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Virtuell-realer Sprachzauber

Virtuell-realer Sprachzauber

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Klaus Ebner liest Elke Steiners Hast dein Federkleid gelöscht


Im Untertitel wird Hast dein Federkleid gelöscht als „Lyrik-Krimi“ bezeichnet. Damit kündet die Autorin eine zusammenhängende Geschichte an, und die Assoziationen an einen Krimi, die sich Leser*innen geradezu automatisch aufdrängen, sind gewollt. Die Gedichte thematisieren die heutige digitale Welt mit ihren sozialen Medien und den wiederum menschlichen Fallen, die sich darin verbergen.

Schon der Titel des Buches verrät eine sprachliche Tiefgründigkeit, die als deutliches Merkmal dieser Lyrik frappiert: ein Kleid als Verhüllung der Person, aber aus Federn, die erstens Blicke durchlassen und wohl kaum Schutz bieten; die Feder ihrerseits als Anspielung auf das Schreiben von Nachrichten in sozialen Medien, aber auch auf das Schreiben der Gedichte; und die Löschung als normale Aktivität bei der Verwendung eines Computers und weiterhin als Auflösung des Federkleids, also der schützenden Hülle, und Preisgabe der nackten Person.

Cover © edition lex liszt 12

Elke Steiner wurde 1969 geboren und lebt als Autorin, Schreibpädagogin und Literaturvermittlerin im Burgenland und in Wien. Sie veröffentlicht seit 2015 und publizierte zwei Romane, Über das Licht gedreht (2018) und Die Frau im Atelier (2021), bei Keiper. Der vorliegende Lyrikband wurde von der burgenländischen edition lex liszt 12 herausgegeben. Elke Steiner kuratiert und moderiert die Wiener Lesereihe „Famulus Lesungen“ und hält Workshops für Kreatives Schreiben.

Ausgangspunkt des neuen Gedichtbands ist die Weite des World Wide Web. Darin verschwimmen Realität und Virtualität. Eine Person ist eine Person – oder doch nur ein digitales Profil?

träumtest
: Digital Twin
zwischen weltweiten Wäldern
in einer Naht verschwinden
aus der Realität gleiten
hohlraumversunken bist du
nicht weiter vonnöten
: nur dein Profil

Analog zur Weite des Web steht die Tiefe der Wälder. Beide spielen in diesem Gedichtband eine fundamentale Rolle, ergänzen einander und sind in gewisser Weise auch gegeneinander austauschbar. Formal tauchen wiederholt Doppelpunkte am Beginn eines Verses auf: Marker eines Begriffes oder einer Phrase, die besonders beachtet werden sollten.

Die Tastatur spielt Stratego

Die Nähe zu den sozialen Medien, die als Zugang einen Computer oder zumindest ein Handy voraussetzen, holt eine Reihe bekannter Fachbegriffe in die Gedichte, seien es Tastenbezeichnungen, Dateiformate oder Emojis. Dabei stellt die Autorin stets den Bezug zu jener Person, vermutlich einer Frau, her, die am Computer sitzt und über Chat oder eine Partnervermittlungsplattform Kontakte knüpft. Einer der so gewonnenen Kontakte, das ergibt sich aus den Zeilen, wechselt dann vom virtuellen Raum in die Wirklichkeit des Waldes. Angetrieben wird die Frau vom Wunsch nach einer Partnerbeziehung.

nimmst diesen Eindruck
: Erdentreiben
in dein
zärtliches
Auge
enter

Von einem Bild und dessen mutmaßlicher Verschönerung in einem Bildbearbeitungsprogramm ist die Rede, von unterschiedlichen „nicknames“, und, in erotischer Konnotation, vom „Safer Space“, der allerdings im selben Vers bereits ein wirklichkeitsnahes „Waldbett“ evoziert. Als Name der Kontaktperson, vermutlich eines Mannes, kristallisiert sich schließlich „sugar_starling“ heraus, stets kursiv geschrieben und einen ganzen Bedeutungsfächer vom Sugar Daddy über das Sternleuchten hin zum Darling ausbreitend.

einem Lockruf folgen
einer nachtaktiven Seele
sugar_starling
(…)

sagen
: man rechne
: mit gar nichts

sagen
: ist doch bloß so
: Gezwitscher

Die in freien Rhythmen geschriebenen, meist sehr kurzen Verse arbeiten intensiv mit Anspielungen und Vielschichtigkeiten. Das mutmaßliche Sexualverbrechen im Wald wird niemals explizit dargestellt, sondern ergibt sich lediglich aus einer Vielzahl von Andeutungen. Klar, dass dabei vieles in der Schwebe bleibt: Wie im virtuellen Raum gibt es keine Sicherheit!

Die Gedichte werden durch kurze Prosapassagen unterbrochen, in denen ein Kommissar erscheint, der sich offensichtlich mit dem Fall einer im Wald verschwundenen Person befasst und mit schwer fassbaren Hinweisen konfrontiert ist.

Der Kommissar geht um

Der mutmaßliche Bericht über eine Frau, die im Wald missbraucht und ermordet wurde, ließ mich bei der Lektüre unmittelbar an ein Lied aus den 1980er-Jahren denken, das damals für einen handfesten Skandal in der Öffentlichkeit sorgte und an das sich die 1969 geborene Autorin wohl genauso gut erinnert wie ich: Falcos „Jeanny“. Bestärkt wird dieser Eindruck durch den in Versalien geschriebenen „KOMMISSAR“; war doch „Der Kommissar“ mit der unvergesslichen Zeile „Der Kommissar geht um“ der erste Riesenhit des österreichischen Liedermachers. Sogar in Falcos bürgerlichem Nachnamen „Hölzl“ könnte sich eine Anspielung verstecken: Hölzl – Holz – Unterholz – Wald …

See Also

Elke Steiners Kommissar begibt sich, im wahrsten Sinne des Wortes prosaisch, auf die Suche nach den Spuren einer Verschwundenen. Alle Prosapassagen beginnen mit der Wendung „An dieser Stelle (…)“ und sind im Futur geschrieben. Der Kommissar wird sich einmischen, innehalten, an etwas Bestimmtes denken oder eine Erkenntnis haben, die ihn womöglich in seinen Ermittlungen weiterbringt.

Das Ende bleibt freilich offen. Das zeichnet sich im letzten Gedicht ab, das aufgrund der permanenten Analogie zur digitalen Welt und in sprachspielerischer Weise Wirklichkeit und Fiktion so sehr miteinander verflicht, dass Leser*innen raten müssen, was nun was ist:

dein Pfauenblau verblasst
gegen Morgen Stunde
um Stunde verbleiben dir
weniger Flugversuche oder
einmal noch Rad schlagen
aus deinen Augen rinnt Rotes
längst erdwärts wie saftiger
Färberkrapp
verbluten letzte Farben
Selfie jetzt
: ungünstig

Der darauffolgende Prosatext spricht vom Protokoll des Kommissars, der zwar eine Menge Spuren wie „Rippen im Birkenlaub“ und „Brustkörbchen“ findet, aber letztendlich „ohne jegliche Fährte“ bleibt. Die letzten Worte dieser Passage lauten: „In diesem Fall Netzfalle, wie die Gesetze von Angebot und Nachfrage, das ist der Deal. Vereinzelte Zweifel im Totholz.“ (Totholz=Hölzl?) Und wiederum in Analogie zu Falcos „Jeanny-Liedserie“ findet sich auf der letzten Seite noch der lapidare Satz: „Staffel zwei: Ob die Person je wieder auftaucht?“

Elke Steiner gelang mit diesem Buch etwas Außergewöhnliches: ein Lyrikband, der eine Geschichte erzählt, die ein Krimi ist oder zumindest sein kann; in formaler Hinsicht ein Amalgam von Anspielungen und Doppelbödigkeiten, welche die vielfältige Dimension des Textes erspüren lassen. Das Titelbild – eine rosa Feder auf grünem Hintergrund – stammt von Cleo Ruiz, einer bildenden Künstlerin und Chanson-Sängerin aus Niederösterreich, deren Biografie auf den letzten Seiten enthalten ist. Satztechnisch wurde das broschierte Buch von edition lex liszt 12 gewohnt ästhetisch und ansprechend gestaltet; es ist ein Büchlein, das man sehr gerne mit sich trägt.


Elke Steiner: Hast dein Federkleid gelöscht. Ein Lyrik-Krimi. edition lex liszt 12, Oberwart 2024. 94 Seiten. Euro 17,50

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