Georg Bydlinski liest Friedl Hofbauers Gedichte als Winterlektüre
Am 19. Jänner 2024 wäre Friedl Hofbauer (1924-2014), die vielseitige, mit zahlreichen Preisen bedachte Wiener Autorin, hundert Jahre alt geworden. Sie ist vor allem als Kinderbuchautorin in Erinnerung geblieben, war aber von Anfang an auch eine ausgezeichnete Lyrikerin und feinfühlige Prosa-, Theater- und Hörspielautorin für ein erwachsenes Publikum.
Als junger Autor habe ich Friedl Hofbauer 1977 kennengelernt und hatte mit ihr bis zu ihrem Tod freundschaftlichen Kontakt. Friedl hat mir über die Jahre hin zahlreiche Tipps zu meinen eigenen Texten gegeben – sie war eine Kollegin, die man immer um Rat fragen konnte.
Hofbauers erster Lyrikband Traumfibel erschien 1969 in der von Rudolf Felmayer herausgegebenen und einflussreichen Reihe Neue Dichtung aus Österreich im Bergland Verlag Wien, in der auch Friederike Mayröcker und Ernst Jandl ihre Debutbände publizierten.
Foto © Birgit Bydlinski
Im Gedicht „Einzug in die neue Wohnung“ (S. 15) zeigt sich Hofbauers genauer Blick für urbane und Natur-Details, die durch die auftretende Katze geradezu in Bewegung geraten:
Blick auf den Block heller Häuser verbrämt mit Blumentöpfen, aufgeputzt mit den Krönchen der Rauchfangkolonien – eine Katze auf dem Dach betritt die Linie des Horizonts und ringelt den Schweif um das Kirchlein des Kahlenbergs.
Ein anderes Stadtgedicht mit einem gänzlich anderen Ton stammt aus dem 2004 anlässlich Hofbauers 80. Geburtstag herausgekommenen Podium Porträt (Podium, Wien, S. 33):
Das Haus Hier stand ein Haus. Ich hab es gut gekannt. Jetzt steht von diesem Haus nur eine Wand. Es war ein Haus, wie viele Häuser sind. Fast täglich ging ich dran vorbei als Kind. Dreistöckig war’s, mit einer Greißlerei. Dann kam der Krieg. Jetzt steht von diesem Haus nur eine Wand. Langsam vergeß ich es. Und hab’s doch gut gekannt.
Genial finde ich an diesem Gedicht, wie der Inhalt – die Häuser-Lücke – formal gespiegelt wird: mit der Reim-Lücke im dritten der vier Zweizeiler.
Nach diesen Stadtgedichten möchte ich nun auch zwei grundverschiedene Liebesgedichte der Autorin vorstellen; das erste stammt aus der Traumfibel (S. 14):
Mit dir Mit dir würde ich über das Wasser gehen wenn du mir die Hand gibst und sagst: Komm! mit dir würde ich über das Wasser gehen nach Amerika oder Indien zu Fuß über das Wasser, und ich glaube wir sind schon unterwegs –
Auch das zweite Gedicht stand ursprünglich in der Traumfibel, wurde von Friedl Hofbauer für das Podium Porträt jedoch, wie einige andere Gedichte auch, überarbeitet (S. 47):
Du bist tot und kein Gewitter weckt dich. Ich muß allein die Regenschnüre ansehn, Schnüre, von denen du gewußt hättest, wozu sie taugen. Du hättest sie ergriffen und als Vorhang gerafft, Schnurvorhang vor einer noch leeren Bühne. Vielleicht hast du dich mir zuliebe in Donner und Blitz verwandelt, damit ich mich füge in die Naturgesetze, und in Regenschnüre vor der leeren Bühne. Der Regen darf weinen. Ich nicht. Ich bin nicht Regen. Der Donner darf lärmen. Ich muß leise sein. Ich bin nicht Luft, die in einen Hohlraum stürzt. Bin ich Schrift, Zeichen, das sich selbst zur Welt bringen muß?
Hier wird der Verlust des Ehemannes beklagt, aber diese Trauer endet nicht in Depression und Erstarrung, sondern führt letztlich zu einer Verwandlung, die das Schreiben intensiviert: „Bin ich Schrift, Zeichen, / das sich selbst zur Welt bringen muß?“ – „Ich glaube an die Vergeblichkeit der verzweifelten Verzweiflung / und an die Pflicht, von Herzen glücklich zu sein“, heißt es im titelgebenden Gedicht der Traumfibel (S. 45). Diese Fähigkeit, Glück zu empfinden, hat wunderbare Liebes-, Natur- und Alltagsgedichte hervorgebracht, deren Bilder noch lange nach dem Lesen im Gedächtnis bleiben.
Friedl Hofbauer verliert die beiden Pole des Lebens, Freude und Schmerz, nie aus den Augen. Sie hat schwere Zeiten durchlebt. Zwischenkriegszeit, Zweiter Weltkrieg und die Nachkriegsjahre spiegeln sich in einer Reihe von Gedichten, umrissscharfen Texten, die unter die Haut gehen. Wie sich die weltpolitische Lage im Leben der einzelnen Menschen, in ihrer konkreten Alltagssituation auswirkt, wird bildhaft beschrieben, erhält im Gedicht eine Fassung, die auch die Fassungslosigkeit über Grausamkeit und unmenschliches Verhalten zum Ausdruck bringt.
Volkssturm, März 1945 Ich sah sie, die Buben von fünfzehn Jahren, sie sind mit den Alten zur Front gefahren. So jung das Gesicht und so alt das Gesicht. In meinem Leben vergeß ich das nicht. (Podium Porträt, S. 27)
Mit ihrem Gedicht „Requiem“ (Podium Porträt, S. 30f.) setzt sie einem kommunistischen Aktivisten ein Denkmal, den Friedl Hofbauers Eltern eine Zeitlang versteckten, der mit ihr Vokabeln lernte – und der die jugendliche Friedl vor Irrwegen bewahrte. Auch in diesem Text ist „Gesicht“ ein Schlüsselwort:
Seinen Namen hab ich nicht gekannt, aber sein Gesicht vergaß ich nicht. Sein Gesicht hat mich behütet wenn die Fahnen lockten. Ich war jung – Sein Gesicht hat mich behütet vor dem Strudel der Begeisterung.
Weiter in unsere unmittelbare Vergangenheit hinein reicht das lange freirhythmische Gedicht „Angstfuge“ (Podium Porträt, S. 54ff.), das sich mit den vielfältigen Bedrohungen unserer Zeit beschäftigt und u. a. Atombombe und Umweltzerstörung thematisiert.
Trotz allem hat Friedl Hofbauer nie den Lebensmut und die Lebensfreude verloren. Sie hat nie das Schöne aus dem Blick verloren. Das Miteinander war ihr wichtig, im Alltag und in der Literatur. Hofbauer, die „an die unstillbare Gefräßigkeit der Papierkörbe wirklicher Dichter“ (Traumfibel, S. 46) glaubte, ermutigt auch heute zum Ausprobieren, Ent- und Verwerfen, zu immer neuen Versuchen: Nichts geht ohne Offenheit und Geduld. Weil Friedl Hofbauer überzeugt war, dass Lyrik und Leben untrennbar verbunden sind (deshalb sind ihre Gedichte auch fern jeder rein formalen Attitüde und so auch nie langweilig), habe ich, wenn ich von ihr etwas über Gedichte lernte, stets auch darüber hinaus etwas gelernt. Und natürlich war Hofbauer eine Meisterin des genauen Blicks: Ihre Gedichte vermitteln uns das Staunen über vermeintlich Selbstverständliches und das Aufspüren feinster Bewegungen in Sprache und Natur.
Friedl Hofbauer: Traumfibel (Neue Dichtung aus Österreich, Band 156), Bergland Verlag, Wien 1969
Friedl Hofbauer: Podium Porträt 15, Podium, St. Pölten 2004 (2. Aufl. 2007)
Foto © Cornelia Hladej