Kirstin Breitenfellner liest Gerhard Ruiss’ und Klaus Zeyringers
Reimverbote und andere Schreibaufträge
Dichterinnen und Dichter arbeiten mit Inspiration. Sie finden ihre Themen im eigenen Leben oder in Büchern. Und dann versuchen sie dafür eine adäquate Form zu finden. Oder? Dass Dichtung keinerlei Gesetzmäßigkeiten gehorcht, nicht mal den eben aufgezählten, beweist eine Publikation, bei der zwei Autorennamen genannt werden: Gerhard Ruiss, Musiker und Kulturinteressensvertreter, und Klaus Zeyringer, Germanist und Sachbuchautor, der zuletzt Bücher über Fußball und die Olympischen Spiele vorlegte.
Als sportlich könnte man mit einem Augenzwinkern auch den vorliegenden Band bezeichnen, dessen Titel Reimverbote und andere Schreibaufträge schon auf die Machart hinweist. Gerhard Ruiss verfasste über einen Zeitraum von zwanzig Jahren – von 2003 bis 2023 – im Schnitt drei bis vier Mal pro Jahr ein Gedicht, zu dem ihm sein Freund Klaus Zeyringer – oft bei oder nach einem gemeinsamen Lokalbesuch – den Auftrag gegeben hatte.
Cover © edition Keiper
Aufgelistet sind diese Vorgaben im Anhang. Sie lauten etwa: „,Herz / Schmerz / Sterz‘, 27.8.2003“ oder „,Gewalt / uralt / Tracht / wacht / Tirol / wohl / Süd / müd‘, leichte Fingerübung, 28.11.2011“. Und stellen also des Öfteren auch Reimgebote dar, und zwar der konventionellsten Art, wie etwa: „Preis / Fleiß / Scheiß“ oder „zufrieden / hienieden / Wieden / gemieden“ –, die Ruiss freilich oft genüsslich ignoriert. Zum Schluss hin werden die Anweisungen immer detaillierter:
„Kassazettel – alte Vettel – Wiener Stättel / Verlagssuche – fürs Buche – den Straßenfeger‘ als Dada-Haiku, Café Strozzi, Wien, 25.11.2022 (mit Zwischenzeilern und ohne Zwischenzeiler, möglichst wenig nah an Dada und an einem Haiku“.
Man merkt: Die zwei Herren, beide inzwischen über siebzig, haben sich hier einen Jahrzehnte dauernden Schabernack erlaubt.
Umgehung von Erwartungshaltungen
In der Vorbemerkung wird die „Lust an der Umgehung von Erwartungshaltungen oder der Lösung von Vorgaben“ denn auch als maßgeblich für das Zustandekommen dieser Texte bezeichnet. „Die Anordnung der Gedichte folgt nicht dem zeitlichen Ablauf der Schreibaufträge, sie stellt die Entwicklung nach, wie ein solches Projekt angegangen hätte werden können, wäre es von vornherein geplant gewesen“, heißt es weiter. So weit, so komplex.
Wie nähert man sich einem solch konzeptionellen Buch? Liest man die Gedichte einfach als Gedichte und dann die Schreibaufträge? Oder umgekehrt? Seite für Seite oder doch chronologisch? In jedem Fall erfordert die Lektüre ein ständiges Blättern, was ein gerüttelt Maß an Geduld erfordert. Aber den jeweiligen Schreibauftrag als Fußnote unter dem jeweiligen Gedicht zu drucken, würde vermutlich den ästhetischen Genuss stören.
Die Rezensentin hat sich dazu entschieden, immer das Gedicht und anschließend den Schreibauftrag zu konsumieren. Dabei erübrigt sich ein Vergleich im Grunde genommen, denn egal, ob Ruiss sich brav an die Aufgabe hält oder sie schlichtweg ignoriert: Heraus kommt immer ein „echter Ruiss“, der den Schreibauftrag manchmal sogar im Gedicht selbst verhandelt.
im angebot du sagst schornstein ich sage schlot du sagst scheiße ich sage mist du sagst ich soll nicht kot sagen ich sage das ist einmal ein wirklich interessantes verbot.
Hier muss angemerkt werden, dass der Auftrag nicht aus Verboten, sondern aus Geboten bestand: „,Verbot / Kot / Schlot‘, 9.2.2005“. Ergibt hier das erfüllte Gebot des Wortes Verbot also ein gebotenes Verbot? Das alles durchzudenken, fabriziert so viele Knoten im Gehirn, dass man sich den Gedichten bald willenlos überlässt. Und damit der Ruiss’schen Freude an Sprach- und Wortspiel. Er reimt, assoziiert und kalauert, dass es nur so klingt und kracht. Aus dem Auftrag „,Ein lyrischer Überfall‘, Titelvorgabe, Gedicht in freier Gestaltung, 8.1.2016“ hat Ruiss gleich vier Gedichte gemacht. Eines davon lautet:
aus der fülle der lyrik und des reichtums für die menschheit gib alles und nicht alles auf einmal das ist ein überfall überfällt es dich überfällt es dich überall hier alles, aber nicht alles auf einmal na gut, das auch noch und auch noch das das haben überfälle an sich: was du sonst noch bei dir hast sieh nach, es ist schon alles, fast aber das gibt es erst die nächste ecke weiter beim nächsten überfall.
Hier wird klar: Der Autor tut sich, einmal auf Schiene gesetzt, keinen Zwang an. Auch bei der Reimerei – schließlich wurde sie ihm ja aufgetragen.
reimgelingen heim, rein, reim geht das denn? keim, schleim, leim wirkt das denn? allein in massen hinauf die stiegen die stiegen hinunter rund ums haus auf einem bein hilft das denn? lieber gelassen.
Vergnüglichkeit versus Tiefgang
Bleibt das lyrische Ich angesichts des „reimgelingens“ gelassen? Oder hätte es das Reimen lieber gelassen? Mit solchen Zweideutigkeiten treibt Ruiss ein bodenloses Spiel, das manchmal auch ins Politische kippt.
ablösebegegnung, die sein letzter gruß diese regierung ist alternativlos dein gruß darauf die nächste wird es auch.
Der Auftrag dazu lautete: „,Diese Regierung ist alternativlos‘, nach Wilfried Haslauer, Landeshauptmann von Salzburg, 18.10.2018“. Wenn dabei manchmal eher weniger zeitgenössische Gedichte herauskommen, liegt das daran, dass die Aufträge oftmals nicht nur herausfordernd, sondern regelrecht „gemein“ sind. Wie etwa: „,Gewalt / uralt / gemalt‘, kreuzt ,Kipfel / Gipfel / Zipfel‘, Stabunreimhäufung, unbesinnlich, mit Lektoratsvorbehalt, 1.12.2001“. Viele Gedichte klingen wie Finger- bzw. Zungenübungen, gemahnen an Geburstagsständchen und Wald-und-Wiesen-Lyrik, so munter klimpern sie vor sich hin, was die Vergnüglichkeit erhöht, aber nicht – um selbst im Ruiss’schen Sinne zu kalauern – den Tiefgang vertieft.
Versöhnt wird man mit dieser ungefilterten Sprachlust durch Gedichte mit typisch Ruiss’scher Abgründigkeit wie:
im widerspruch zu allem, das es gibt das bin ich unabänderlich darauf beziehe ich mich unweigerlich und sich auf mich nichts eigentlich.
(Der Auftrag: „,Dichten / Pflichten / richten‘, 22.2.2005“ wurde hier erfolgreich ignoriert!)
Sehr gut funktionieren auch Kurztexte wie:
nicht reisende nonne bei sonnenschein reise durch ich bleibe da die wonne übt (sich) (in) absentia
Oder:
auszuschließen des wa ned heit warad des gscheid und mochats am a no a freid.
Auf jeden Fall stellt der Band eine Fundgrube dar und zeugt von einem Übermut, der ansteckend wirkt. Man lernt: Lyrik darf sich durch nichts abschrecken lassen. Sie bahnt sich immer ihren Weg! Oder wie es in der Vorbemerkung heißt: „Wenn etwas zum Ausdruck gebracht werden muss, lässt es sich weder durch Vermeidungen umgehen noch durch Umgehungen vermeiden.“
Gerhard Ruiss, Klaus Zeyringer: Reimverbote und andere Schreibaufträge. edition keiper, Graz, 2024. 159 Seiten. Euro 23,–