Lukas Meschik liest Michael Köhlmeiers Im Lande Uz
Nach Der Liebhaber bald nach dem Frühstück (2012) und Ein Vorbild für die Tiere (2017) legt der Romancier Michael Köhlmeier mit Im Lande Uz einen weiteren Gedichtband im Hanser Verlag vor. Dieser gliedert sich in drei Teile, nämlich: „1. IM HAUS DES FEINDES, IM HAUS DES FREUNDES“; „2. IM LANDE UZ – KANTATE ZU DEN WÜSTEN JAHREN“; 3. „LANDKARTE EINES VERBRECHENS“.
Gerade im titelgebenden Mittelteil – einem Weltuntergangs- oder eher Weltumbruchsgesang in vierzehn Strophen –, zeigt sich ein zutiefst politischer Autor, der bei aller augenzwinkernden Leichtigkeit die Stimme erhebt, wo er eine Entwicklung für gefährlich hält.
Cover © Hanser Verlag
Anspielungen auf die Covid-19-Pandemie sind deutlich; wir lesen vom Unbehagen, wenn aus einer abstrakten Bedrohungslage eine immer konkretere wird, und von damit einhergehenden gesellschaftlichen Verwerfungen.Köhlmeier besitzt ein feines politisches Sensorium, tritt nicht nur als öffentliche Person, sondern auch in seiner Lyrik als Mahner und Warner auf.
DIE KRONE Keine Kondensstreifen am Himmel, so lautet die Mitteilung. Angeblich wird achtzig Prozent weniger getankt. Der dort hustet, öffentlich – in Indien hätte er mit Stockschlägen zu rechnen (…)
Hiobs Botschaft
Um Köhlmeiers Gedichtband zu entschlüsseln, braucht es eine kurze Auffrischung des Bibelstudiums. Was und wo ist dieses Land Uz denn eigentlich? Der Name kommt aus dem Alten Testament und benennt den Wohnort von Hiob. Wir erinnern uns: Bei Hiob handelt es sich um den armen Mann, der zum erbarmungswürdigen Spielball der Mächtigen wird und trotzdem auf seinem Glauben beharrt. Satan wettet, Hiob werde sich von Gott abwenden, wenn ihm alles genommen werde; Gott hält dagegen, nimmt ihm zum Beweis all seine Besitztümer, lässt sogar seine Kinder sterben und Hiob selbst schwer erkranken. Am Ende wird die Treue belohnt: Hiob gesundet, erhält das Doppelte der vorherigen Besitztümer, ihm werden neue Söhne und Töchter geboren. Gott hat die Wette gewonnen.
Dass Köhlmeier tief vertraut ist mit den biblischen Geschichten, überrascht niemanden, der ihn als begnadeten Nacherzähler kennt – in schriftlicher und vor allem mündlicher Form brachte er uns die Bibel und die klassischen Sagen des Altertums näher. (Es scheint eine ganze Generation literaturaffiner Österreicher zu geben, die mit seiner Stimme als Einschlafhilfe aufgewachsen ist; die Irrfahrt des Odysseus, der Fluch des Ödipus oder eben die erfrischende Modernisierung verstaubter Bibelstellen haben sich uns tief eingebrannt.) Wenn Köhlmeier uns also mitnimmt in dieses Land namens Uz, dann meint er einen Ort der Entsagung und der Verwandlung. In Unglückszeiten mutieren wir alle zu einem Hiob, dessen Glauben – wenn nicht an Gott, dann an das Gute im Menschen oder seine Vernunftfähigkeit – hart auf die Probe gestellt wird.
Während der erste Teil des Bandes eher wie eine Sammlung inhaltlich gemischter Gedichte daherkommt, ist der zweite Teil klar in Zeiten von Krieg und Krise verortet. Die Umgebung wird zum „wüsten Land“, in dem man sich erst einrichten und immer wieder neu orientieren muss. Jede Strophe dieses Gesangs hebt an mit sich wiederholenden Einstiegswendungen, etwa „Und was ist mit (…)“, „Es hieß: (…)“ oder „Jetzt ist es zu spät, um (…)“. Durch diese Wiederholungsschleifen entsteht ein Sog, ein Sound, sodass man tatsächlich innerlich mitsingt. Der hohe Ton und die Verpflichtung zur klassischen Form legen große Vorbilder nahe, etwa die Gesänge des Homer. Dass Ilias und Odyssee in der zeitgenössischen Poesie keine Entsprechung finden können – und auch gar nicht sollen –, ist Köhlmeier mit Sicherheit bewusst; der Versuch, die Gegenwart auf diese Weise einzufangen, ist dennoch löblich und insofern geglückt, als er eine wohlige Distanz in die Selbstbetrachtung bringt.
Haben nicht die Kühnsten unserer Generation sich nach der Katastrophe gesehnt, die ihnen die Nadel in der Beuge, die Flasche am Hals, die Selbstmordgedanken in der Freizeit, die heimlichen Hochzeiten im späten Herbst, die Karrieren ins Graue, die Blamagen vor den diversen Vermittlungsinstituten erspart hätten? Und die Klügsten, haben sie nicht gehofft, ihre Genossen retten zu dürfen am Tag der Rache? Und was ist mit den Frommen, glaubten sie nicht, einen Unter- gang verdient zu haben, wenigstens einen? (…)
Plotlyrik
Im dritten und abschließenden Teil beweist Köhlmeier wie auch in seinen Romanen eine präzise Verbrüderung mit den Außenseitern und Ausgemusterten dieser Welt. Seine Protagonisten schildert er mit liebenswerten Makeln, die in scheinbar ausweglosen Situationen irreversible Fehler begehen. Kleine Sünden und größere Verbrechen werden da begangen, nicht zuletzt an sich selbst. Diese Gedichte haben Plot, erzählen Handlung, hängen teilweise zusammen – es sind Brotkrumen für Lebenswege, die wir uns durch Spekulation selbst herleiten müssen.
DER GRABHÜGEL Nachdem er den Grabhügel seiner Frau mit seinen Händen geplättet hatte, ging er zu Fuß in die Landeshauptstadt, das war ein halber Tagesmarsch, und setzte sich vor die Stufen vor dem Polizeigebäude, in der Nacht legte er sich dort nieder. Er wurde in den Kotter gesperrt. Von einer Geldstrafe sah man ab.
Maramba
Bei einem Vielschreiber wie Köhlmeier, der parallel zu jährlichen Veröffentlichungen in seinem Hauptverlag Hanser auch in anderen Verlagen unablässig Prosa, Kinderbücher und Lyrik herausbringt, muss die ketzerische Frage erlaubt sein, wo Fleiß in Überproduktion und Hervorbringung von Verzichtbarem übergeht. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass manche der Gedichte gerade des ersten Teils eher nebenher entstandener Beifang sind, worauf auch sprachliche Ungenauigkeiten hindeuten. Stellvertretend zwei Beispiele: Bei einer „Gegenseite“ gibt es streng genommen nicht „einen von ihnen“, weil sich hier plötzlich Einzahl in Mehrzahl verwandelt. Wo ein „Wintermantel“ angeblich „warm wie die Stube“ sein soll, möchte man anmerken, dass ein Mantel vielleicht „wärmen“ kann, er selbst aber nicht „warm“ ist, sondern der Körper; zwar spricht man umgangssprachlich vom „warmen Mantel“, aber wirkt der Vergleich mit einer heimeligen, geheizten „Stube“ nicht reichlich schief?
Man wird den Verdacht nicht los, dass hier einem großen Namen, der längst zur Marke geworden ist, nur ungern in die muntere Gedichtproduktion „hineinlektoriert“ wird; ein etwas strengerer Blick wäre zumutbar gewesen.
Allerdings gibt es bei aller kleinlichen Sprachkrittelei ausreichend Texte, die für etwaige Schludrigkeiten locker entschädigen. Das eindrücklichste und berührendste Gedicht in diesem Land Uz trägt den Titel „WAS IST GENUG?“. Es handelt von der viel zu früh verstorbenen Tochter Paula Köhlmeier (1982–2003), deren meisterlicher Prosaband Maramba im Jahr 2005 posthum erschienen ist und nicht genug ans Herz gelegt werden kann. Er war ein Versprechen auf mehr, das niemals eingelöst werden konnte. Wer bei solcher Ungerechtigkeit des Schicksals nicht den Glauben verliert – ob nun an einen Gott oder die heilsame Wirkung kritischer Literatur und aufrechter Haltung –, der steht einem wackeren Hiob um nichts nach. Uz drängt von außen an uns heran in Form von Konflikten und Katastrophen, wir bewohnen es aber nicht nur, sondern beheimaten es auch – das innere Uz gilt es mit der unverbrüchlichen Kraft der Lyrik jeden Tag aufs Neue beherzt zu bannen.
WAS IST GENUG? Die Kerzen auf dem Grab unserer Tochter – sind sie würdig genug? Die Gedanken an ihr Gesicht, wenn sie Sorgen hatte – sind sie sorgenvoll genug? Die Hoffnung, sie wiederzusehen – ist sie ehrlich genug? Das schlechte Gewissen, ihr meine Liebe vielleicht gerade dann, wenn sie dringend gewesen wäre, zu wenig gezeigt zu haben – ist sie ehrlich genug? (…)
Michael Köhlmeier: Im Lande Uz. Gedichte. Hanser Verlag, 2024. 96 Seiten. Euro 22,70