Jelena Dabic liest Jani Oswalds Carmina mi nora
Der in Wien lebende Kärntner Slowene Jani Oswald, Jg. 1957, ist seit langen Jahren Stammautor des Drava/Wieser Verlags. Der Lyriker, früherer Herausgeber der Kärntner slowenischen Literaturzeitschrift mladje und Mitwirkender an vielen literarischen Performances im öffentlichen Raum, kann wohl als das Urgestein der Kärntner slowenischen sprachexperimentellen Lyrik bezeichnet werden. Der vorliegende Band ist ein ausgezeichneter Beleg dafür.
Von Assoziationen getrieben
Eines der Lieblingsverfahren des Autors ist schon am Titel des Bandes zu erkennen: Carmina minora (kleine Lieder) kann selbstverständlich auch als „Carmina mi nora“ gelesen werden. (Die Bedeutung von Letzterem ist unklar bzw. dem Leser, der Leserin selbst überlassen.)
Cover © Drava/Wieser Verlag
Das (Doppel-)Gedicht mit diesem Titel befindet sich ganz hinten im Buch. Übrigens wird an dem titelgebenden Gedicht gleichzeitig klar, dass Jani Oswald durchaus nicht nur lebende Sprachen und auch nicht nur Deutsch und Slowenisch in seinen Gedichten verwendet oder eher zerlegt und neu kombiniert, sondern auch Latein (samt lateinischen Sprüchen) und Englisch. Gleichwohl bleibt Deutsch – auf der linken Seite des Doppelgedichts – die Basissprache. Auf der rechten ist es Slowenisch – was nicht heißt, dass hier lateinische, englische oder auch italienische Wörter, Sprüche oder Redewendungen keinen Platz hätten. Bei Carmina mi nora (slowenische Fassung) klingen verdächtig viele Wörter gar japanisch. Hinsichtlich einer besseren Verständlichkeit sei an dieser Stelle aber doch lieber die deutsche Fassung der „Carmina“ angeführt:
Carmina minora et labora Minna money more come Carmen gogo Morrha Sedom und Amorah Schwefel regnet redet Schwafelfeuer nicht geheuer
Es ist erstaunlich, wie viele inhaltliche Kontexte Oswald in ein verhältnismäßig kurzes Gedicht packt: lateinische Weisheit von Mönchen, Erotisches, Minnegesang, biblische Szenen und daraus entstandene Begriffe, eine starke Frauenfigur aus der Opernwelt und auch noch das liebe Geld. All das steckt in einem typischen, von Assoziationen getriebenen Jani-Oswald-Gedicht.
Spielereien und Sprachmischungen
Doch zurück zu den Lesemöglichkeiten und der Sprachvielfalt. Carmina mi nora ist ein Buch der Wieser-Reihe Slowenische Bibliothek, die übrigens gleichermaßen slowenische wie Kärntner slowenische Autoren und Autorinnen der Vergangenheit und Gegenwart versammelt. Näheres dazu ist im unbedingt zu empfehlenden Postskriptum sowie einer editorischen Notiz von Lojze Wieser zu erfahren. Der Band ist also per se eine zweisprachige Lektüre, wobei es sich hier keineswegs um eine Selbstübersetzung handelt. Es ist vielmehr eine Nachdichtung oder die Verwendung ähnlicher Verfahren in der anderen Sprache, also Spielereien aller Art, ausgehend von slowenischen Begriffen.
Um Jani Oswalds unverkennbaren Stil und seinen ebensolchen Witz zu erkennen, genügt es, die deutschen Texte, also die Hälfte der Doppelgedichte, zu lesen. Der Slowenisch sprechende Leser, die Slowenisch sprechende Leserin werden klarerweise das doppelte Vergnügen haben und zudem auch sehr gut beobachten können, wann sich der Autor mehr und wann weniger an den deutschen Ausgangstext hält. Gleichzeitig sei jeder und jedem mit Kenntnissen einer beliebigen slawischen Sprache die Lektüre der slowenischen Version ans Herz gelegt, insbesondere jenen mit einem bosnischen, kroatischen oder serbischen Hintergrund! Hier gibt es in dem Fall sehr viel zu entdecken. Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass in einigen Gedichten die Sprachmischung Deutsch-Slowenisch dezidiert innerhalb des Gedichts betrieben wird. Solche Texte stehen für sich allein, also nicht im Doppelpack:
V svoji duši sem pepel plevel mein Wunsch ničesar si ne bolj želim ist nichts als anders mastno als Begierde strašno strastno lieben o der sterben al umreti o der sonst was kaj pa kaj že unvorhergesehen es wogeh im Leckmimbuckel weh tut eh a že mir alles
Welcher Verfahren bedient sich Oswald nun genau in seinen stets auf der Höhe der Zeit befindlichen und meist äußerst gesellschaftskritischen Gedichten? Er zerlegt Wörter, setzt sie neu zusammen, klebt sie aneinander, liest manches von hinten, betreibt Sprachmischungen auch innerhalb eines Wortes oder einer Wortgruppe, erzeugt Reime und Assonanzen (wodurch manche Gedichte sehr melodisch geraten!), arbeitet mit Alliterationen, baut viel Dialekt und auch Umgangssprache ein, ebenso Redewendungen und Sprüche, in regulärer oder verfremdeter Form, erschafft mitunter neue Wörter und Begriffe … Thematisch gesehen drehen sich viele Gedichte um eine unverhohlene Kritik an allem, was nach Brauchtum, Nationalismus, Heimatverbundenheit und auch Militarismus riecht. Auch die Kirche und Religiöses kommen nicht gut weg, ebenso wenig der Tourismus in Kärnten. En passant werden aber auch verschiedene Fragen und Phänomene einer weit gefassten Gegenwart kritisch bis spöttisch gestreift, ob Udo-Jürgens-Chansons, die Grufties, die Verwendung des Kulturbudgets, der Konsum, Finanzen und Handel oder die aktuellen Kriege.
Auf diese sehr eigenwilligen Gedichte, die die Tradition der experimentellen Lyrik wie der konkreten und wohl auch der visuellen Poesie unverdrossen fortführen, muss man sich einlassen. Sie vermitteln auf wenig Raum viel über die Kärntner slowenische Vergangenheit und aktuelle Themen, und das auf eine höchst unterhaltsame Weise!
Jani Oswald: Carmina mi nora. Pesmi/Gedichte. Reihe Slowenische Bibliothek. Wieser/Drava, Klagenfurt/Wien/Ljubljana/Berlin, 2023. 94 Seiten. Euro 24,–