Nicole Streitler-Kastberger liest Christian Steinbachers Dass es auch zählt: 9 Ziffern, 6 Hüte
Christian Steinbacher (geb. 1960 in Oberösterreich) kennt man als sprachspielerischen Autor, der es gerne krachen lässt. So auch in seinem jüngsten Gedichtband. Die Avantgarde hat es mit den Zahlen. Vor kurzem habe ich Rühms „100 Zahlendichtungen“ Die gefaltete Uhr rezensiert, nun also Steinbachers Dass es auch zählt: 9 Ziffern, 6 Hüte.
Den ersten Teil des Gedichtbandes bilden Übertragungen aus dem Französischen, Joseph Racailles Neuf chansons sur les chiffres, die der Autor kurzum unter dem Titel Alle neune! überträgt. Die dann folgenden neun Gedichte über die Ziffern 1 bis 9 gießt er locker-flockig in die deutsche Sprache, nimmt sich dabei natürlich auch Freiheiten heraus, bleibt aber dem Reimschema, das Racaille vorgibt, verpflichtet.
Cover © Edition Thanhäuser
Übertragen/Übersetzen
Für Leser und Leserinnen, die der französischen Sprache mächtig sind, ist es ein Spaß, den Übertragungen Steinbachers zu folgen. Es sind keine Übersetzungen im eigentlichen Sinne, sondern – teils sehr freie – Übertragungen, die aber doch relativ nahe am Original bleiben. Man fühlt sich unweigerlich zum Vergleich der beiden Versionen angeregt.
Aus:
Un Ne crie pas comme ça Non, ne pleure pas Parce que l’autobus t’a arraché le bras (droit) Ce n’est pas très bien Mais il t’en reste encore un.
wird:
Eins Kreisch nicht gleich, wenn’s bricht Plärr doch bitte nicht Weil der Autobus riss ab den Arm So schlicht (dicht) Mach doch kein Trara Ist da einer dran noch ja.
Das ist grotesker Humor, wie ihn die Avantgarde gerne hat. Vermischt wird das Ganze mit eigenen Gedichten und fußnotenartigen Einträgen, die Lesefrüchte (von Kandinsky bis Charms und Zsuzsanna Gahse) und Feder-Zeichnungen des Verlegers Christian Thanhäuser versammeln, sodass ein bunter Mix, ein Amalgam von Texten und Bildern entsteht, das durchaus knifflig, aber auch sehr poetisch ist. Am schönsten: Ramón Gómez de la Serna: „Die 8 ist die Eieruhr der Zahlen“.
Einfach komplex
Einfach und komplex zugleich sind die Texte des Bandes, die viele Themen anschneiden: Zweisamkeit, Vater-Komplex, die Finger einer Hand, Würstchen in einer Plastikpackung, Vollmilchjoghurt, Schneewittchen und die sieben Zwerge usw. Man sieht schon, es sind keine ganz ernsten Angelegenheiten, die in diesen Texten verhandelt werden. Doch man spürt die Lust, die es Steinbacher wohl bereitet hat, Racailles bunte Texte in den eigenen Schreibfluss zu übertragen. Die eigenen Gedichte, die den Texten Racailles beigegeben sind, sind hermetischer, hier äußert sich ein verkopfter, aber auch verspielter Sprachapologet, dem Sinn schon lange keinen Sinn mehr macht:
– Wollte es sich aufmerksam geben, stünde das Zahlen zu nicht. – – Immer nur tintig aber misslinge bei Speisekarten noch jede. – – Ja und sogar das Unendliche ließe sich strecken auf so einer Liege. –
Sprechende Hüte
Den zweiten Teil des Bandes bilden eigene Gedichte, die im Titel erwähnten „6 Hüte“. „Chapeau!“ ist dieser Teil betitelt, und in ihm kommen die Hüte teils selbst zu Wort. Ein „Schlapphut“ etwa äußert sich folgendermaßen:
In den Nacken und hoch über die Stirn meinetwegen, doch mit Anorak, nein, dies wäre ein Unding, das geht einfach gar nicht, das dürfen allenfalls Fischer, oder Imker (doch die koppelten sogar Gamsbart mit Dreadlocks).
Das ist schöner Flattersatz und Enjambement hoch drei. Steinbacher ist ein kreativer Kopf, dem die eigenen Ideen zu witzigen und sprachlich sehr genau gearbeiteten Texten gerinnen. Formal ist das sehr frei, aber anspruchsvoll, und nicht immer ist es leicht, den Ideen Steinbachers zu folgen. Doch es lohnt sich, diesen Gedichtband zu lesen, vor allem auch mit Blick auf seine Konzeption als Gesamtkunstwerk. Der Band ist sehr schön gestaltet, die Edition Thanhäuser generell eine Nische für Bibliophile. Ich habe es mir verbeten, in das Buch hineinzuschreiben. Nicht einmal mit Bleistift.
Christian Steinbacher: Dass es auch zählt: 9 Ziffern, 6 Hüte. Edition Thanhäuser, Ottensheim/Donau, 2023. 68 Seiten. Euro 24,–
