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Ein Sinn für Ultraviolett

Ein Sinn für Ultraviolett

Lukas Meschik liest Sarah C. Schusters
AMYGDALA und andere Gedichte als Sommerlektüre


Der Band AMYGDALA und andere Gedichte von Sarah C. Schuster fiel mir in Frankfurt in die Hände – und zwar wortwörtlich, wurde er mir doch bei einem Verlagsbesuch der edition faust vom Verleger persönlich mit ansteckender Begeisterung in die Hand gedrückt. Dass es sich um ein Lyrikdebüt handelt, ist insofern überraschend, als die Texte nichts Suchendes haben, sondern hier eine gefestigte Stimme am Wort ist.

Wer wie Schuster Germanistik, Komparatistik und kreatives Schreiben studiert hat, weiß natürlich, was er tut, könnte man anmerken. Trotzdem ist es bei aller Sprachkompetenz nicht selbstverständlich, dass sofort der eigenständige lyrische Ton gefunden ist.

Foto © Lukas Meschik

Gelesen habe ich die Sammlung bereits am nächsten Tag auf einer Zugfahrt zurück nach Wien, und zwar in einem Rutsch – was immer ein gutes Zeichen ist. Es gibt Gedichte, zu denen man keinen rechten Zugang findet, bei denen die Lektüre ins Stocken gerät; hier allerdings entsteht sofort ein Sound, in dem man sich gut aufgehoben fühlt und dem man sich gern anvertraut.

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Ein Blick in die Wolken
zu dir oder zu den Krähen,
um mich herum
irgendwo der Sinn für
Ultraviolett,
wie nichts aufgeht.

In deinem Spektrum
feiner Sand fünf Finger tief,
der mir im Auge brennt, wo
(ich zu schnell &) du zu spät
vergessen hast,
wer wir sein können.

Wie mein Herz über
den Rippenbogen springt,
hilft dir nicht weiter.
Ich schätze, es dreht sich
nicht alles um mich,
es ist vielmehr ein Reißen.

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Im Wiederlesen des Bandes fällt mir auf, dass ich ihn beim ersten Mal zu schnell gelesen habe. Womöglich auch zu unkonzentriert, was bei den dauertelefonierenden Mitpassagieren in den Ruhezonen der Deutschen Bahn kein Wunder ist – obwohl man die mit Hilfsmitteln ganz gut ausblenden kann. Es spricht sehr für diese Gedichte, dass sie mit erneuter Lektüre noch gewinnen; sie behalten ihr Geheimnis, bleiben schön verrätselt ohne zu verkopft zu sein.

Viele der Texte sind angenehm lakonische Liebesgedichte, die völlig unkitschig ein in Aufruhr gebrachtes Innenleben ausbreiten. Sie tragen vielschichtige Titel wie „Die Person, die Sie angerufen haben, ist emotional nicht verfügbar“ oder „Der Fall in die Höhe“ oder „Postkarten sind Umarmungen aus Papier“. Das titelgebende Gedicht „Amygdala“ begegnet uns schon auf den ersten Seiten. Sicherheitshalber frische ich mein anatomisches Wissen auf: Die Amygdala, auch als Mandelkern bekannt, ist Teil des limbischen Systems; sie ist an emotionalen Reaktionen sowie der Speicherung von Gedächtnisinhalten beteiligt. Das klingt wie das Epizentrum kreativen Schaffens.

See Also

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Amygdala

...
Die Flut schiebt mich
ins Plasma der Zeit zurück
in den nassen Badeanzug
bis auf die Knochen
der Geister, die mich riefen.

Die Mandeln sind salzig,
aber nicht mehr bitter:
Just another lesson learned.
…

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Was mir an den Gedichten besonders gefällt, ist ihre Zurückgenommenheit – sie sind tief emotional, bleiben dabei aber diskret, sie trumpfen nicht auf, und machen gerade deshalb einiges her. Sie sind freigeschält auf einen Empfindungskern, zelebrieren eine warme Melancholie, die nie in Verzagtheit umschlägt. Eingestreute englische Texte erinnern an Songlyrics, sie zeigen eine Weltgewandtheit und strahlen eine Coolness aus, die nicht mit Kühlheit verwechselt werden darf.

Meine Lieblingsstelle fiel mir schon beim ersten Lesen auf, sprang mich regelrecht an, und beim zweiten Durchlauf hat sie ihren Status behalten. In diesen fünf Abschlusszeilen des Gedichts „Aufgeben“ steckt so viel: Ich erkenne darin mich selbst als manisch tippenden Schreibarbeiter, ich entdecke eine Handke-Anspielung und ich knabbere an der darin formulierten Sorge, ob unser Streben Früchte trägt – und inwiefern wir überhaupt damit umgehen könnten. Diese Frage hallt noch lange nach. Beim Lesen dieses Buches pulsiert der Mandelkern.

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Aufgeben
…
Dann ergreifst du
das Gewicht der Welt
auf einer Tastatur:
Was wäre, wenn...
wir wirklich etwas bewegen?
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Sarah C. Schuster: AMYGDALA und andere Gedichte. edition Faust 2023. 80 Seiten, Broschur. Euro 18,00,-

Cover © edition Faust

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