Kirstin Breitenfellner liest Amos Rüfs dame erna mag gicht, acht eigramm gnade
Amos Rüfs Gedichtband dame erna mag gicht, acht eigramm gnade ist nach Daniel Böswirths von den bösen viechern der zweite Band des Verlags fürth ohne th, gegründet 2023, „um sich der – wie man sagt – totgesagten Lyrik zu verschreiben und damit ein (vielleicht) sinnloses Wagnis jenseits des Profitdenkens einzugehen“, so Verleger Thomas Fürth alias Amos Rüf. Schon der Name ist ein experimentelles Gedicht, denn fürth schreibt sich ja mit th … Die beiden ersten Bände des neuen Verlags verbinden die quadratische Form, das schwarze Cover und die schwarzweißen Illustrationen. Wobei den „Viechern“ von Böswirth bei Rüf abstrakte, krakelig wabernde Zeichnungen entgegenstehen, die an Wasserstrudel oder Baumrinde erinnern, geschaffen von Stivie Vukics, der die Buchpräsentation im Mai 2023 zusammen mit Gilbert Medwed mit „Geräuschen, Klängen, Tönen“ begleitet hat.
Es kann nicht schaden, experimentelle Lyrik mit Erklärtexten zu flankieren. Das tut auch Rüf in einer Vorbemerkung, die hier zitiert werden soll, um die Machart des Bands zu erläutern und womöglich seinen Anspruch überprüfen zu können.
Cover © Verlag fürth ohne th
„buchstaben sind wie spielzeugsteine: es gibt große rote, kleine grüne, welche, die rund und solche, die viereckig sind. // anagramme sind streng komponierte und zugleich zufällige rangierbahnhofsfunde. // aus in verschiedenen texten von dominik steiger aufgeklaubten zeilen entstehen ein, zwei, drei, vier neue zeilen und gehen ihre eigenen wege. ohne dabei den ursprung zu verleugnen. so verbleiben die grundzeilen, werden teil der neuen zeilen, teil des ganzen. // jede einzelne folgezeile besteht aus den buchstaben der grundzeile, dadurch einlesbar gemacht, dass die ausgangszeilen von dominik steiger kursiv gesetzt sind, die daraus entstandenen zeilen nicht kursiv.“
Dominik Steiger, geboren 1940 in Wien und vor zehn Jahren gestorben, gehört zu den Literaten aus dem Umfeld der Wiener Gruppe und des Wiener Aktionismus, die auch mit bildkünstlerischen Werken experimentierten. Bekannt sind seine „Knöchelchen-Zeichnungen“, die entfernt an die Illustrationen im vorliegenden Band erinnern.
Also Anagramme, 51 an der Zahl. Bevor es mit den Gedichten losgeht, findet man in dame erna mag gicht, acht eigramm gnade noch ein Geleitwort, offenbar ein persönlicher Brief bzw. eine E-Mail von Dominik Steigers Witwe Renate Ganser, eine Interpretation im Vorhinein oder der Ersatz eines nicht vorhandenen Klappentexts, der den Gedichten bescheinigt, „einfallsreich neue bilder“ aus den Buchstaben zusammengestellt zu haben. „man merkt ihnen den strengen rahmen wenig an und oft scheint es, als würden diese buchstaben die reise, die sie zuvor begonnen hatten, fortsetzen, sich zu neuen wortschätzen zusammenfügend.“
Anagramme
Wenn es stimmt, dass Literatur immer eine Kommunikation zwischen Texten darstellt, dann wird sie hier jedenfalls explizit. Dadurch, dass Rüf die Zitate zumeist mit einem Komma abtrennt und nicht mit einem Punkt, entsteht eine inhaltliche Verbindung, die über eine Aufzählung hinausgeht. Zu beschreiben, wie diese Gedichte gemacht wurden, kann aber noch lange nicht als Interpretation gelten. Wie also reagiert Rüf auf die Textsplitter von Dominik Steiger, außer dass die Buchstaben übernommen werden? (Umlaute erlaubt sich Rüf mal mit Pünktchen, mal mit e zu schreiben.)
In den einzelnen Gedichten können die kursiven Zitate vorangehen:
mit einem echten furz tritt der wahre hausherr im kamelhaarmantel aus dem schrank, er zerschneidet mir wuttaschen, kammkraft und haaruhr, er heiratet ein lahmes lamm.
Häufiger sind sie allerdings nachgestellt, sodass sich die Nachdichtungen auf ihren Ursprungskern zuzubewegen scheinen.
er fischt nachengemurre, ehrt weiche wunden, zahmes stroh, er findet sich schwer zurecht wenn er ohne hammer ausgeht.
Es ist faszinierend, was Rüf aus dem Original herauslesen kann, auch wenn es nur indirekt drinnen steckt – vergleichbar vielleicht mit Laura Nussbaumers „Blackout Poems“, bei denen sie Gedichte von Erika Kronabitter übermalt. Neologismen wie „nachengemurre“ oder kammkraft“ kommen dabei zahlreich hervor. Aber ergeben sie auch Sinn? Oder sind sie zur Gänze hermetisch? Mit Lust kann man sie auf jeden Fall lesen, zumindest jene Leserinnen und Leser, bei denen die Leidenschaft für Korrespondenzen, das Nachverfolgen von Mutationen, die der menschliche Geist per se besitzt, auch die Abwesenheit von Bedeutungen, von Sinn in Kauf nimmt.
L’art pour l’art? L’art pour l’art!
Wobei das mit der Abwesenheit von Sinn nicht ganz richtig ist. Die „Sinnlosigkeit“ in folgendem Gedicht entspricht der vorgestellten Woche, die offenbar in einer Endlosschleife abläuft, wie man den drei Punkten am Ende des Gedichts entnehmen kann, bildet sie also sinnvoll ab …
sonntag, leute, schlafen im gebüsch. montag werden sie eingesammelt. dienstags schlürfen sie glastoene, augengemmen. am mittwoch, nebel. am donnerstag ist schule. eint schwüle, ast gebogene flammen. gemein. freitag, enges übel weitet sich. dumm. samstag, gelsen, nonne malochen. sonntag, leute schlafen im gebüsch. montag werden sie eingesammelt …
Und wenn man genau hinschaut, gewinnen die Zitate von Steiger in der Fort- bzw. Vorausschreibung von Rüf des Öfteren an Welthaltigkeit:
er saß schrullig auf zwei galgen. er lochte mohntapeten, dehnte licht. es fraßen acht postler zeitungen. er, mulde, segellast, lachte: wohin geh ich? die leere welt lag schon hinter ihm zu großen schachteln aufgestapelt.
Selig ist, wer Sinn die Welt hineinzulesen versteht, könnte ein Credo experimenteller Lyrik lauten. Auch dorthinein, wo es vordergründig nichts zu lesen gibt außer Sinnfragmenten. Selig ist, wer an „Rangierbahnhöfen“ Zufallsfunde zu machen versteht wie Amos Rüf.
L’art pour l’art? Sei’s drum! Denn Kunst hat auch als solche ein Existenzrecht – das zeigten nicht zuletzt die Wiener Avantgarden der Nachkriegszeit, in die sich Rüf mit diesem Band bewusst einreiht. Und gerade in Zeiten, wo das Engagement von Kunst über deren Ästhetik zu rangieren scheint, gewinnt eine Kunstproduktion ohne profitorientierte oder politisch-moralische Ziele an Aktualität – und auch an Brisanz.
amos rüf: dame erna mag gicht, acht eigramm gnade. illustrationen von stivie vukics. fürth ohne th verlag. 68 Seiten. Euro 20,– (ISBN 978-3-200-08930-3)
Eine Website gibt es nicht, bestellen kann man die Bücher von fürth ohne th in der Wasnergasse 19/33, 1200 Wien oder per Mail tomasju@gmx.at
WERKSTATT-Lesungen im WUK
Samstag, 18. Mai, ab 19h im WSB-Studio und der angrenzenden Evolutionsbibliothek im WUKlesen: Max SILBERNAGL, Amina KURBANOVA, Amos RÜF, Nikolaus SCHEIBNER und Rudolf STUEGER. Dazu gibt es eine Ausstellung zum Thema Collagen von Mehrzad HAMZELO, Nikolaus SCHEIBNER, Amos RÜF.Erreichbar über den WUK-Seiteneingang Wilhelm-Exner-Gasse 7. Eintritt frei!
Foto © Evolutionsbibliothek im WUK (Facebook-Event)