Nicole Streitler-Kastberger liest Friederike Mayröckers
von Nicolas Mahler illustriertes Erstlingswerk Larifari
Friederike Mayröcker würde am 20. Dezember 2024 hundert Jahre alt. Sie hat in den vielen Jahren ihrer literarischen Arbeit ein Riesenwerk vorgelegt, für das ihr der Nobelpreis gebührt hätte, auf den sie immer gehofft hat.
Jetzt, gewissermaßen zum runden Geburtstag, wurde der Zeichner Nicolas Mahler vermutlich vom Suhrkamp Verlag – Mayröckers Stammhaus – damit beauftragt, einen Comic auf der Basis ihres ersten Buches Larifari zu machen. Wer ihn kennt, weiß, dass Nicolas Mahler Comic sehr ernst nimmt, also hat er zum avantgardistischen Prosabuch Larifari von 1956 Zitate aus dem riesigen Gesamtwerk der Mayröcker arrangiert.
Cover © Suhrkamp Verlag
Und beides ergänzt um Illustrationen, die seine spezifische Handschrift tragen. Erschienen ist das Ganze im zum Suhrkamp Verlag gehörenden Insel Verlag, in der Insel-Bücherei, der bibliophilen Liebhaber-Reihe des Verlags. Es ist ein rundum schönes Büchlein geworden. Die Essenz eines Riesenwerks auf knapp hundert Seiten: Was für Kenner und Neueinsteiger, könnte man sagen.
Collage/Montage
Das Ganze hat natürlich etwas von einer Collage oder Montage, was Mahler auch unterstreicht, indem er viele Zitate mit einem Quasi-Papierschnipsel unterlegt. Im Buch wechseln sich weiße Seiten mit bunten Seiten ab, auf den weißen Seiten sind jeweils die Zitate aus Larifari abgedruckt, auf den bunten Seiten die Zitate aus anderen Mayröcker-Büchern. Dazu wunderbare Zeichnungen von Mahler, etwa die Mayröcker-Porträts oder jene ihres Lebensgefährten und langjährigen literarischen Wegbegleiters Ernst Jandl, der natürlich nicht fehlen darf. Sind es bei ihr die schwarze Gewandung und das schwarze Haar mit dem charakteristischen tiefen Pony, so sind es bei ihm die markante Brille und der Glatzkopf. Beide sogleich erkennbar und doch künstlerisch verfremdet. Auch der bei Mayröcker immer wieder auftauchende Snoopy ist in das Bändchen eingegangen, ihre spezifische Referenz an die Pop-Kultur.
Ein Dichter-Leben auf knapp 100 Seiten
Während Mayröcker im Schreiben auf verdichtete Prosa setzt, muss Mahler auswählen, und er tut dies in gewohnt souveräner Manier. So kann man nicht nur dem Bändchen Larifari, das knapp 50 Seiten hatte und im Bergland Verlag erschienen ist, folgen, sondern auch einen Vorgeschmack auf Mayröckers Gesamtwerk bekommen. Die Zitate sind so gewählt, dass man die Idee eines Dichterlebens gewinnt und, dass man den Themen und Motiven der Autorin nachgehen kann. Wer sich davon Systematik erhofft, bleibt natürlich unbefriedigt, hatte ja schon Larifari den Untertitel „Ein konfuses Buch“, was auch Leitlinie für Mahlers Montage gewesen sein dürfte.
Den Einstieg macht der Satz „Die Sonne sitzt uns gegenüber am langen Tisch“ aus Larifari. Dazu eine Zeichnung, in der Ernst Jandl mit Kaffeehäferl an einem langen Tisch sitzt. Garniert mit kreativem Vokabular: „Pumponellen“, „sleit de bellen“, „pipapuff“ und zuletzt „wie hast geschlafen?“. Damit wird eine Dichtermorgen-Alltagsszene evoziert. Gefolgt wird diese von einer, in der ein altes Telefon die Hauptrolle spielt, eingeleitet von dem schönen, leicht antiquiert wirkenden Satz: „Soll ich jetzt anrufen, wo es so regnet.“ Da wird die Lehrerinnentätigkeit Mayröckers angesprochen, kondensiert in dem Zitat: „Kinder macht keine Brösel aus ihr. Sonst bin ich böse“. Den Abschluss des Bändchens bilden die Sätze: „Ich habe Angst vor dem Ende“ aus Das Herzzerreißende der Dinge (1985) und „den Schmerz bitte nicht wegzuckern!“ aus Larifari. Letzterer zeigt, auf welch hohem sprachlichem Niveau sich bereits die frühe Mayröcker befunden hat.
Sprach-Kunst, on the top
Mayröcker war eine Sprach-Virtuosin, eine, der die gewöhnlichsten Redewendungen im Mund zerfallen sind wie Pilze, wie das Hugo von Hofmannsthal im „Brief des Lord Chandos“ (1902) einmal ausgedrückt hat. Dementsprechend ist in dem Bändchen überall Originelles zu lesen, etwa: „Wenn ich morgen auch so müde bin, wird mir der heißgemachte Wein nicht schmecken.“ Aus dem Brustbild wird bei Mayröcker das „Busenbild“, „in farbm und ganz irr“. Als literarisches Vermächtnis kann man folgende Zeilen ansehen: „ich denke nicht linear, sondern in Bildern.“ Eines der erschütterndsten Zitate der Autorin ist freilich: „Ich sitze nur GRAUSAM da“ aus dem gleichnamigen Band von 2012, getoppt höchstens durch „Ich bin in der Anstalt“, auch dies ein Buchtitel, von 2010. Die Philologin freut sich, weil im Anhang des Bändchens alle Zitate nachgewiesen werden.
Der vorgelegte Band, eine Art Reader’s Digest, macht wirklich Lust, Mayröckers Riesenwerk zu erkunden. Und er ist ein gelungener Geburtstagsgruß zum Hunderter. Da wird noch einiges folgen, das die Qualität der Mahler’schen Um-Schreibung wohl nicht erreicht. Larifari!
Friederike Mayröcker: Larifari. Ein konfuses Buch. Illustriert und montiert von Nicolas Mahler. Frankfurt am Main, Insel, 2024. 95 Seiten, Euro 15,50