suitcase:
Lucas George Matthew Emile Thomas
I’ve forgotten Goethe’s first name		 
I have read a book and now		
my heart is yellow. 				
Cover Kreidl Margret Mehr Frauen

The translated poems originate from:

Margret Kreidl: Zitat, Zikade. Zu den Sätzen. Edition Korrespondenzen, Wien 2017


Margret Kreidl: Mehr Frauen als Antworten. Gedichte mit Fußnoten, Edition Korrespondenzen, Wien 2023

See Also

Cover © Edition Korrespondenzen

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