Klaus Ebner liest Stephan Eibels sternderln schaun
Mit sternderln schaun legt Stephan Eibel einen weiteren Gedichtband vor, erschienen in der bereits gut eingeführten Lyrikreihe des Limbus Verlages. Eibel wurde 1953 im steirischen Eisenerz geboren und lebt seit den Siebzigerjahren als freier Schriftsteller in Wien. Es ist wohl nicht übertrieben, ihn als einen sehr produktiven Autor zu bezeichnen, aus dessen Feder Lyrik, Erzählungen, Romane und Theaterstücke stammen.
Die im Titel angebotene Betrachtung der Sternchen steht für ein wiederkehrendes Thema, das in seiner Formulierung mal kindlich verspielt, mal dialektal verbrämt und mal sinnlich verträumt wirkt.
Cover © Limbus Verlag
Der erste Eintrag – denn ich wage nicht von einem „Text“ zu sprechen – mit der Überschrift „sternderlschaun“ konfrontiert die verblüfften Leser*innen mit einer ganzen Seite voller Asterisken (= Sternchen), die so gesetzt sind, als handelte es sich um unlesbar gemachte Verse unterschiedlicher Länge, wie man das etwa von der Eingabe eines Passworts im Computer kennt.
Da könnte einer glatt auf die Idee kommen, die Leserschaft würde aufgefordert, die Sternderln durch Buchstaben zu ersetzen und sich auf diese Weise ein ganz persönliches Gedicht auszudenken, dessen Buchstabenmenge natürlich mit den Platzhaltersternchen und deren Verseinteilung genau übereinstimmen muss. So, wie ich den Autor bei Lesungen kennengelernt habe, wäre ihm das durchaus zuzutrauen …
Bei „sternderln lesen“ gibt es dann keine Asterisken, sondern unzählige Male das Wort „sternderln“, während es später im Buch mit der – durchaus in unterschiedlichen optischen Variationen wiedergegebenen – Asteriskenform weitergeht. Diese Gedichte, so man sie tatsächlich als solche bezeichnen darf, erinnern nicht nur an die Sprach- und Gestaltungs-Spielereien der konkreten Poesie, sondern fungieren als eine Art humoristische Auflockerung des Gedichtbandes, weil sie wiederholt auftauchen und somit den Strom der anderen, ernsteren und vor allem gehaltvolleren Gedichte auflockern. Die „Sternderln“ sind daher ein ironisches und amüsantes Element der Buchkomposition.
Im Übrigen können die Sternchen im Buchtitel als Objekt wie auch als Subjekt gelesen werden. So geht es nicht nur darum, dass wir in einer ruhigen Stunde der Beschaulichkeit die Himmelsobjekte (bzw. die gedruckten Sonderzeichen) betrachten, sondern dass auch die Sterne selbst, womöglich Metaphern der einzelnen Gedichte, schauen; sie schauen auf uns, die Lesenden, herab, beobachten, wie wir das Gedruckte, auf das wir uns eingelassen haben, aufnehmen.
Stephan Eibel verwendet in seinen freien Rhythmen durchgehend Kleinschreibung, verzichtet für gewöhnlich auf Kommata und spart wiederholt die Überschriften aus. Die Texte sind eher kurz und prägnant gehalten, gleichen oft Aphorismen, und einzelne Gedichte bestehen überhaupt nur aus einer einzigen Zeile, etwa:
krieg: scheiße … ist besser
Kurioses
Kuriositäten und Witz sind Stephan Eibel unmissverständlich wichtig. Der Anfang eines der titellosen Gedichte lautet:
33 leerzeilen mit strichpunkt
Was darauf folgt? Nun, wie angekündigt, ein leeres Blatt, und ganz unten steht rechts ein Semikolon. Ich habe die Leerzeilen zwar nicht gezählt, aber ich hege keinen Zweifel daran, dass es genau dreiunddreißig sind.
Unter der Überschrift „satz mit zeigefinger“ steht lapidar:
man muss die welt nüchtern betrachten
Die darauffolgenden zwei Gedichte haben keine Titel mehr. Das erste lautet:
besser: betrunken als angfressen
Und das zweite schließt mit:
noch besser: beschwipst als sauer
Bei geruhsamer Betrachtung des Sternenhimmels darf man sich schon mal getrost fragen, woher der Begriff „sternhagelvoll“ eigentlich kommt …
Und dann treffen wir auf ein Gedicht, das gleich über zwei Seiten reicht. Es behandelt ein Thema, das – leider – überaus aktuell ist und niemanden, und schon gar nicht einen sensiblen und politisch aufmerksamen Autor kalt lässt. Ohne Titel starten die ersten Strophen:
bist du auch traurig über fünfhundert junge russen, die an einem tag obwohl du aufseiten der freiheit, der demokratie der ukraine stehst?
Es geht aber bei Weitem nicht nur um die Verbrechen des russländischen Diktators. Die Weltnachrichten bieten derzeit eine überaus reichhaltige Palette der Gewalt:
bist du auch traurig den hass der hamaskämpfer in videos zu sehen? und ist es nicht mehr als hass auf jungen getöteten jüdinnen und juden zu tanzen die vor stunden noch am musikfestival für frieden aller das leben feierten?
Der Fokus wechselt dann auf das Empfinden – oder besser: auf die Verstörung des unfreiwilligen Zaungastes, des aus der Entfernung Miterlebenden:
schaust du dir katzenvideos an schimpfst auf die menschheit oder betrinkst du dich? ich muss noch eins sagen es fällt mir schwer ich bestell noch einen liter sie haben babys verbrannt
Der Dichter bleibt sprachlos zurück. Der Mensch steht da, offenen Mundes, fassungslos und ohnmächtig. Es ist geradezu so, als wollte Stephan Eibel gerade mit der relativen Verbosität dieses Gedichtes klarmachen, dass einem hierzu eigentlich nichts mehr einfällt.
Emotionales
Mehrere Gedichte haben entweder mit dem Alter (und Altern) oder mit der Familie zu tun. Sie wandeln das Schmunzeln, das noch von den humorvollen oder gar skurrilen Seiten her im Gesicht steht, schlagartig in eine ganz andere und tiefgehende Emotion. Der Text mit der vorerst trockenen Datumsüberschrift „18. Mai 2021“ lautet:
morgen ist der erste tag vom aufwachen bis zum einschlafen an dem ich eine mutti hatte
Die Schlüsselform ist das Präteritum. Seine „mutti“ kommt noch öfter vor, und ich halte diese Gedichte auf jeden Fall für autobiografisch. Trotz – oder wegen – ihrer frappanten Kürze vermitteln sie Nachdenklichkeit und Mitgefühl. Die Gedanken an die „mutti“ führen zum folgenden Vierzeiler, wo zudem eine resignative Anspielung an die von der Gesellschaft angenommene (oder geforderte) Aura des Künstlertums mitschwingt:
egal in welchem land egal zu welcher tageszeit am friedhof ist schluss mit der unsterblichkeit
sternderln schaun ist ein sehr vielseitiger, ein geradezu bunter Lyrikband. Eibel zeigt einmal mehr seinen verschmitzten Humor, führt uns mit Sonderzeichenverspieltheiten an der Nase herum und lässt zwischendurch tief in die Seele eines ganz und gar nachdenklichen, feinfühligen und hellhörigen Menschen blicken. In seinen Lesungen versteht er es, all diese Facetten spürbar zu machen, und liebt es außerdem, befreundete Künstler*innen in seine Darbietungen einzubinden.
Zum Abschluss möchte ich meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, in dieser Buchbesprechung nicht allzu „kleinlich“ gewesen zu sein. Denn Stephan Eibel erbat sich in seinem Buch mit seiner pointierten Art:
sei bitte net kleinlich es genügt wenn’s i bin
Stephan Eibel: sternderln schaun. Limbus Verlag (Limbus Lyrik), Innsbruck-Wien, 2024. 96 Seiten. Euro 15,–