Die POESIEGALERIE stellt ihren Autor*innen Fragen zum Schreiben
Heute die Antworten von Alexander Peer
1. Schreibst du regelmäßig? Zu welchen Zeiten und an welchen Orten?
Das kommt auf den Betrachtungszeitraum an. Wenn ich die Monate zurückgehe bis zum Jahr 1990, dann stelle ich fest: Ich schreibe seither regelmäßig. Oft zwingen Abgaben zu intensiven Schreibzeiten oder auch der manchmal lauernde Schreibfuror. In der Vergangenheit konnte ich durch Writers-in-Residence-Aufenthalte meist Wochen oder gar Monate ausschließlich auf literarisches Schreiben fokussiert sein; diese Einladungen machten sich zuletzt rar. Es sind eben oft auch Ortswechsel, die Schreibimpulse auslösen, oder durch den Klausencharakter gewidmete Schreibzeiten bedeuten.
2. Ist Schreiben für dich eher Handwerk oder Inspiration? Wie passen diese beiden Pole zusammen?
Ohne handwerkliche Fertigkeiten und die Bereitschaft, diese zu hinterfragen oder zu erweitern, wären Texte zu sehr durch vorgefertigte Sprachbausteine gestaltet. Literarisches Schreiben bedeutet für mich eben auch, etwas zu entdecken, was ich eben noch nicht weiß. Darin unterscheidet es sich grundlegend von Sachtexten aller Art. Inspiration entsteht auf vielen Wegen. Ich muss jedenfalls nicht warten auf etwas, das mich neugierig macht. Die Frage, wie sehr diese Inspiration dann zu einem Text führt, ist schon eine, die in die Werkstatt des Schreibens führt, wo das Unausgegorene eben aussortiert werden muss.
3. Wo findest du deine Themen? Eher in deinem Leben und unterwegs oder in Büchern und Medien?
Früher habe ich die Themen oft aus meinem eigenen Leben gewonnen und durch Lektüre. In den letzten Jahren gab es viele Auftragsarbeiten. Dabei ist die Recherche die Grundlage für Entdeckungen. Da ist dann ein eher rationaler Zugang im Vordergrund wie: „Dieses Thema verdient Aufmerksamkeit.“ Meine letzte Erzählung, die noch Zuwendung zu gegebener Zeit braucht, basiert auf einer Beobachtung in einem Zugabteil, der eine konkrete Idee folgte. Dann war viel Recherche nötig, um die historische Rahmung zu schaffen. Selbst wenn ich mich vom Material der Geschichtsschreibung weit weg bewege, muss ich doch Fakten in Fülle durchdenken, um erzählerisch interessant damit umzugehen.
4. Welche Bedingungen muss ein gelungenes Gedicht für dich erfüllen? Oder: Wann bist du sicher, dass ein Gedicht fertig ist?
Es gibt Gedichte, die mehr in mir arbeiten als andere. Diese Gedichte sträuben sich dagegen, abgeschlossen zu sein. Sie verlangen wieder und wieder nach einem minimal-invasiven Eingriff. Oder sie werden gelöscht. Dann ist es der Prozess, für den ich manchmal durchaus dankbar bin. Natürlich ärgert es mich auch, wenn ich ein Gedicht wie einen Baustein hin und her wende und dann doch nichts damit anzufangen weiß. Manche Gedichte sind sehr von einer Aussage, von einem Sprachspiel oder von einer Perspektive geprägt. Sie sind schneller „fertig“ im Sinne des konkreten Textes; die Motive darin können aber selbstverständlich weiter in mir gären.
5. Trifft auf dich das Diktum zu, dass Dichter*innen Seismographen ihrer Zeit sind – und wenn ja, inwiefern? Anders gefragt: Siehst du für dich als Dichter*in eine Aufgabe in Bezug auf das gesellschaftliche Ganze?
Es ist schon wichtig, seine Arbeit als bedeutsam zu verstehen. Gelingt mir das nicht, mache ich anderes. Ich finde es seltsam, wenn Autor*innen jedes Jahr ein Buch veröffentlichen, jedenfalls ist mir das nicht möglich – jedenfalls nicht im literarischen Kontext.
Der Topos vom Seismographen ist beliebt, er vermittelt eben das Behutsame, dass man Schwingungen spürt, bevor es zum Beben kommt. Was aber tun in einer Zeit, die man als Dauerbeben bezeichnen kann? Ich sehe Dichtung als sehr beauftragt an: Sie liefert Erkenntnis, leistet einen anarchischen Überschuss, sticht subversiv in Nester des Unbehagens und verknüpft ganz unterschiedliche Lebensbereiche und Disziplinen. All dies ist eine Leistung, die Gedichte besonders macht. Selbst wenn Essays, Aphorismen etc. ähnliche Stoßrichtungen haben, so weisen sie doch einen formal anderen Zugang auf. Dem Gedicht ist es erlaubt, spielerisch zu sein, bei anderen Textarten ist das nicht so einfach. Ja, es kann ein Gedicht einen erinnern, was es bedeuten kann, „gut zu sein“. Aber meist sind dies Gedichte, die diese Botschaft nicht wie einen Bauchladen vor sich hertragen.
6. Kannst du mit dem Satz „Dichten ist ein brotloser Beruf“ etwas anfangen? Oder besteht in deinem Leben eine Spannung zwischen Schreiben und Einkommen?
Ich mag diesen Satz nicht, weil er fatalistisch ist und mir sowieso zu vertraut. Natürlich wünsche ich mir ein höheres Einkommen durch das literarische Schreiben. Es gab immerhin Phasen, in welchen ich damit zufrieden war. Doch diese liegen lange zurück. In den letzten Jahren überwiegen Auftragsarbeiten im Bereich Sachbuch, Journalismus wie auch Rezensionen oder Reportagen sowie Essayistik. Auch in diesen Bereichen ist es nicht einfach, ein vernünftiges Einkommen zu erzielen. Mit Stand heute (3. April 2024) lässt sich zumindest abschätzen, dass dieses Jahr ein einigermaßen erträgliches Einkommen bringen wird. Doch jedes Jahr ist es ein Glücksspiel. Vor einigen Jahren habe ich sehr oft Pasta und Kartoffeln gegessen. Diese Zeiten sind im Augenblick erfreulicherweise vorbei. Nichts gegen Pasta und Kartoffeln – ich denke, es ist klar, was gemeint ist.
7. Welche Autorinnen und Autoren, welche Gedichte haben dich geprägt, fürs Schreiben sowie fürs Leben?
Wer würde hier nicht eine längere Namensliste abtippen können? Aber was bedeutet „geprägt“? Was mich immer wieder fasziniert, ist die Entdeckung. Es fällt einem ein Buch in die Hände und die Beziehung damit ist wie eine Affäre, die aufwühlend ist und ein absehbares Ende aufweist. Dann erschließt sich vielleicht ein eigener literarischer Kosmos. Wenn ich weit zurückgehe, dann sind es Klassiker. Hymnen an die Nacht von Novalis war einer der ersten Gedichtbände, die mich nachhaltig beschäftigt haben. Aha, so kann sich also „Naturwissenschaft“ auch darstellen. Trakls eigene Farblehre hat mich mit 16 heimgesucht, Benn, Rilke natürlich und die französischen Symbolisten (inkl. Baudelaire). Ich merke, das artet in Name-Dropping aus, das nicht weiterhilft. Ich müsste dazu mehr in meine Lesebiografie hinabsteigen. Später jedenfalls mehr und mehr Gegenwartsbezüge, die mich angezogen haben, bis zu Kolleg*innen der Poesiegalerie. Manchmal habe ich hingegen einen Band gelesen, aus welchem ich nur ein Gedicht oder einen Absatz bewahrt habe – mir fällt dazu eben E.E. Cummings ein, sein Somewhere I have never travelled und insbesondere der Schluss bzw. tatsächlich das finale Bild: „(i do not know what it is about you that closes / and opens; only something in me understands / the voice of your eyes is deeper than all roses) / nobody, not even the rain, has such small hands.”
8. Woran schreibst du gerade bzw. woran hast du zuletzt geschrieben?
Ich muss gestehen, ich bin derzeit nicht in einer poetischen Schreibphase, sondern befasse mich u. a. mit vielen historischen Ereignissen für ein Buch, das Anfang 2025 erscheinen wird und Miniaturen aufweist. Dabei picke ich Persönlichkeiten aus verschiedenen Jahrhunderten sowie Ländern heraus und zeige anhand ihrer kommunikativen Fähigkeit, wie sie andere begeistern, führen oder auch ihre Position verteidigen. Das Buch bietet eine weite Reise von Hildegard von Bingen über Jeanne d’Arc bis zu Napoleon Bonaparte oder gar John F. Kennedy und lässt einen anders auf Weichenstellungen und Entscheidungsnöte blicken. Zugleich lässt es einen reizvoll in die europäische Vergangenheit eintauchen.
Es ist eine Koproduktion mit dem Schweizer Kommunikationsexperten Viktor Baumgartner, der als Spezialist für Medientrainings seinen Scharfsinn mit kommunikativen Herausforderungen im Geschäftsalltag einbringt. Immer begleitet eine historische Miniatur eine Szene aus dem beruflichen Alltag. Das Buch verknüpft auf erfrischende Weise Geschichte mit persönlicher Erfahrung. Geschichte bzw. die Deutungshoheit desjenigen, der Geschichte definiert, hat mich immer schon sehr beschäftigt, eines meiner Bücher heißt „Land unter ihnen“ und erzählt detailgenau vom Beginn des spanischen (europäischen) Imperialismus in Lateinamerika. Wie hier Propaganda und Fake News eine Rolle spielen und das wechselseitige Ausspielen von Kontrahenten. Zugleich ist es eine Parabel über eine andere Begegnung der Kulturen, in welcher dem Soldaten als Psychopathen der Neugierige gegenüberstellt ist, der sich eine Naivität bewahrt, die das Staunen erst möglich macht.